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Strafrecht Besonderer Teil


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eingewilligt. Allerdings erfasse das Sorgerecht und die damit verbundene Entscheidungsberechtigung der Eltern nur Erziehungsmaßnahmen, die dem Wohl des Kindes dienten, § 1627 S. 1BGB. Ob die Einwilligung in die Beschneidung von § 1627 S. 1BGB gedeckt sei, müsse durch eine Abwägung des Erziehungsrechts der Eltern aus Art 4 Abs. 1, 6 Abs. 2GG und den Grundrechten des Kindes auf Selbstbestimmung (Art 2 Abs. 2 S. 1GG) und körperliche Unversehrtheit (Art 2 Abs. 1GG) bestimmt werden: »Bei der Abstimmung der betroffenen Grundrechte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unangemessen. Das folgt aus der Wertung des § 1631II1BGB. Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider. Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam entscheidet (…).«[265]

      159Nach dieser Entscheidung entwickelte sich eine kontroverse Diskussion über die Strafwürdigkeit der massenhaft praktizierten muslimischen und jüdischen Beschneidungstradition.[266] Der Gesetzgeber reagierte darauf sehr schnell mit dem am 28. Dezember 2012 in Kraft getretenen »Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes«[267]. Es fügt in das BGB den § 1631d neu ein. Danach umfasst nun die Personensorge auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Eine Ausnahme soll gelten, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird. In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen gem. § 1631d Abs. 2BGB auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind. Ob die gesetzgeberische Intervention tatsächlich die rechtspraktischen Probleme der Beschneidung zu lösen vermag, wird zum Teil bezweifelt.[268] Es bleibt abzuwarten.

      |75|bb) Einwilligung (§ 228 StGB)

      160In § 228 StGB ist geregelt, dass eine Körperverletzung nicht rechtswidrig ist, wenn der Verletzte eingewilligt hat und die Tat nicht trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.[269] Die Norm enthält demnach einen speziellen Rechtfertigungsgrund.[270] Dieser ist jedoch nicht nur für die Körperverletzungsdelikte anerkannt, sondern wird als ungeschriebener Rechtfertigungstatbestand auch bei anderen Delikten, die dem Schutz disponibler Rechtsgüter dienen, angewendet.[271]

      161(1) Einwilligung in lebensgefährliche Behandlung: Das eigene Leben ist kein disponibles Rechtsgut, es ist daher grundsätzlich nicht einwilligungsfähig. Dies wird u.a. daraus abgeleitet, dass § 216 StGB die Tötung auf Verlangen – also mit Einwilligung des Getöteten – ausdrücklich unter Strafe stellt (vgl. dazu Rn. 102ff.). Nach § 228 StGB sind Körperverletzungen hingegen grundsätzlich einwilligungsfähig. Dies wirft die Frage auf, ob auch lebensgefährliche Körperverletzungshandlungen unter § 228 StGB fallen können oder ob dies durch den absoluten Lebensschutz gesperrt ist. Der BGH hatte darüber in der jüngeren Vergangenheit zweimal zu entscheiden: Bei dem ersten Fall hatte der Angeklagte dem Geschädigten auf dessen Wunsch Heroin injiziert, obwohl das Gesundheitsrisiko wegen einer Vorerkrankung und einer erheblichen Alkoholisierung besonders hoch war. Dies hatte der Angeklagte gewusst. Der Geschädigte starb an der Heroin-Intoxikation.[272] In dem zweiten Fall hatte der Angeklagte seiner Lebensgefährtin auf deren ausdrücklichen Wunsch hin im Rahmen sadomasochistischer Sexualpraktiken ein Eisenrohr wiederholt auf den Kehlkopf gepresst, so dass die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn unterbrochen wurde. Dadurch versagte das Herz der Frau und sie starb. Bei beiden Sachverhalten lag kein bedingter Tötungsvorsatz vor. Zu entscheiden war daher, ob es sich »nur« um eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB, keine Mindeststrafandrohung) handelte oder auch um eine Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB, Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren). Letzteres wäre ausgeschlossen gewesen, wenn die Körperverletzung gem. § 228 StGB durch eine wirksame Einwilligung gerechtfertigt gewesen wäre. Der BGH nahm jedoch in beiden Fällen an, dass eine Einwilligung zwar vorlag, diese aber wegen der Lebensgefährlichkeit der Tathandlung nicht zum Ausschluss der Rechtswidrigkeit führte. Diese Einschränkung der Einwilligungsmöglichkeit macht der BGH am Merkmal der Sittenwidrigkeit gem. § 228 StGB fest: »Die Grenze zur Sittenwidrigkeit ist jedenfalls dann überschritten, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird. Für diese |76|Eingrenzung sprechen sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzen die rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung, da das Gesetz ein soziales Interesse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den Willen des Betroffenen verfolgt. Die Beeinträchtigung durch den Rechtsgutsinhaber selbst (in Form einer Selbsttötung oder -verletzung) ist zwar straflos; im Allgemeininteresse wird aber die Möglichkeit, existentielle Verfügungen über das Rechtsgut der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder des eigenen Lebens zu treffen, begrenzt. Der Schutz der Rechtsgüter körperliche Unversehrtheit und Leben gegen Beeinträchtigungen durch Dritte wird demnach nicht schlechthin, sondern nur innerhalb eines für die Rechtsordnung tolerierbaren Rahmens zur Disposition des einzelnen gestellt.«[273] Körperverletzungshandlungen, die eine konkrete Lebensgefahr begründen, sind nach Auffassung des BGH also wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nicht nach § 228 StGB rechtfertigungsfähig.

      162(2) Sittenwidrigkeit: In den oben genannten BGH-Urteilen finden sich nicht nur grundlegende Ausführungen zur Einwilligungsfähigkeit lebensgefährlicher Körperverletzungen. Der 3. und der 2. Strafsenat haben sich auch allgemein zum Begriff der Sittenwidrigkeit geäußert. Das StGB knüpfe mit diesem »die Rechtsfolgen der Einwilligung an außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien. Die Prüfung der Rechtfertigung der Körperverletzungstat durch die Einwilligung des Geschädigten ist daher in diesem Punkt weniger ein Akt normativ-wertender Gesetzesauslegung als vielmehr ein solcher empirischer Feststellung bestehender Moralüberzeugungen. Der Begriff der guten Sitten ist für sich gesehen allerdings konturenlos. Wird er als strafbegründendes Element in das Strafrecht integriert, gerät er in Konflikt mit dem grundgesetzlichen Bestimmtheitsgebot (Art 103 Abs. 2GG). [Daher] muss der Begriff der guten Sitten auf seinen Kern beschränkt werden. Nur dann ist dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens genügt. Dies bedeutet, dass ein Verstoß der Körperverletzungstat gegen die guten Sitten nur angenommen werden kann, wenn sie nach allgemein gültigen moralischen Maßstäben, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden können, mit dem eindeutigen Makel der Sittenwidrigkeit behaftet ist […]. In diesem Sinne ist eine Körperverletzung trotz Einwilligung des Geschädigten nach der allgemein gebrauchten Umschreibung dann sittenwidrig, wenn sie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt […]. Ein Verstoß gegen die Wertvorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder des mit der Tat befassten Strafgerichts genügt daher nicht.«[274] Diese Wertungen spitzt der BGH dann in einer kurz darauf folgenden zweiten Entscheidung weiter zu: »Für das Sittenwidrigkeitsurteil i.S.d. § 228 StGB ist demnach grundsätzlich auf Art und Gewicht des Körperverletzungserfolgs |77|und den Grad der möglichen Lebensgefahr abzustellen, weil generalpräventiv-fürsorgliche Eingriffe des Staates in die Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsinhabers nur im Bereich gravierender Verletzungen zu legitimieren sind […].«[275]

      163Das bedeutete bezogen auf die konkreten, oben geschilderten Sachverhalte, über die die beiden BGH-Strafsenate zu entscheiden hatten, dass weder der Konsum illegaler Drogen, noch sadomasochistische Sexualpraktiken für sich genommen eine Rechtfertigung gem. § 228 StGB ausschließen. In Hinblick auf beide Phänomene gäbe es keine einheitliche gesellschaftliche Haltung, ein eindeutiges Sittenwidrigkeitsurteil sei nicht möglich.[276]

      164Mit dieser Haltung nähert sich der BGH stark der in der Literatur vertretenen Meinung an, nach