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Strafrecht Besonderer Teil


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dass der Körper »im weitesten Sinne in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand« versetzt wird.[247] Der Wortlaut der Norm lässt aber auch eine andere Auslegung zu, da der Begriff der Gesundheitsschädigung ja gerade nicht auf die körperliche Integrität abstellt und deshalb auch psychische Krankheitszustände erfasst.[248] Das Merkmal der körperlichen Misshandlung jedenfalls ist bei psychischen Einwirkungen allenfalls dann erfüllt, wenn körperliche Folgen erkennbar sind, etwa wenn jemand in Folge einer Bedrohung unter angstbedingten körperlichen Folgen wie Magenschmerzen, Schwindel, Übelkeit o.ä. leidet.[249] Gerade in solchen Fällen muss aber sorgfältig geprüft werden, ob »die Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens mehr als nur unerheblich und damit unangemessen ist […], was nicht nach dem subjektiven Empfinden, sondern nur aus der Sicht eines objektiven Beobachters beurteilt werden kann […]«.[250]

      151Das OLG Köln hatte in diesem Zusammenhang darüber zu entscheiden, ob ein Mann, der von dem Beschuldigten zweimal am Telefon bedroht worden war und in der Folge unter Durchfall litt, Opfer einer Körperverletzung geworden ist. Das OLG verneinte dies mit folgender Begründung: »Schreck, Angst und |71|Aufregung führen häufig zu Schweißausbruch, Herzklopfen oder verstärkter Verdauungstätigkeit. Dabei handelt es sich lediglich um Symptome psychosomatischer Vorgänge, die zwar auf den engen Zusammenhang von Seele und Körper hinweisen, im allgemeinen jedoch vom gesunden Menschen ohne weiteres vertragen und allenfalls als lästig empfunden werden. Anders als etwa Magenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schlaflosigkeit oder Schwindelgefühl […], verursacht das vorübergehende Auftreten von Durchfall nach einem Angsterlebnis keine so schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens, daß die Erheblichkeitsgrenze erreicht oder überschritten wäre, zumal viele Menschen in zahlreichen Lebenssituationen (z.B. infolge Flugangst beim Reisen, Examensangst bei Prüfungen etc.) von derartigen Symptomen betroffen werden, ohne daß sie darin in der Regel mehr als eine kurze, insgesamt unerhebliche Beeinträchtigung sehen, der man keine Bedeutung beizumessen braucht. Da die Beeinträchtigung nicht über die Folgen hinausgeht, die häufig mit psychischen Einwirkungen verbunden sind, liegt auch keine Gesundheitsschädigung vor, denn diese setzt einen pathologischen Zustand von gewisser Schwere und nicht ganz vorübergehender Dauer voraus […], der hier den Feststellungen zufolge nicht gegeben war.«[251] Reagiert jemand mit körperlichen Symptomen auf eine Bedrohung, liegt deshalb also noch nicht automatisch eine körperliche Misshandlung vor. Es ist dann zu diskutieren, ob die körperlichen Symptome erheblich sind.

      152Auch in Fällen, in denen der Beschuldigte jemandem im Rahmen einer Auseinandersetzung ins Gesicht spuckt, stellt sich regelmäßig die Frage, ob die Erheblichkeitsschwelle des § 223 StGB überschritten ist. Der damit beim Betroffenen einhergehende Ekel könnte bereits eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens sein. Dann wäre eine körperliche Misshandlung im Sinne des § 223 StGB gegeben. Die Rechtsprechung verneint dies jedoch zu Recht. Jemanden anzuspucken stelle zwar eine üble und unangemessene Behandlung dar. Diese beeinträchtige das körperliche Wohlbefinden jedoch – zumindest wenn der Speichel rasch abgewischt werden kann und der Ekel schnell wieder abklingt – nur unerheblich.[252] Das Schwergewicht der Einwirkung liege »beim Angespucktwerden in der Empörung über die besonders kränkende Behandlung, während das körperliche Wohlbefinden regelmäßig kaum tangiert ist. So würde ein Geschädigter, der ersichtlich versehentlich vom Speichel getroffen worden wäre, sich nicht als körperlich verletzt betrachten.«[253] Das Verhalten stellt aber ggf. eine tätliche Beleidigung gem. § 185 Alt. 2 StGB dar (vgl. dazu Rn. 383).[254]

      153Anders als das Anspucken hat das AG Lübeck einen Fall bewertet, in dem der Beschuldigte Frauen mit Sperma bespritzt hat, welches er in einem Fläschchen mit sich führte. Zwar sei »das Auslösen bloßer Angst- oder Panikgefühle nach |72|herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ebenso straflos wie im Grundsatz das Erregen eines Ekelgefühles […]. Die Beurteilung ändert sich aber, wenn infolge von Abscheu oder Ekel körperliche Wirkungen hinzutreten, etwa in Form von Magenschmerzen, Erbrechen und Atemnot […]. Es reichen aber auch solche psychischen Beeinträchtigungen aus, die den Körper im weitesten Sinne […] in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand, vor allem auch nervlicher Art, versetzten. Deshalb sind auch Tatfolgen wie Zittern, Schlaflosigkeit und Angstzustände jedenfalls dann als tatbestandliche Körperverletzung anzusehen, wenn sie nicht nur unerheblichen Ausmaßes sind […].« Da die betroffene Zeugin »nach der Tat jedenfalls für eine Woche unter einer Verschlimmerung der bei ihr schon bekannten Schlafstörungen gelitten hat; ebenso unter erneuten Krampfanfällen, welche zwar in einer vorbestehenden Erkrankung (Multiple Sklerose) angelegt waren, durch den infolge der Tat ausgelösten Stress indes wiederum aufgetreten sind«, liege es auf der Hand »dass körperliche Wirkungen wie jedenfalls Krampfanfälle, aber auch mehrere Tage andauernde Schlafstörungen, nicht nur nach dem subjektiven Empfinden der Zeugin sondern auch aus der Sicht eines objektiven Betrachters mehr als nur unerheblich sind.«[255] § 223 Abs. 1 StGB sei daher erfüllt, wobei vom AG Lübeck offen gelassen wurde, ob es sich um eine körperliche Misshandlung und bzw. oder um eine Gesundheitsschädigung handelte.

      154Im subjektiven Tatbestand des § 223 StGB gibt es keine Besonderheiten, es genügt bedingter Vorsatz in Hinblick auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes.

      b) Rechtswidrigkeit

      155Bei § 223 StGB kann wie üblich die Rechtswidrigkeit der Tatbestandsverwirklichung ausnahmsweise entfallen, wenn ein Rechtfertigungsgrund, etwa gem. § 32 StGB[256], gegeben ist. Es bestehen allerdings zusätzlich einige Besonderheiten, die im Folgenden dargestellt werden.

      aa) Sozialadäquanz

      156Früher war anerkannt, dass die Rechtswidrigkeit auch dann zu verneinen ist, wenn die Körperverletzung sozial adäquat ist. Hier ging es namentlich um das sog. Züchtigungsrecht, welches nach der früher herrschenden Meinung Erziehungspersonen zur körperlichen Züchtigung von Kindern berechtigen sollte. So lautet etwa der Leitsatz einer BGH-Entscheidung aus dem Jahr 1952: »Eltern, die ihre 16jährige sittlich verdorbene Tochter durch Kurzschneiden der Haare und Festbinden an Bett und Stuhl bestrafen, überschreiten nicht das elterliche Züchtigungsrecht.«[257] Eltern und auch Lehrer sollten aufgrund |73|einfachgesetzlicher Normen (die mittlerweile gestrichen wurden)[258] oder qua Gewohnheitsrecht befugt sein, Kinder zu Erziehungszwecken körperlich zu maßregeln.[259] Dadurch sollten auch Körperverletzungen gem. § 223 StGB gerechtfertigt werden können. Ein solcher Rechtfertigungsgrund wird von der herrschenden Meinung heute verneint.[260] Diese Ansicht vertritt nun auch der Gesetzgeber, der in § 1631 Abs. 2 S. 2BGB festgeschrieben hat, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben und körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen im Rahmen der Personensorge für ein Kind unzulässig sind.[261]

      157Als sich der Meinungsstand zum Züchtigungsrecht gerade im Umbruch befand, war im Einzelfall ein Schuldausschluss gem. § 17 StGB in Betracht zu ziehen,[262] wenn sich der Täter über das Bestehen bzw. die Reichweite seines Züchtigungsrechtes irrte. Da ein solcher sog. Erlaubnisirrtum als indirekter Verbotsirrtum[263] gem. § 17 StGB unvermeidbar gewesen sein muss, um zum Schuldausschluss zu führen, dürfte eine Anwendung auf Fälle körperverletzender Züchtigung von Kindern heute ausgeschlossen sein, da mittlerweile die Pflicht zur gewaltlosen Erziehung allgemein bekannt und im BGB gesetzlich festgeschrieben ist.

      158Wesentlich aktueller ist der aufgrund einer Entscheidung des LG Köln aus dem Jahr 2012 neu entbrannte Streit um die Sozialadäquanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung. Das LG Köln hatte die Tatbestandsmäßigkeit in einem Verfahren gegen einen Arzt, der eine solche Beschneidung vorgenommen hat, bejaht (und den Arzt wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums dennoch freigesprochen). Zur Sozialadäquanz führte das Landgericht aus, dass ihr »neben dem Erfordernis tatbestandsspezifischer Verhaltensmissbilligung keine selbstständige Bedeutung« zukomme. »Die Sozialadäquanz eines Verhaltens ist vielmehr lediglich die Kehrseite dessen, dass ein rechtliches Missbilligungsurteil nicht gefällt werden kann. Ihr kommt nicht die Funktion zu, ein vorhandenes Missbilligungsurteil aufzuheben.«[264] Mit dem Argument der Sozialadäquanz soll also tatbestandliches Verhalten nicht legalisiert werden |74|können. Das Landgericht verneinte auch das