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Strafrecht Besonderer Teil


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unzulässig sein soll, sich der Sterbewillige aber auf der anderen Seite einer von ihm abgelehnten ärztlichen Rettungsaktion soll unterwerfen müssen, wenn er den Sterbevorgang selbst eigenverantwortlich in die Wege geleitet hat, ihn aber nunmehr infolge des Eintritts seiner Bewusstlosigkeit nicht mehr abbrechen kann.[213] Richtigerweise ist daher zumindest für den Fall, dass der Entschluss des Suizidenten als freiverantwortlich i.S.v. § 216 StGB anzusehen ist, seinem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang gegenüber der Rettungspflicht eines Garanten einzuräumen und eine Strafbarkeit des untätig bleibenden Garanten aus §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB abzulehnen. In diese Richtung deuten auch jüngere Entscheidungen der Strafverfolgungsorgane,[214] zu denen sich der BGH bislang aber noch nicht abschließend geäußert hat. Unter Berücksichtigung seiner jüngeren Rechtsprechung zum Behandlungsabbruch, die eine prinzipielle Bereitschaft erkennen lässt, einem ausdrücklich geäußerten Sterbewillen weitgehende Beachtung zukommen zu lassen, ist allerdings davon auszugehen, dass der BGH für den Fall, dass er erneut mit der Fragestellung konfrontiert wird, nicht an seiner Entscheidung aus dem Jahr 1984 festhalten würde.[215]

      |60|bb) Unterlassene Hilfeleistung

      127Aus den vorstehenden Erörterungen folgt unmittelbar, dass auch eine Strafbarkeit des untätig Bleibenden aus § 323c StGB im Fall des Nichteinschreitens gegen einen eigenverantwortlichen Suizid nicht anzunehmen ist. Richtigerweise ergibt sich dies bereits daraus, dass schon kein Unglücksfall i.S.d. Vorschrift vorliegt.[216] Demgegenüber handelt es sich nach Einschätzung des BGH bei einer freiverantwortlichen Selbsttötung zwar grundsätzlich um einen Unglücksfall, jedoch hält er sich die Möglichkeit offen, in entsprechenden Fallkonstellationen ein Einschreiten für unzumutbar zu erachten, wenn der untätig Bleibende Kenntnis vom Sterbewillen des Suizidenten hat.[217]

      d) Leitentscheidungen

      128BGHSt 19, 135, 137ff.; Abgrenzung zwischen strafloser Beihilfe zur Selbsttötung und unmittelbarer Fremdtötung: Nachdem einer Jugendlichen von ihren Eltern der Kontakt mit ihrem Lebensgefährten untersagt wurde, fasst sie den festen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden. Der Lebensgefährte versucht zunächst erfolglos, sie umzustimmen, entscheidet sich aber schließlich dazu, mit ihr gemeinsam zu sterben. Sie begeben sich in den PKW des Lebensgefährten und nehmen dort Tabletten ein, die aber keine Wirkung zeigen. Hierauf schlägt der Lebensgefährte vor, die Abgase des Fahrzeugs ins Wageninnere zu leiten. Die Jugendliche erklärt, dies sei eine gute Idee und sie hoffe, dass sie nicht zu früh gefunden würden. Der Lebensgefährte schließt hierauf einen Schlauch an das Auspuffrohr an und führt diesen durch das linke Fenster in das Wageninnere. Anschließend tritt er das Gaspedal durch, bis das einströmende Kohlenoxyd ihm und der Jugendlichen das Bewusstsein nimmt. Während die Jugendliche verstirbt, kann der Lebensgefährte gerettet werden. – Der Lebensgefährte hat den Tod der Jugendlichen in unmittelbarer Täterschaft verwirklicht und ist nicht lediglich (strafloser) Gehilfe einer Selbsttötung. Die Abgrenzung zwischen strafloser Beihilfe an einer Selbsttötung und unmittelbarer Fremdtötung richtet sich nach dem Kriterium der Tatherrschaft. Diese fiel allein dem Lebensgefährten zu, da das zum Tode der Jugendlichen führende Einleiten des Kohlenoxyds ins Fahrzeuginnere allein von ihm beherrscht wurde. Da der Lebensgefährte durch das ausdrückliche und ernsthafte Verlangen der Jugendlichen zur Tötung bestimmt wurde, ist er jedoch nicht nach § 212 Abs. 1 StGB, sondern gemäß § 216 StGB zu bestrafen. Die Jugendliche hat insbesondere durch den Hinweis, dass das Einleiten der Abgase eine gute Idee sei und dass sie hoffe, dass sie nicht zu früh entdeckt werden, ihren Sterbewillen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus hat der Lebensgefährte zwar auch seinen eigenen Tod angestrebt, sich im Hinblick |61|auf die Tötung der Jugendlichen aber ausschließlich von ihrem Wunsch leiten lassen, aus dem Leben zu scheiden.

      129StA München I NStZ 2011, 345f.; Nichteinschreiten gegen eine Selbsttötung: Eine Alzheimer-Patientin beschließt, durch Selbsttötung aus dem Leben zu scheiden, bevor das Krankheitsbild vollständig ausgeprägt ist. Nachdem sie sich umfänglich informiert und ihren Tod von langer Hand geplant hat, trifft sich die Patientin am Abend des 28.2.2009 mit ihren erwachsenen Kindern. Im Anschluss an ein gemeinsames Essen nimmt die Patientin eine Überdosis Medikamente ein und legt sich kurze Zeit später schlafen. Als ihre Atmung gegen 0.30 Uhr flach und unregelmäßig wird, setzen sich die Kinder an das Bett der Patientin und halten deren Hand, bis sie gegen 0.41 Uhr verstirbt. Versuche, die Patientin zu retten, werden von den Kindern nicht unternommen. – Die StA München I verneinte einen hinreichenden Tatverdacht gegen die Kinder und stellte das gegen sie eingeleitete Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Zwar hätten Kinder gegenüber ihren Eltern grundsätzlich eine Garantenstellung inne, jedoch werde die sich daraus ergebende Garantenpflicht durch einen freiverantwortlich gefassten Selbsttötungswillen des Suizidenten eingeschränkt. Die Auffassung, die eine Pflicht zum Einschreiten ab dem Eintritt der Handlungs- bzw. Bewusstlosigkeit annehmen möchte, sei abzulehnen, da andernfalls der unauflösbare Wertungswiderspruch entstünde, dass ein Angehöriger oder Arzt straflos einen Suizidenten bei der Realisierung seines Tötungsentschlusses unterstützen dürfte (etwa indem er Gift besorgt), dann aber nach Einnahme des Giftes zur Rettung verpflichtet wäre. Da der Entschluss der Patientin, aus dem Leben zu scheiden, freiverantwortlich getroffen worden sei, käme sowohl eine Strafbarkeit aus §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB als auch eine solche aus § 323c StGB nicht in Betracht.

      6. Fahrlässige Tötung (§ 222 StGB)

      130Von § 222 StGB werden diejenigen Fälle erfasst, in denen der Täter die objektiven Voraussetzungen des § 212 StGB erfüllt, dabei aber hinsichtlich des Todeseintritts nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig handelt. In Fallbearbeitungen ist an die Prüfung des § 222 StGB daher insbesondere auch dann zu denken, wenn zuvor eine Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Totschlags erörtert und nach Darstellung der Auseinandersetzung um die Anforderungen an den Tötungsvorsatz (hierzu Rn. 20ff.) verneint wurde. Im Übrigen betreffen Prüfungsschwerpunkte im Zusammenhang mit der fahrlässigen Tötung in der Regel Fragestellungen aus dem Allgemeinen Teil des Strafrechts, wobei insbesondere die Ermittlung von Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Teilnahme im Straßenverkehr sowie die Abgrenzung der tatbestandslosen eigenverantwortlichen |62|Selbstgefährdung zur grundsätzlich tatbestandsmäßigen Fremdgefährdung regelmäßig wiederkehrende Prüfungsgegenstände sind.[218]

      7. Aussetzung (§ 221 StGB)

      131Der als konkretes Gefährdungsdelikt ausgestaltete § 221 StGB dient dem Schutz der Rechtsgüter Leben und Gesundheit. Abs. 1 der Vorschrift enthält zwei Tatbestandsvarianten, die trotz ihrer teils erheblich voneinander abweichenden Struktur eine Reihe von gemeinsamen Strafbarkeitsvoraussetzungen aufweisen und insbesondere beide zweistufig ausgestaltet sind. Hiernach ist erforderlich, dass der Täter einen anderen Menschen der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, indem er ihn entweder in eine hilflose Lage versetzt (Nr. 1) oder in einer hilflosen Lage im Stich lässt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist (Nr. 2). Der Vorsatz des Täters muss sich neben der Tathandlung auch auf den konkreten Gefahrerfolg beziehen.

      132Da es sich bei § 221 Abs. 1 StGB um ein Vergehen handelt und die Versuchsstrafbarkeit nicht ausdrücklich angedroht ist, ist der Versuch des Grunddeliktes straflos. Abs. 2 Nr. 1 normiert einen Qualifikationstatbestand, während die § 221 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 StGB mehrere Erfolgsqualifikationen enthalten. Bei den in Abs. 2 und 3 normierten Fällen handelt es sich ausnahmslos um Verbrechenstatbestände, so dass insoweit auch eine Versuchsstrafbarkeit besteht. § 221 Abs. 4 StGB sieht zuletzt eine obligatorische Strafmilderung bei Vorliegen eines minder schweren Falles vor.

      133Tab. 3: Prüfungsaufbau § 221 StGB

      a) Tathandlungen

      aa) Versetzen in eine hilflose Lage

      134Bei der 1. Tatbestandsvariante des § 221 Abs. 1 StGB handelt es sich um