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Strafrecht Besonderer Teil


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handelte es sich nicht um einen einvernehmlich geführten »Schlagabtausch« zweier rivalisierender Fangruppen, sondern um eine unkontrollierte und unkontrollierbare gruppendynamische Massenprügelei, deren erhebliches Gefährlichkeitspotential mit großer Eskalationsgefahr durch die vorher getroffene Vereinbarung nicht in ausreichender Weise eingegrenzt werden konnte. […] Fehlen Absprachen und effektive Sicherungen für deren Einhaltung, die bei wechselseitigen Körperverletzungen zwischen rivalisierenden Gruppen den Grad der Gefährdung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Beteiligten auf ein vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts von Seiten des Staates tolerierbares Maß begrenzen, verstoßen die Taten somit trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten (§ 228 StGB), wenn mit den einzelnen Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbunden war […].«[296]

      171Während also nach Ansicht des OLG München sog. Drittortauseinandersetzungen gerechtfertigt sein können, wenn alle Beteiligten wirksam eingewilligt haben und es ein konkretes Regelwerk für die Auseinandersetzung gibt, dessen Einhaltung sichergestellt wird, schlägt der 3. Strafsenat des BGH einen anderen Weg ein.[297] Anlass für seine Grundsatzentscheidung war ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) gegen eine Gruppe rechtsradikaler Dresdner Hooligans. Es stellte sich die Frage, ob der Zweck der Gruppierung auf die Begehung von Straftaten gerichtet war. In diesem Rahmen mussten sich Instanzgerichte und der BGH unter anderem damit befassen, ob festgestellte »matches« mit Hooligans aus anderen Städten durch die allseitige Einwilligung in die Körperverletzungen gerechtfertigt waren. Der BGH verneinte dies und erklärte diese »Drittortauseinandersetzungen« für rechtswidrig. Seine Begründung stützt er allerdings nicht auf die Annahme einer Sittenwidrigkeit. Diesbezüglich bekräftigt er die Zurückhaltung im Umgang mit diesem vagen Begriff. Gesellschaftliche Vorstellungen eigneten sich nicht zur Auslegung strafbarkeitsbegründender Begriffe (s.o.). Es seien aber die bei anderen StGB-Normen zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen zu berücksichtigen. Dies gelte nicht nur für § 216 StGB, mit dessen Existenz von je her begründet wird, dass die Einwilligung in eine das Leben gefährdende Behandlung nicht möglich sein soll, sondern auch für § 231 StGB (Beteiligung an einer Schlägerei): »Nach dieser Vorschrift erfüllt derjenige rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand eines Strafgesetzes, der sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt. […] Der Tatbestand |82|des § 231 StGB bezweckt als abstraktes Gefährdungsdelikt […] nicht nur den Schutz des Lebens und der Gesundheit des durch die Schlägerei oder den Angriff tatsächlich Verletzten oder Getöteten, sondern auch Leben und Gesundheit all der – auch unbeteiligten – Personen, die durch die Schlägerei oder den Angriff gefährdet werden. Da letztgenannter Gesichtspunkt ein Gemeininteresse darstellt, entfaltet die Einwilligung eines oder aller an der Schlägerei Beteiligten im Rahmen des § 231 StGB keine rechtfertigende Wirkung […] Diese Grundsätze wirken sich beim tateinheitlichen Zusammentreffen von Körperverletzungstaten […] dahingehend aus, dass die – rechtswidrige und schuldhafte – Verwirklichung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Körperverletzungstat im Sinne von § 228 StGB führt.«[298] Dass der Gesetzgeber in § 231 StGB die bloße Beteiligung an einer Schlägerei für strafwürdig erklärt und eine rechtfertigende Einwilligung hier nicht möglich ist, führt also nach Auffassung des 3. Strafsenats dazu, dass auch die Einwilligung in mitverwirklichte Körperverletzungen (wegen Sittenwidrigkeit) keine rechtfertigende Wirkung entfaltet.

      172Dies soll auch dann gelten, wenn die in § 231 StGB verlangte schwere Folge (Tod oder schwere Körperverletzung gem. § 226 StGB) nicht eingetreten ist und eine Strafbarkeit nach § 231 StGB im Ergebnis deshalb gar nicht besteht: »Bei diesen Folgen handelt es sich nach ganz herrschender Auffassung […] nur um objektive Bedingungen der Strafbarkeit […]. In dieser Konstruktion des Straftatbestandes kommt zum Ausdruck, dass das sozialethisch verwerfliche Verhalten bereits in der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff mehrerer besteht, weil dadurch erfahrungsgemäß so häufig die Gefahr schwerer Folgen geschaffen wird, dass die Beteiligung als solche schon strafwürdiges Unrecht darstellt […]. Die objektive Strafbarkeitsbedingung wirkt dabei nicht strafbarkeitsbegründend oder -verschärfend, sondern schränkt lediglich den Bereich des zu Bestrafenden aus kriminalpolitischen Gründen ein […]. Ein Abstellen auf die Tatfolgen würde bereits im Widerspruch dazu stehen, dass die Wirksamkeit der Einwilligung […] aus einer ex-ante-Perspektive zu beurteilen ist, die Frage, ob eine der genannten schweren Folgen eingetreten ist, hingegen erst ex-post beantwortet werden kann. Das Erfordernis des Eintritts der Strafbarkeitsbedingung zur Begründung des Sittenwidrigkeitsurteils kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass andernfalls die vom Gesetzgeber aufgestellte Begrenzung der Strafbarkeit ignoriert würde […]: Diese Begrenzung bezieht sich allein auf die Vorschrift des § 231 StGB und ist wegen der durch die erfahrungsgemäß auftretenden Nachweisprobleme bedingten Weite dieses Tatbestandes, der unabhängig von der konkreten Feststellung einer Verletzungshandlung jede Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff ausreichen lässt, nicht zuletzt mit Blick auf das Schuldprinzip geboten; kann indes – wie hier – Einzelnen ein konkreter Tatvorwurf auch wegen bestimmter Körperverletzungshandlungen |83|gemacht werden, bedarf es eines solchen Korrektivs nicht.«[299]

      173Aus Sicht des BGH soll also eine Einwilligung in wechselseitige Körperverletzungen immer dann ausgeschlossen sein, wenn gleichzeitig der Tatbestand des § 231 StGB mitverwirklicht wurde – und zwar ohne, dass die objektive Bedingung der Strafbarkeit des § 231 StGB eingetreten sein muss. Dies dürfte bei sog. Drittortauseinandersetzungen stets des Fall sein. Lediglich bei Fällen, in denen es erkennbar nur um leichte Verletzungen geht, könnte es noch Ausnahmen geben: »Es kann offen bleiben, ob die durch die Erfüllung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB bedingte Sittenwidrigkeit der Körperverletzungshandlungen stets und unabhängig von der konkret eingetretenen Gefahr zur Unbeachtlichkeit der Einwilligung führt – etwa auch dann, wenn bei vorausschauender Betrachtung lediglich Bagatellverletzungen zu erwarten sind. Jedenfalls wenn […] der Verletzte durch die Tat voraussichtlich in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wird […] führt der genannte Verstoß gegen die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB.«[300]

      cc) Polizeiliche Zwangsmaßnahmen

      174Polizeiliche Maßnahmen gehen häufig mit körperlichen Beeinträchtigungen des Betroffenen einher. Wenn etwa jemand bei einer Festnahme gewaltsam zu Boden gebracht oder wenn zur Untersuchung der Blut-Alkohol-Konzentration (BAK) eines Autofahrers eine Blutprobe entnommen wird, ist der objektive und subjektive Tatbestand des § 223 StGB – bzw. der Qualifikationstatbestand des § 340 Abs. 1 StGB (Körperverletzung im Amt, vgl. dazu Rn. 669ff.) – erfüllt.

      175In solchen Fällen muss bei der Rechtswidrigkeit geprüft werden, ob die Maßnahme von einer Ermächtigungsgrundlage – zum Beispiel aus der StPO oder einem Landespolizeigesetz – gedeckt war. Ist dies der Fall, liegt eine Rechtfertigung vor, das Verhalten des Polizeibeamten ist nicht strafbar. In der Klausur kann es bei einem entsprechenden Sachverhalt also erforderlich sein, im Rahmen der materiellen Strafrechtsprüfung inzident Strafprozess- oder Verwaltungsrecht anzuwenden.

      c) Konkurrenzen

      176Körperverletzungshandlungen werden oft als Beispiel für das Konstrukt der natürlichen Handlungseinheit herangezogen.[301] Schlägt jemand etwa binnen weniger Sekunden zehn Mal auf eine andere Person ein, ist jeder einzelne Schlag eine natürliche Handlung. Es wäre aber realitätsfremd, nun zu dem Ergebnis zu kommen, der Schläger hätte deshalb zehn Körperverletzungstaten |84|begangen. Deshalb greift in solchen Fällen das Prinzip der natürlichen Handlungseinheit: Mehrere natürliche Handlungen werden gebündelt sanktioniert, wenn sie einem Betrachter als Einheit erscheinen.[302] In der gutachterlichen Fallbearbeitung darf man allerdings nun nicht den Fehler machen, die einzelnen Schläge zunächst getrennt zu prüfen und dann erst in den Konkurrenzen die natürliche Handlungseinheit festzustellen. Das wäre zwar streng genommen nicht falsch, wird aber wegen der Umständlichkeit eines solchen Vorgehens niemals so gemacht. Wenn es sich nicht um einen Grenzfall[303] handelt, wird die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit der Prüfung einfach zugrunde gelegt, ohne weiter darauf einzugehen. Auch beim