nur eine Rechtsgutsgefährdung bewiesen. Hierdurch führt die Risikoerhöhungslehre zugleich zu einer unzulässigen Beweislastumkehr zu Lasten des Täters, da sie es in Fällen ungewisser Sachverhaltsentwicklung zur Aufgabe des Täters macht, nachzuweisen, dass der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten ausgeblieben wäre. Insoweit ist der Vorwurf des Verstoßes gegen den in dubio pro reo-Grundsatz gerade nicht entkräftet.[143] Mit der herrschenden Vermeidbarkeitstheorie ist daher im Lastwagen-Fall und in vergleichbaren Konstellationen die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zu verneinen.
|49|b) Fehlender Risiko- bzw. Schutzzweckzusammenhang
142Die objektive Zurechenbarkeit ist auch dann zu verneinen, wenn der eingetretene Erfolg außerhalb des Schutzzwecks der vom Täter verletzten Verhaltensnorm liegt, da sich dann gerade nicht die rechtlich missbilligte Gefahr verwirklicht.[144] Diese Fallgruppe wirkt sich insbesondere in den sog. Geschwindigkeitsüberschreitungs-Fällen[145] aus: A fährt auf der Landstraße zwischen den Orten X und Y statt der dort erlaubten 70 km/h durchschnittlich 130 km/h. Im Ort Y, wo er sich an die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit hält, springt zwischen zwei Autos plötzlich das Kind O vor den PKW des A und wird tödlich verletzt. Hätte A außerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten, wäre er später an der Unfallstelle gewesen. O hätte dann bereits die Straße überquert. – Zwar hat A einen Verstoß gegen die StVO begangen. Der Schutzzweck der Geschwindigkeitsbegrenzung ist jedoch darauf gerichtet, vor den Gefahren hoher Geschwindigkeiten in der jeweils kritischen Verkehrssituation zu bewahren. Diese Gefahren verwirklichen sich, wenn der KFZ-Führer infolge überhöhter Geschwindigkeit nicht mehr so bremsen kann, dass es „gerade noch einmal gut geht“. Dass eine bestimmte Stelle zeitlich später erreicht wird, liegt nicht im Schutzbereich der Norm. Im Beispielsfall hat sich also nicht die rechtlich missbilligte Gefahr verwirklicht.
143Auch bei sog. Schockschäden[146] scheitert die objektive Zurechnung des Erfolgs bereits unter dem Aspekt des fehlenden Schutzzweckzusammenhangs. Hiervon ist bspw. dann auszugehen, wenn O einen Herzinfarkt erleidet, als sie vom Tod ihres Ehemanns B erfährt, der von A fahrlässig getötet wurde. Zwar hat A durch die fahrlässige Tötung des B eine Ursache auch für den Herzinfarkt der O gesetzt. Jedoch ist der Schutzzweck der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte auf den unmittelbar Geschädigten begrenzt und erstreckt sich nicht darauf, auch andere vor den Folgen seelischer Erschütterungen zu bewahren.[147]
c) Atypischer Kausalverlauf
144Die Beantwortung der Frage, ob der konkrete Erfolg dem Täter auch dann objektiv zuzurechnen ist, wenn er auf einem atypischen Kausalverlauf beruht, muss unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Lebenserfahrung bei Berücksichtigung normativer Kriterien beurteilt werden.[148] Erscheint der Erfolg als zufällig eingetreten, so ist die objektive Zurechnung zu verneinen. In dem in Rn. 121 skizzierten Bsp. der besonderen allergischen Sensibilität des O gegen das Baumaterial der Mauer ist von einem atypischen Kausalverlauf auszugehen|50|, der die objektive Zurechnung unterbricht. Der Tod des O infolge der seltenen allergischen Sensibilität war nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht vorherzusehen.[149]
d) Eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten
145Selbst wenn die durch den zunächst Handelnden gesetzte Ursache bis zum Eintritt des Erfolges fortwirkt, ist ihm dieser nicht zuzurechnen, wenn ein Dritter vollverantwortlich eine rechtlich missbilligte Gefahr setzt, die sich allein im tatbestandlichen Erfolg realisiert.[150] Verletzt A den O schwer, aber nicht lebensbedrohlich, und kommt O dadurch ums Leben, dass dem ihn behandelnden Arzt B ein schwerwiegender Behandlungsfehler unterläuft, so ist A auf Grundlage der Conditio-sine-qua-non-Formel zwar für den Todeseintritt ursächlich geworden, jedoch ist ihm der Erfolg aufgrund des vollverantwortlichen Dazwischentretens von B nicht objektiv zuzurechnen.[151]
3. Leitentscheidungen
146BGHSt 24, 31, 34ff.; Rechtmäßiges Alternativverhalten: Ein KFZ-Fahrer fährt bei Dunkelheit mit einer BAK von 1,9 ‰ und einer Geschwindigkeit von 100 bis 120 km/h auf einer Bundesstraße. Dabei erfasst er einen Motorradfahrer und verletzt diesen tödlich. Ob der Unfall in nüchternem Zustand hätte vermieden werden können, kann nicht festgestellt werden. – Gleichwohl bejahte der BGH den Zurechnungszusammenhang. Entscheidend sei nicht, ob der Unfall im nüchternen Zustand hätte vermieden werden können; vielmehr sei danach zu fragen, ob der KFZ-Fahrer den Unfall vermieden hätte, wenn er mit einer an seine Alkoholisierung angepassten Geschwindigkeit gefahren wäre.
147BGHSt 24, 342, 343f.; Eigenverantwortliche Selbstgefährdung: Im Anschluss an den gemeinsamen Besuch einer Gaststätte fährt ein Polizeibeamter seine Bekannte nach Hause, wobei er seine geladene Pistole auf dem Armaturenbrett liegen hat. Die Bekannte, welche in diesem Zeitpunkt eine BAK von 1,45 ‰ aufweist, ergreift die Pistole und erschießt sich. Der Polizeibeamte wusste um ihre Selbstmordabsichten. – Der BGH sprach den Polizeibeamten vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei, da das Geschehen nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst sei. Das Verhalten der Bekannten sei als freiverantwortlich zu bewerten, so dass der Polizeibeamte sich mangels Vorliegen einer teilnahmefähigen Straftat nicht wegen vorsätzlicher Beihilfe strafbar machen könnte. Dann verböten es aber schon „Gründe der Gerechtigkeit“, ihn wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes zu bestrafen.
148|51|BGHSt 32, 262, 263ff.; Eigenverantwortliche Selbstgefährdung: Ein Drogenkonsument bereitet eine größere Menge Heroin zu und füllt diese in zwei Spritzen, von denen er sich eine selbst injiziert und die andere einem Freund zur Injektion überlässt, der ihm zuvor mitgeteilt hatte, dass er sich anderweitig keine Drogen mehr verschaffen kann. Der Freund verstirbt an der Injektion. Im Zeitpunkt des Todes wies er eine BAK von 1,03 ‰ auf. – Der Todeseintritt ist dem Überlassenden nicht zuzurechnen, da dieser lediglich eine bewusste Selbstgefährdung seines Freundes ermöglicht hat. Die Umstände reichen nicht aus, um ein nicht mehr eigenverantwortliches Handeln des Verstorbenen anzunehmen.
149BGHSt 33, 61, 63ff.; Rechtmäßiges Alternativverhalten: Ein KFZ-Fahrer fährt mit 140 km/h auf einer Vorfahrtsstraße. An einer Straßenkreuzung kollidiert er mit einem anderen KFZ-Fahrer, der unter Missachtung der Vorfahrtsregeln in diese hineingefahren ist. Wäre der erste Fahrer mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gefahren und hätte er den Bremsvorgang rechtzeitig eingeleitet, hätte er den Ort des Zusammenstoßes erst in dem Zeitpunkt erreicht, in dem der zweite Fahrer die Kreuzung bereits vollständig überquert hat. – Der Unfall ist dem ersten KFZ-Fahrer trotz der Missachtung der Vorfahrt durch den zweiten Fahrzeugführer zuzurechnen. Der Zurechnungszusammenhang entfällt nur dann, wenn der gleiche Erfolg auch bei verkehrsgerechtem Verhalten eingetreten wäre oder sich dies nicht ausschließen lässt. Auf das pflichtwidrige Verhalten anderer Personen kommt es grundsätzlich nicht an.
IV. Subjektiver Tatbestand, insbesondere der Tatbestandsvorsatz
150Soweit nicht die Strafbarkeit wegen der Verwirklichung eines Fahrlässigkeitsdeliktes geprüft wird, schließt sich an die Feststellung des objektiven Tatbestandes die Prüfung der subjektiven Tatbestandsmerkmale an. Aus § 15 StGB folgt hierbei, dass der Täter zumindest vorsätzlich gehandelt haben muss. Zusätzlich benennen einzelne Straftatbestände weitere subjektive Tatbestandsmerkmale, die selbständig neben dem Tatbestandsvorsatz stehen.[152] So setzt der Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 StGB voraus, dass der Täter eine fremde und bewegliche Sache in der Absicht wegnimmt, sich diese selbst oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, und eine Strafbarkeit wegen Betrugs fordert gemäß § 263 Abs. 1 StGB neben der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes, dass der Täter in der Absicht handelt, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Auch bei diesen Delikten bleibt es jedoch bei der Grundregel des § 15 StGB, d.h. der Täter macht sich nur strafbar, wenn er |52|vorsätzlich handelt. Die besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmale treten neben den Vorsatz und ersetzen ihn nicht. Da es sich bei ihnen um spezielle Strafbarkeitsvoraussetzungen der einzelnen Straftatbestände