Klaus Hoffmann-Holland

Strafrecht Allgemeiner Teil


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ihrerseits den Erfolg herbeigeführt hat.[113] Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn A dem O eine tödliche Dosis Gift verabreicht, O jedoch von B erschossen wird, noch bevor das Gift zu wirken beginnt. Der Kausalverlauf von der Handlung des A zum Tod des O wird „abgebrochen“, weil ein neuer Kausalzusammenhang an dessen Stelle tritt, den alten also „überholt“. Die von A gesetzte Bedingung kann für den Tod des O hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. Tatsächlich ursächlich geworden ist allein der B.

      115Keine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs ergibt sich allerdings allein daraus, dass noch andere Bedingungen zum Erfolg beigetragen haben. Dem Rotlicht-Fall des BGH lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Angeklagte von der Polizei angehalten wurde, weil er bei Dunkelheit ein KFZ ohne Rücklicht fuhr. Zunächst sicherte die Polizei den Verkehr durch Aufstellen einer |39|roten Lampe. Ein Polizist nahm die Lampe aber vorzeitig von der Fahrbahn. Unmittelbar darauf fuhr ein LKW auf das KFZ des Angeklagten auf, wobei der Beifahrer des auffahrenden LKW tödlich verletzt wurde. Trotz des nachfolgend pflichtwidrigen Verhaltens der Polizeibeamten bejahte der BGH das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten des Angeklagten und dem tödlichen Auffahrunfall: Voraussetzung für die Annahme des Ursachenzusammenhangs sei allein, dass „die ursprünglich für einen bestimmten Erfolg gesetzte Bedingung auch wirklich bis zum Eintritt des Erfolges fortgewirkt hat.“[114]

      116Anders als von der älteren Lehre vom Regressverbot angenommen, wird die Ursächlichkeit eines (fahrlässigen) Erstverhaltens auch nicht generell dadurch unterbrochen, dass ein vorsätzliches Zweitverhalten die zeitlich letzte Ursache für einen tatbestandlichen Erfolgseintritt begründet. Wenn etwa der Leiter einer Justizvollzugsanstalt einem erkennbar rückfallgefährdeten Vollzugsinsassen einen Hafturlaub (vgl. §§ 13 Abs. 1 i.V.m. 11 Abs. 2 StVollzG) gewährt, in dessen Verlauf der Vollzugsinsasse eine vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) verwirklicht, hat der Leiter durch die Urlaubsgewährung eine Ursache für den Körperverletzungserfolg gesetzt und kann sich nicht darauf berufen, dass die Begehung der Körperverletzung auf einem freien Entschluss des beurlaubten Vollzugsinsassen beruht.[115] Denn in dieser Konstellation unterbricht der vorsätzlich handelnde Begehungstäter, der an einen bereits in Gang gesetzten Kausalverlauf anknüpft, den Kausalverlauf nicht, sondern stellt lediglich das erforderliche Bindeglied zwischen den bereits gegebenen Bedingungen und dem tatbestandlichen Erfolgseintritt her.[116] Teilweise wird in dieser Konstellation allerdings eine Unterbrechung des objektiven Zurechnungszusammenhangs unter dem Gesichtspunkt des eigenverantwortlichen Dazwischentretens eines Dritten (dazu noch Rn. 145) angenommen.[117]

      d) Alternative Kausalität

      117Von alternativer Kausalität (oder „Doppelkausalität“) spricht man, wenn zwei Kausalverläufe, die durch voneinander unabhängige Handlungen in Gang gesetzt wurden, gleichzeitig zum Erfolg führen.[118] Sie liegt etwa dann vor, wenn A und B voneinander unabhängig jeweils eine tödliche Menge Gift in den Kaffee des O schütten, der infolge des Austrinkens des Kaffees verstirbt. Bei Zugrundelegung der Conditio-sine-qua-non-Formel ließe sich sowohl die Handlung des A als auch diejenige des B hinwegdenken, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele, so dass für beide die Kausalität zu verneinen wäre. Daher wird die Formel|40| der Äquivalenztheorie für Fälle der alternativen Kausalität modifiziert: Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, nicht jedoch kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, ist jede ursächlich für den Erfolg.[119] Da die Handlungen von A und B zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Tod des O entfiele, sind auf Grundlage der modifizierten Äquivalenztheorie beide ursächlich für den tatbestandlichen Erfolgseintritt.

      118Keine Schwierigkeiten bereitet die Fallkonstellation der alternativen Kausalität für die Vertreter der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung (hierzu Rn. 102f.). Da sowohl A als auch B eine tödlich wirkende Dosis Gift in den Kaffee des O geschüttet haben und dieser tatsächlich infolge des Trinkens des Kaffees verstorben ist, haben sowohl A als auch B eine Handlung vorgenommen, die nach den bekannten Naturgesetzen notwendig mit dem Tod des O verbunden ist.

      e) Kumulative Kausalität

      119Ein Fall der kumulativen Kausalität liegt vor, wenn mehrere unabhängig voneinander vorgenommene Handlungen den Erfolg erst durch ihr Zusammenwirken herbeiführen.[120] Sie ist etwa dann gegeben, wenn A und B unabhängig voneinander jeweils eine Giftmenge in den Kaffee des O schütten, die jede für sich genommen nicht tödlich wirkt, durch ihr Zusammenwirken jedoch eine tödliche Dosis ergeben.

      120Die Konstellationen der kumulativen Kausalität lassen sich durch einfache Anwendung der Conditio-sine-qua-non-Formel lösen, ohne dass diese modifiziert werden müsste. Da im Beispielsfall der Tod des O entfiele, wenn eine der beiden Giftmengen hinweggedacht wird, ist sowohl die Handlung von A als auch diejenige von B kausal für den Tod des O.

      f) Atypischer Kausalverlauf

      121Das Verhalten des Täters ist auch dann kausal für den konkreten Erfolg, wenn Letzterer aufgrund eines besonders untypischen Kausalverlaufs eingetreten ist. Von einem solchen ist dann auszugehen, wenn der eingetretene konkrete Erfolg weit außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Üblichen liegt. Stößt etwa A den O gegen eine Mauer und verstirbt O wegen einer besonders seltenen allergischen Sensibilität gegen das an sich ungefährliche Baumaterial, kann das Verhalten des A gleichwohl nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Tod des O entfiele (vgl. auch noch Rn. 144).[121]

      |41|3. Leitentscheidungen

      122BGHSt 1, 332, 333; Kausalität bei Erfolgsqualifikationen: Der Täter versetzt einem Kaufmann einen kräftigen Schlag auf die linke Gesichtshälfte, ohne hierbei einen Todeseintritt für möglich zu halten. Infolge des Schlages erleidet der Kaufmann eine Gehirnerschütterung, die zum Einriss von Blutadern der Hirnhäute und hierdurch zu seinem Tod führt. – Der Tod des Kaufmanns ist dem Täter im Rahmen einer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zuzurechnen. Auch bei den Erfolgsqualifikationen bestimmt sich der Ursachenzusammenhang zwischen Verwirklichung des Grunddeliktes und Eintritt der schweren Folge nach der Bedingungstheorie, so dass es nicht darauf ankommt, ob der Schlag nach allgemeiner Lebenserfahrung generell dazu geeignet war, den Tod zu verursachen.

      123BGHSt 2, 20, 23ff.; Hypothetische Kausalität: Ein Polizeipräsident verfügt gegenüber vier Personen die Einweisung in ein Konzentrationslager, wo drei von ihnen ums Leben kommen. Hätte er die Einweisung nicht angeordnet, wäre diese mit hoher Wahrscheinlichkeit durch seine vorgesetzte Behörde erfolgt. – Trotz dieser „Reserveursache“ ist die Einweisungserklärung des Polizeipräsidenten ursächlich für den Todeseintritt. Eine Handlung kann auch dann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele, wenn die hypothetische Möglichkeit besteht, dass ohne die Handlung des Täters ein anderer eine Handlung vorgenommen hätte, die ebenfalls den Erfolg herbeigeführt haben würde.

      124BGHSt 30, 228, 231f.; Hypothetische Kausalität: Ein KFZ-Führer fährt mit überhöhter Geschwindigkeit in eine ordnungsgemäß gesicherte Unfallstelle und verletzt dort zwei Personen. Wäre er mit einer den Sichtverhältnissen angepassten Geschwindigkeit gefahren, hätte er den Unfall vermeiden können. Stattdessen wäre jedoch der nach ihm fahrende Fahrzeugführer in die Unfallstelle gefahren und hätte zumindest eine der anwesenden Personen verletzt. – Das pflichtwidrige Verhalten des KFZ-Führers ist ursächlich für die Verletzung beider Personen. Der Ursachenzusammenhang wird nicht dadurch aufgehoben, dass bei ordnungsgemäßem Fahrverhalten seinerseits ein anderer Fahrzeugführer in die Unfallstelle gefahren wäre und dort die (teilweise) identischen Personenschäden herbeigeführt hätte.

      125BGHSt 37, 106, 114, 130ff.; Kausalität bei Kollegialentscheidungen (hierzu bereits Rn. 110): Die vier Geschäftsführer einer GmbH stimmen dafür, Ledersprays zu vertreiben. Die Beschlüsse der GmbH werden mit einfacher Abstimmungsmehrheit getroffen, d.h. auch für den Fall, dass ein Geschäftsführer mit „Nein“ gestimmt hätte, wären die Ledersprays aufgrund des Abstimmungsverhaltens der anderen drei vertrieben worden. – Kommt es infolge