Klaus Hoffmann-Holland

Strafrecht Allgemeiner Teil


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geworden ist. Ist im konkreten Fall die Frage nach der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts für einen Teilnehmer zu prüfen, so ist die Regelung in § 9 Abs. 2 StGB zu beachten, wonach sich der Tatort für den Teilnehmer nach dem Tatort der Haupttat und dem Ort der Teilnahmehandlung bestimmt. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts kann für einen Anstifter oder Gehilfen somit sowohl durch seinen eigenen Handlungsort als auch durch sämtliche Tatorte des Haupttäters begründet werden.

      2. Ausnahmen vom Territorialitätsprinzip

      70Über die §§ 4–7 StGB kann deutsches Strafrecht in bestimmten Konstellationen auch dann Anwendung finden, wenn weder Handlungs- noch Erfolgsort im Inland liegen und daher der nach dem Territorialitätsprinzip erforderliche Anknüpfungspunkt fehlt.[73] § 4 StGB enthält das sog. Flaggenprinzip, wonach deutsches Strafrecht für alle Taten gilt, die auf Schiffen oder Luftfahrzeugen begangen werden, die berechtigt sind, die Bundesflagge oder das Staatszugehörigkeitszeichen der BRD zu führen.

      71Die §§ 5 und 6 StGB enthalten jeweils einen Katalog von Straftaten, auf die deutsches Strafrecht auch dann Anwendung findet, wenn Sie im Ausland begangen werden. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs durch § 5 StGB beruht auf dem Staatsschutz-, dem Individualschutz-, dem aktiven Personalitäts- sowie dem Domizilprinzip. Zum Schutz bestimmter inländischer |24|Kollektiv- bzw. Individualrechtsgüter bzw. im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit des Täters oder den innerdeutschen Wohnsitz des Täters bzw. des Opfers soll deutsches Strafrecht für bestimmte Straftaten unabhängig davon Anwendung finden, ob der Tatort im In- oder Ausland begründet ist. Unerheblich für die Anwendung von § 5 StGB ist ferner, ob die Tat nach dem Recht des Tatorts unter Strafe steht. Demgegenüber ist § 6 StGB Ausdruck des Weltrechtsprinzips. Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ist hier, dass sich die benannten Taten gegen international anerkannte Werte richten, so dass die Strafverfolgung im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft liegt.

      72§ 7 StGB ist Ausdruck des aktiven und passiven Personalitätsprinzips sowie des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege. Mindestvoraussetzung für die einzelnen Varianten des § 7 StGB ist, dass die Auslandstat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. § 7 Abs. 1 StGB bringt das passive Personalitätsprinzip zum Ausdruck, wonach deutsches Strafrecht auf im Ausland begangene Taten Anwendung findet, die sich gegen einen Deutschen richten. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB sieht im Sinne eines eingeschränkten aktiven Personalitätsprinzips die Geltung des deutschen Strafrechts auch für Auslandstaten vor, wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist. § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB erfasst im Rahmen stellvertretender Strafrechtspflege Fälle der Nicht-Auslieferung von Ausländern.

      3. Leitentscheidungen

      73BGHNJW1991, 2498; Anwendung der §§ 3, 9 StGB bei Mittätern, Gehilfen und Nebentätern: Ein Generalmajor des Ministeriums für Staatsicherheit (MfS) der DDR bewirkt zusammen mit zwei Mitarbeitern des BND, dass in den Jahren 1974–1988 die jährlich vom BND herausgegebenen militärischen Lageberichte Ost an die Führung der DDR weitergeleitet werden. Der Generalmajor wird hierbei nur innerhalb des Staatsgebiets der DDR tätig, während die Mitarbeiter des BND auch innerhalb der BRD aktiv werden. – Unabhängig davon, ob der Generalmajor als Mittäter, Nebentäter oder lediglich als Gehilfe zur Tat nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Landesverrat) anzusehen ist, findet auf sein Verhalten bundesdeutsches Strafrecht nach §§ 3, 9 StGB Anwendung. Auch dem außerhalb der BRD handelnden Mittäter wird das Verhalten der im Inland agierenden Tatbeteiligten zugerechnet, so dass der durch das Tätigwerden der Mitarbeiter des BND begründete innerdeutsche Handlungsort auch dem Generalmajor zugerechnet werden kann. Im Fall der Beihilfe würde sich die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aus § 9 Abs. 2 StGB ergeben, wonach die Teilnahme auch am Begehungsort der Haupttat begangen ist. Ist der Generalmajor als Nebentäter anzusehen, ergibt sich die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts daraus, dass es sich bei § 94 StGB um ein konkretes Gefährdungsdelikt handelt und die konkrete Gefahr eines schweren Nachteils für die BRD im Inland eingetreten und daher der Erfolgsort i.S.v. § 9 Abs. 1 StGB im Inland begründet ist.

      74|25|BGHSt 42, 275, 276f.; Aktives Personalitätsprinzip (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB): Ein Westberliner Bürger erklärt sich im Jahr 1978 dazu bereit, für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR zu arbeiten. Als er 1982 erfährt, dass ein bekannter Athlet aus der DDR fliehen möchte, meldet er dies beim MfS, woraufhin der Athlet festgenommen und wegen „Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt im schweren Fall“ zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird. – Auf das Verhalten des Westberliner Bürgers findet deutsches Strafrecht über § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB Anwendung, so dass dieser aufgrund der Informierung des MfS und der anschließenden Inhaftierung des Athleten als „Täter hinter dem Täter“ wegen Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft (§§ 239, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) bestraft werden kann. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB fordert neben der deutschen Staatsangehörigkeit des Täters, dass die Tat auch am Tatort unter Strafe steht oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Zwar setzte eine strafbare mittelbare Täterschaft nach § 22 Abs. 1 StGB-DDR zwingend den Einsatz eines „selbst nicht verantwortlich“ Handelnden voraus, so dass der Westberliner Bürger nach DDR-Strafrecht nicht als „Täter hinter dem Täter“ bestraft werden könnte. Für § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB reicht es jedoch aus, dass das Tatortrecht unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Bestrafung für die Tat vorsieht, was in § 131 StGB-DDR für die Freiheitsberaubung der Fall war.

      75BGHSt 46, 212, 220ff.; Erfolgsort bei abstrakt-konkreten Gefährungsdelikten: Ein australischer Staatsbürger stellt von Australien aus wiederholt Artikel ins Internet, in denen er den Holocaust leugnet. – Der BGH wendet deutsches Strafrecht nach § 3 i.V.m. § 9 StGB an. Der Eintritt des Erfolges im Sinne des § 9 StGB erfolge bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten dort, wo die Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann. Bei § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB käme es insoweit auf die konkrete Eignung zur Friedensstörung in der BRD an, die bei Verbreitung der den Holocaust leugnenden Inhalte übers Internet zu bejahen sei.

      VII. Internationale Bezüge des Strafrechts

      76Schon die insbesondere durch die §§ 5–7 StGB begründete Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf bestimmte Auslandstaten verdeutlicht, dass das Strafrecht keine rein nationale Materie darstellt. Auch in weiteren Bereichen gewinnen die internationalen Bezüge des Strafrechts zunehmend an Bedeutung.[74] Eine maßgebliche Beeinflussung des nationalen Strafrechts erfolgt zunächst durch die Einbindung Deutschlands in die supranationale Rechtsordnung der EU. Als Reaktion auf schwerwiegende und systematische Menschenrechtsverletzungen wurde ein eigenständiges Völkerstrafrecht und in Deutschland ein Völkerstrafgesetzbuch entwickelt.[75]

      |26|1. Europarecht und Strafrecht

      77Ein Zusammenwirken von europarechtlichen Vorschriften und dem Strafrecht ist im Wesentlichen in zweierlei Hinsicht denkbar. Zum einen können auf europäischer Ebene selbständige Strafvorschriften existieren, welche entsprechend den Tatbeständen des StGB bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe stellen („Europäisches Strafrecht“ im engeren Sinne; hierzu sogleich Rn. 78). Von zum gegenwärtigen Zeitpunkt größerer Praxisrelevanz ist jedoch die mittelbare Beeinflussung, welche nationale (Straf-)Vorschriften durch das Europarecht erfahren. Sie ergibt sich insbesondere daraus, dass die nationalen Gesetzgeber keine Vorschriften erlassen dürfen, die im Widerspruch zu ihren europarechtlichen Verpflichtungen stehen. Darüber hinaus hat die Auslegung nationaler Vorschriften auf eine Art und Weise zu erfolgen, die dem Europarecht soweit wie möglich zur Geltung verhilft (vgl. hierzu bereits Rn. 32 sowie noch Rn. 79).

      a) „Europäisches Strafrecht“

      78Zum gegenwärtigen Zeitpunkt existiert kein eigenständiges Europäisches Strafrecht im klassischen Sinne.[76] Insbesondere verfügt die EU über kein eigenes Strafgesetzbuch mit unionsrechtlichen Strafnormen. Allerdings enthält der Vertrag über