Klaus Hoffmann-Holland

Strafrecht Allgemeiner Teil


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Betrachtung die Prüfungselemente des Tatbestandsvorsatzes als Grundvoraussetzung der subjektiven Erfolgszurechnung bei sämtlichen Vorsatzdelikten.

      1. Grundelemente des Vorsatzes

      151Der Begriff des Vorsatzes wird gesetzlich nicht definiert. § 15 StGB beschränkt sich auf den Hinweis, dass er regelmäßige Strafbarkeitsvoraussetzung ist, und § 16 Abs. 1 S. 1 StGB stellt lediglich fest, dass nicht vorsätzlich handelt, wer einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört.[153] Der zuletzt genannten Vorschrift kann freilich im Umkehrschluss entnommen werden, dass der Vorsatz zumindest die Kenntnis sämtlicher Umstände voraussetzt, die zum objektiven Tatbestand gehören[154] – erschießt der Jäger A den Pilzsammler O, den er in der Dunkelheit für ein Reh hält, handelt A im Hinblick auf die Verwirklichung des § 212 Abs. 1 StGB somit nicht vorsätzlich, da ihm bereits die Kenntnis fehlt, einen anderen Menschen zu töten.

      152Nach der heute herrschenden Auffassung stellt die Kenntnis vom Vorliegen sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale jedoch lediglich die Grundvoraussetzung des Vorsatzes dar.[155] Zusätzlich muss der Täter auch eine voluntative Komponente erfüllen, d.h. seine Handlung muss subjektiv auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes gerichtet gewesen sein.[156] Der Vorsatz setzt sich somit aus zwei Elementen zusammen, (1.) dem Wissen (kognitives Element) und (2.) dem Wollen (voluntatives Element) der Tatbestandsverwirklichung.[157] In der Fallbearbeitung ist daher regelmäßig folgende Definition zugrunde zu legen: „Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller objektiven Tatbestandsmerkmale“, oder als Kurzformel: „Vorsatz ist Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“.

      2. Zeitpunkt des Wissens: Simultaneitätsprinzip

      153Aus § 16 StGB ergibt sich das sogenannte Simultaneitätsprinzip, demzufolge der Vorsatz bei Begehung der Tat und damit in dem Zeitpunkt vorliegen muss, in dem der Täter die relevante Tathandlung ausführt. Ein Vorsatz, der vor der |53|Tat vorlag, bei Tatbegehung aber schon wieder aufgegeben war (sog. dolus antecedens), ist daher ebenso unbeachtlich wie ein Vorsatz, der erst nach Vornahme der Tathandlung gefasst wird (sog. dolus subsequens).[158] Erkennt Jäger A im obigen Bsp. (Rn. 151), dass er nicht ein Reh, sondern den O erschossen hat, und ist ihm dies äußert willkommen, da es sich bei dem O um den Liebhaber seiner Ehefrau handelt, den er schon seit Langem töten wollte, hat er den subjektiven Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB gleichwohl nicht erfüllt, da der Vorsatz nicht im Zeitpunkt der Tathandlung (Abgabe des Schusses) vorlag. Weist der Täter dagegen im Zeitpunkt der Tathandlung den erforderlichen Vorsatz auf, entfällt seine Strafbarkeit nicht schon dadurch, dass er im Zeitpunkt des Erfolgseintritts nicht mehr vorsätzlich handelt.

      154Vom Vorliegen der Tatumstände muss der Täter aktuelle Kenntnis haben, bloß potenzielle Kenntnis ist mithin nicht ausreichend. Dies bedeutet indes nicht, dass der Täter sämtliche Tatumstände im Moment des Handelns vollständig reflektieren muss. Es genügt ein sog. sachgedankliches Mitbewusstsein bzw. ständig verfügbares Begleitwissen.[159] Verwirklicht ein Amtsträger eine Körperverletzung im Amt, so ist für die Annahme des Tatbestandsvorsatzes zu § 340 Abs. 1 StGB bspw. nicht erforderlich, dass der Täter gerade im Zeitpunkt der Tathandlung daran denkt, dass er die Körperverletzung in seiner Stellung als Amtsträger verwirklicht. Vielmehr ist es ausreichend, dass er sich grundsätzlich über seine Amtsträgereigenschaft bewusst ist. Ebenso sind sich Polizeibeamte, die während ihrer Dienstzeit eine Straftat begehen, in der Regel darüber im Klaren, dass sie ihre Dienstwaffe bei sich tragen, selbst wenn sie hieran im Zeitpunkt der Tathandlung gar nicht denken.[160]

      3. Art des Wissens bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen

      155Die Wissensseite des Vorsatzes setzt Tatumstands- und Bedeutungskenntnis beim Täter voraus. Welche Anforderungen an die Wissenskomponente zu stellen sind, hängt davon ab, ob es sich bei dem zu prüfenden Tatbestandsmerkmal um ein deskriptives oder normatives handelt.

      156Deskriptive Tatbestandsmerkmale sind solche, deren Vorhandensein tatsächlich wahrgenommen werden kann (z.B. „Sache“ i.S.v. §§ 242 Abs. 1, 246 Abs. 1, 303 Abs. 1 StGB; „beweglich“ i.S.v. §§ 242 Abs. 1 StGB, 246 Abs. 1 StGB). Bei diesen ist erforderlich, dass der Täter die Gegebenheiten, die durch das jeweilige Gesetzesmerkmal bezeichnet werden, zutreffend erfasst. Notwendig ist Kenntnis bzgl. des tatsächlichen Sinngehalts.[161]

      157|54|Das Vorhandensein von normativen Tatbestandsmerkmalen kann dagegen regelmäßig nicht durch bloße Beobachtung festgestellt werden, sondern hängt von rechtlichen oder außerrechtlichen Normen ab. So sieht man bspw. einer Sache nicht an, ob sie fremd i.S.d. §§ 242 Abs. 1, 246 Abs. 1, 303 Abs. 1 StGB ist, vielmehr bedarf es hierfür einer Wertung, die sich nach den Eigentumsregelungen im BGB vollzieht. Bei normativen Tatbestandsmerkmalen ist das Wissenselement des Vorsatzes erfüllt, wenn der Täter ihre rechtlich-soziale Bedeutung erfasst. Dies fordert mehr als bloße Kenntnis, aber weniger als juristisch exakte Subsumtion, da andernfalls bestimmte Straftaten nur durch Juristen begangen werden könnten.[162] Die hiernach erforderliche und ausreichende Parallelwertung in der Laiensphäre liegt vor, wenn der Täter nach Laienart erfasst, was in der konkreten Situation rechtlich von ihm verlangt wird, ohne dass er in dem Bewusstsein handeln muss, einen ganz bestimmten Straftatbestand zu verwirklichen.[163] Fälscht bspw. A eine private Rechnung, von der er weiß, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis dient, genügt seine Vorstellung auch dann zur Bejahung des Vorsatzes bzgl. des Tatobjekts einer Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB, wenn er irrtümlich annimmt, Urkunden wären nur von öffentlichen Stellen ausgestellte Schriftstücke.

      4. Arten des Vorsatzes, insbesondere bedingter Vorsatz

      158Im Hinblick auf den Tatbestandsvorsatz sind drei Erscheinungsformen zu unterscheiden: Die Absicht (dolus directus 1. Grades), der direkte Vorsatz (dolus directus 2. Grades) und der bedingte Vorsatz (dolus eventualis). Eine andere Vorsatzform als den bedingten Vorsatz muss der Täter für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes nur dann aufweisen, wenn das Gesetz dies ausdrücklich anordnet.

      a) Absicht (dolus directus 1. Grades)

      159Bei der Absicht ist das voluntative Element im Sinne zielgerichteten Wollens am stärksten ausgeprägt. Unter Absicht ist der bestimmte, auf die Herbeiführung eines Erfolgs gerichtete Wille zu verstehen.[164] Es muss dem Täter also gerade darauf ankommen, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen bzw. dasjenige Tatbestandsmerkmal zu erfüllen, für das das Gesetz absichtliches Handeln fordert. Allerdings ist nicht erforderlich, dass der Umstand, hinsichtlich dessen Verwirklichung der Täter absichtlich handelt, sein Endziel ist. Es genügt, wenn er notwendiges Mittel (d.h. ein Zwischenziel) zur Erreichung |55|eines anderen Zwecks ist.[165] Tötet A den O, der ihn bei einem anderen Verbrechen beobachtet hat, so besteht sein Endziel darin, unentdeckt zu bleiben. Da er als „Zwischenziel“ jedoch den Tod des O anstrebt, handelt A diesbezüglich mit Absicht (und erfüllt zudem das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht gem. § 211 Abs. 2 Gruppe 3 Var. 2 StGB).

      160Steht fest, dass es dem Täter gerade darauf ankommt, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen, so liegt selbst dann ein absichtliches Handeln vor, wenn er den Erfolgseintritt lediglich für möglich hält. Ein Erfolg, auf dessen Verwirklichung es dem Täter ankommt, ist also immer auch beabsichtigt, selbst wenn der Täter nicht sicher weiß, ob er zur Tatbestandsverwirklichung auch wirklich in der Lage ist.[166]

      b) Direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades)

      161Direkter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter entweder weiß oder aber als sicher voraussieht, dass er den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht.[167] Einem weniger stark ausgeprägten voluntativen Element steht hier ein starkes kognitives Element gegenüber; der Täter sieht den Erfolg als sicher voraus und handelt trotzdem. Anders als bei der Absicht, wo es dem Täter gerade darum gehen muss, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen,