Klaus Hoffmann-Holland

Strafrecht Allgemeiner Teil


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die objektive Zurechnung des Erfolges und insbesondere die Frage, ob sich in diesem die vom Täter geschaffene Gefahr realisiert hat. Da die Verursachung einer Bewusstlosigkeit aber durchaus die Gefahr schafft, dass der Bewusstlose für tot gehalten und im Rahmen der Beseitigung der vermeintlichen Leiche ums Leben gebracht wird, ist die objektive Zurechnung im Jauchegruben-Fall und in vergleichbaren Konstellationen regelmäßig zu bejahen.[195]

      187Im Bereich des subjektiven Tatbestandes erscheint demgegenüber fraglich, ob der Täter mit dem erforderlichen Vorsatz gehandelt hat, da er in dem Zeitpunkt, in dem er die tatsächlich zum Erfolg führende Handlung vorgenommen hat, davon ausging, dass der Erfolg bereits eingetreten ist. Nach der älteren Lehre vom dolus generalis[196] sollen die beiden Einzelakte einen einheitlichen Geschehensablauf darstellen, so dass der zunächst bestehende Vorsatz des Täters auch während der zum Erfolg führenden Handlung fortwirkt. Nach dieser Auffassung wäre A im Jauchegruben-Fall nach § 212 Abs. 1 StGB zu bestrafen, da der im Zeitpunkt des Würgens bestehende Tötungsvorsatz auch noch im Zeitpunkt des Werfens der vermeintlichen Leiche in die Jauchegrube fortbestünde. Demgegenüber geht eine beachtliche Auffassung in der Literatur davon aus, dass die beiden Teilakte des Geschehens selbständig zu bewerten seien, mit der Folge, dass der Vorsatz erlösche, sobald der Täter annimmt, dass der tatbestandliche Erfolg eingetreten ist. Da er dann in demjenigen Zeitpunkt, in dem er den Erfolg tatsächlich herbeiführt, nicht mehr vorsätzlich handelt, sei er nicht aus einem vollendeten Vorsatzdelikt zu bestrafen.[197] Nach dieser Auffassung hätte sich A im Jauchegruben-Fall nicht nach § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, sondern wegen versuchten Totschlags gemäß §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB (durch das Würgen) in Tatmehrheit mit fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB (durch das Werfen in die Jauchegrube).

      188Der BGH überträgt demgegenüber die von ihm entwickelten Grundsätze zum Irrtum über den Kausalverlauf auch auf die Konstellation des späteren Erfolgseintritts und kommt hierdurch in der Regel zur Bejahung des Tatbestandsvorsatzes|66|.[198] Auch im Jauchegruben-Fall nahm er an, dass es sich im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren bewege, wenn ein irrtümlich für tot gehaltenes Opfer erst durch die Beseitigungshandlung ums Leben kommt. Da auch keine andere Bewertung der Tat geboten sei, läge eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs vor, mit der Folge, dass sich A wegen eines vorsätzlich begangenen, vollendeten Tötungsdelikts strafbar gemacht habe.

      3. Aberratio ictus

      189Der Begriff aberratio ictus (wörtliche Übersetzung: „Abirren des Pfeils“) bezeichnet den Fall des Fehlgehens der Tat.[199] Eine aberratio ictus liegt vor, wenn der vom Täter erwünschte Erfolg nicht bei dem von ihm anvisierten Objekt, sondern bei einem anderen, in der Tatsituation nicht anvisierten Objekt eintritt. Sind das getroffene und das anvisierte Tatobjekt wie im folgenden Beispielsfall tatbestandlich ungleichwertig, entspricht es allgemeiner Auffassung, dass die aberratio ictus beachtlich sein muss:[200] A will O erschießen, der gerade mit seinem Hund spazieren geht. A zielt auf O, trifft aber nur dessen Hund tödlich. – Eine vollendete Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) bzgl. des Hundes scheidet mangels Vorsatzes aus. Da kein Mensch gestorben ist, liegt auch kein vollendeter Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB), sondern nur ein versuchter Totschlag (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) vor. Da die fahrlässige Sachbeschädigung straflos ist, zieht die Tötung des Hundes in dieser Konstellation keine strafrechtliche Haftung nach sich.

      190Umstritten ist die Behandlung der aberratio ictus, wenn verfehltes und getroffenes Tatobjekt, wie im folgenden Beispielsfall, tatbestandlich gleichwertig sind: A will B, der gerade mit seinem Freund O spazieren geht, erschießen. A zielt auf B, trifft aber stattdessen den O tödlich. – Nach einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung soll die aberratio ictus in diesen Fällen den Vorsatz unbeeinflusst lassen, weil dieser den tatbestandsmäßigen Erfolg nur nach seinen gattungsbedingten Merkmalen umfassen müsse.[201] Da A im Beispielsfall einen anderen Menschen töten wollte und dies auch tatsächlich getan hat, hätte er sich hiernach gemäß § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Dass sich der tatbestandliche Erfolg bei einer anderen Person realisiert hat, als vom Täter gewollt, ist nach dieser Ansicht unerheblich. Teilweise wird demgegenüber vertreten, bei der aberratio ictus handle es sich um einen Unterfall des Irrtums über den Kausalverlauf, so dass es darauf ankäme, ob das Fehlgehen vorhersehbar war (dann lässt es den Vorsatz unberührt) oder nicht (dann ist |67|das Fehlgehen beachtlich).[202] Nur wenn man im Beispielsfall davon ausgeht, dass damit zu rechnen war, dass der Schuss nicht den B, sondern den O treffen würde, wäre A somit auch nach dieser Auffassung nach § 212 Abs. 1 StGB zu bestrafen.

      191Die überwiegende Auffassung geht demgegenüber zutreffend davon aus, dass die aberratio ictus in Fällen der tatbestandlichen Gleichwertigkeit nach den gleichen Kriterien zu behandeln ist, wie bei tatbestandlicher Ungleichwertigkeit, der Täter also hinsichtlich des anvisierten Tatobjekts allenfalls wegen Versuchs und hinsichtlich des tatsächlich getroffenen Objekts allenfalls wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts zu bestrafen ist.[203] Denjenigen Autoren, die für eine Unbeachtlichkeit der aberratio ictus bei tatbestandlicher Gleichwertigkeit eintreten, ist entgegenzuhalten, dass sie durch eine bloße Fiktion den Vorsatz zum Erfolg ziehen.[204] Dem Täter, der bereits ein bestimmtes Tatobjekt individualisiert hat, wird unterstellt, sein Vorsatz erstrecke sich auf ein beliebiges Objekt einer bestimmten Gattung. Gerade wenn es um die Verletzung von Leben und Gesundheit geht, ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine deutliche Konkretisierung des Tatobjekts vorliegt und aufgrund der Höchstpersönlichkeit der geschützten Rechtsgüter nicht unterstellt werden kann, dem Täter ginge es schlicht darum, ein Objekt der Gattung „Mensch“ zu verletzen. Gegen den Ansatz, der die aberratio ictus nach den Kriterien des Irrtums über den Kausalverlauf behandeln möchte, ist darüber hinaus einzuwenden, dass er dem Anwendungsbereich der aberratio ictus nicht hinreichend Rechnung trägt. Erkennt der Täter, dass ein Fehlgehen der Tat wahrscheinlich ist, und handelt trotzdem, wird er häufig auch hinsichtlich des tatsächlich getroffenen Objekts vorsätzlich handeln, so dass gar kein Fall der aberratio ictus vorliegt. Wenn etwa A im Beispielsfall erkennt, dass sein Schuss auch den O treffen könnte, sich hiermit jedoch abfindet, weil er den B unbedingt töten möchte, so handelt er auch hinsichtlich des Todes des O mit dolus eventualis, so dass er im Fall des Fehlgehens der Tat unproblematisch aus § 212 Abs. 1 StGB bestraft werden kann. Das Abstellen auf die Vorhersehbarkeit des Fehlgehens hilft also letztlich nicht weiter.

      192Den Besonderheiten der aberratio ictus entspricht es somit nur, wenn man die Konkretisierung auf ein bestimmtes Tatobjekt stets als wesentlich für den Vorsatz ansieht, so dass ein Fehlgehen der Tat unabhängig davon zum Vorsatzausschluss führt, ob anvisiertes und tatsächlich getroffenes Tatobjekt tatbestandlich gleichwertig oder ungleichwertig sind. Anders zu entscheiden ist nur, wenn der Täter die Möglichkeit des Fehlgehens und damit auch die Verletzung des Zweitobjekts in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Da hierfür im Ausgangsfall keine Anhaltspunkte bestehen, hat sich A im Hinblick auf B wegen eines versuchten Totschlags (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) und |68|im Hinblick auf O wegen einer fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) schuldig gemacht.

      4. Error in persona vel obiecto

      193Von der aberratio ictus abzugrenzen ist der error in persona vel obiecto, der Irrtum über die Identität der Person oder des Tatobjekts. In dieser Konstellation trifft der Täter zwar das von ihm anvisierte Tatobjekt, irrt sich jedoch über dessen Identität oder Eigenschaften.[205] Beim error in persona vel obiecto handelt es sich unproblematisch um einen beachtlichen Tatbestandsirrtum i.S.v. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, wenn vorgestelltes und tatsächlich angegriffenes Objekt tatbestandlich nicht gleichwertig sind.[206] Wenn also A den Hund seiner Nachbarn erschießt, den er in der Abenddämmerung für den Liebhaber seiner Frau gehalten hat, ist er nicht wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) zu bestrafen, da sich sein Vorsatz nicht auf die Zerstörung oder Beschädigung einer fremden Sache bezog.

      194Sind vorgestelltes und angegriffenes Tatobjekt tatbestandlich gleichwertig, liegt im Fall des error in persona vel obiecto demgegenüber ein unbeachtlicher Motivirrtum vor.[207] Daher ist A im