aber den herannahenden O, der B der Statur nach ähnlich sieht, für B. A schießt auf O, der auf der Stelle tot ist. – Anders als bei der aberratio ictus verfehlt A hier nicht das anvisierte Objekt. Vielmehr trifft er es, dieses hat nur eine andere als die vorgestellte Identität. Sein Vorsatz war aber auf das tatsächlich getroffene Objekt konkretisiert. Da sich der Vorsatz gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB nur auf die Umstände des gesetzlichen Tatbestandes beziehen muss und es nicht auf die Beweggründe und Ziele des Täters ankommt, wirkt sich seine Fehlvorstellung an dieser Stelle nicht aus.
195Schwierigkeiten kann die Abgrenzung zwischen aberratio ictus und error in persona vel obiecto bereiten, wenn der Täter das angegriffene Objekt nicht optisch wahrnimmt.[208] Dies ist etwa in den viel zitierten Sprengfallen-Konstellationen der Fall: A will B durch einen Sprengsatz töten. Er bringt unter einem PKW, der vor der Garage des Hauses von B steht, eine Granate an, die beim Losfahren zünden soll. A geht davon aus, dass der PKW dem B gehört und von diesem benutzt wird. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um das Fahrzeug von Bs Nachbarn O. Als O losfährt, zündet die Granate; |69|O wird dabei getötet.[209] – Zwar könnte man erwägen, einen Tötungsvorsatz des A abzulehnen, weil dieser die Gefahr, dass ein anderer als B den PKW nutzen würde, nicht erkannt hat. Doch liegt nur ein error in persona vor: A hat das getötete Opfer „durch das zur Sprengfalle umfunktionierte Fahrzeug mittelbar individualisiert“.[210] Es wurde der Vorstellung des A entsprechend derjenige getötet, der den PKW benutzt. Auf die Person, die sich dem geplanten Ablauf entsprechend verhält, ist der Tötungsvorsatz konkretisiert. In diesem Fall liegt bei fehlender optischer Wahrnehmung des angegriffenen Objekts eine als Motivirrtum unbeachtliche Identitätsabweichung vor. A handelt also mit Tötungsvorsatz bzgl. O. Ebenso wäre dementsprechend zu entscheiden, wenn eine Briefbombe von einer anderen Person als dem Adressaten geöffnet wird.
196Denkbar ist zuletzt auch ein Zusammentreffen von aberratio ictus und error in persona:[211] A möchte O töten und lauert diesem am Straßenrand auf. Als B sich dem A nähert, hält dieser ihn aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse für O und gibt einen Schuss ab. Der Schuss verfehlt jedoch den B, prallt an einer Straßenlaterne ab und trifft den O, der sich gerade dem Ort des Geschehens nähert, ohne von A wahrgenommen worden zu sein. – Obgleich A hier im Ergebnis diejenige Person getroffen hat, die er töten wollte, ist er nicht wegen eines vollendeten vorsätzlichen Tötungsdeliktes zu bestrafen. Im Zeitpunkt der Tathandlung (Abgabe des Schusses) war sein Vorsatz allein auf den B konkretisiert. Da er hinsichtlich eines Fehlgehens der Tat und der Tötung einer anderen Person nicht mit dolus eventualis handelte, liegt eine aberratio ictus vor, die trotz Gleichwertigkeit von anvisiertem und tatsächlich getroffenem Tatobjekt beachtlich ist (vgl. bereits Rn. 192). Somit ist A nur wegen eines versuchten Tötungsdeliktes in Bezug auf B und ggf. wegen einer fahrlässigen Tötung in Bezug auf O zu bestrafen. Treffen aberratio ictus und error in persona in einem Fall zusammen, ist dieser folglich nach den für die aberratio ictus geltenden Grundsätzen zu lösen.
5. Leitentscheidungen
197BGHSt 14, 193, 194f.; Späterer Erfolgseintritt (hierzu auch schon Rn. 185ff.): Die Täterin steckt einer Bekannten Sand in den Mund, bis sie diese für tot hält. Um die Spuren der Tat zu beseitigen, wirft sie die Bekannte in eine Jauchegrube. Tatsächlich war diese zu diesem Zeitpunkt lediglich bewusstlos, ertrinkt jedoch in der Jauchegrube. – Die Täterin hat durch die erste Tathandlung ein vorsätzliches Tötungsdelikt verwirklicht. Dass ein bereits für tot gehaltenes Tatopfer erst durch eine Beseitigungshandlung verstirbt, lässt den Vorsatz nicht entfallen, da sich dieses Geschehen im Rahmen des nach |70|allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren bewegt und insoweit ein unbeachtlicher Irrtum über den Kausalverlauf vorliegt.
198BGHSt 23, 133, 135f.; Unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs: Der Täter möchte eine Bekannte töten und ergreift hierfür ein Messer. Als er mit dem Zustechen beginnt, wird er infolge einer Affektamnesie zurechnungsunfähig. Die Bekannte verstirbt infolge des wiederholten Zustechens. – Trotz der Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt des Zustechens bejahte der BGH die Voraussetzungen eines vorsätzlichen vollendeten Tötungsdeliktes. Der Täter habe bereits vor dem Eintritt der Zurechnungsunfähigkeit mit der Tatausführung begonnen. Dass das Zustechen im Zustand der Schuldunfähigkeit erfolgte, stelle eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf dar, da ein Nichteintreten der Affektamnesie allenfalls zur Folge gehabt hätte, dass der Täter weniger schnell und weniger häufig zugestochen hätte.
199BGHSt 34, 53, 54f.; Aberratio ictus: Der Täter fährt mit seinem Auto auf den Liebhaber seiner ehemaligen Freundin zu, um diesen zu töten. Der Liebhaber springt rechtzeitig zur Seite und wird nur leicht gestreift. Stattdessen wird die hinter ihm stehende Freundin vom Auto erfasst und schwer verletzt. Hiermit hat der Täter nicht gerechnet. – Bzgl. des Liebhabers hat sich der Täter wegen versuchten Totschlags, bzgl. der Freundin lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung strafbar gemacht. Wirkt sich die Tat ohne Verwechslung des Angriffsobjekts an einem anderen Menschen aus (aberratio ictus), so liegt diesbezüglich eine vorsätzliche Tatbestandserfüllung allenfalls dann vor, wenn der Täter weiß, dass dieser Erfolg eintreten kann, und er dies billigend in Kauf nimmt.
200BGHSt 38, 32, 34ff.; Wesentliche Abweichung des Kausalverlaufs: Ein deutscher Staatsangehöriger erwirbt in Marokko 15 kg Haschisch und übergibt diese einem Drogenkurier zwecks Einführung in die BRD. Während einer Übernachtung in Spanien wird dem Kurier das Haschisch von einem Dritten entwendet, der dieses anstelle des Kuriers in die BRD einführt. – Die Einfuhr der Drogen durch den Dritten ist nicht vom Vorsatz des Erwerbenden umfasst. Für ihn war nicht ersichtlich, dass das Haschisch unabhängig vom Einfluss- und Herrschaftsbereich des Kuriers in die BRD eingeführt werden würde, so dass eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf vorliegt.
201BGHNStZ 2001, 29, 30; Unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs: Die Täterin versetzt einer bereits schwer verletzten Bekannten mit Tötungsabsicht mehrere wuchtige Messerstiche. Beim letzten Stich bleibt das Messer so fest im Gesicht der Bekannten stecken, dass die Täterin es nicht mehr herausziehen kann. Da sie die Bekannte für tot hält, berichtet sie ihrem Freund von dem Geschehen, der darauf beschließt, die Spuren der Tat zu beseitigen. Als er bemerkt, dass die Bekannte noch lebt, schlägt der Freund zunächst mit einer Wasserflasche auf ihren Kopf ein und würgt sie anschließend bis zur Regungslosigkeit. Ob die Bekannte an den Folgen der (den Sterbevorgang möglicherweise verkürzenden) Schläge mit der Wasserflasche oder nach diesen Schlägen in Folge der Messerstiche durch Verbluten verstirbt, kann nicht festgestellt|71| werden. – Die Täterin ist strafbar wegen eines vorsätzlich begangenen, vollendeten Tötungsdeliktes. Dass die genaue Todesursache nicht eindeutig festgestellt werden kann, ist für die objektive Erfolgszurechnung unerheblich, da die Täterin in jedem Fall eine bis zum Todeseintritt fortwirkende Ursache gesetzt hat, die durch das Eingreifen ihres Freundes nicht abgebrochen wurde. Dass die Täterin irrig davon ausging, die Bekannte sei bereits nach dem letzten Zustechen ums Leben gekommen, ist für die Bejahung des Tatbestandsvorsatzes ohne Bedeutung, da sich der Geschehensablauf im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren bewegt und mithin eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs vorliegt. Der Freund der Täterin hat sich demgegenüber lediglich wegen eines versuchten Tötungsdeliktes strafbar gemacht, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Verhalten für den Todeseintritt nicht ursächlich geworden ist.
VI. Exkurs: HIV-Fälle und strafrechtlicher Tatbestand
202Besondere Schwierigkeiten bereitet in der Fallbearbeitung häufig die Behandlung der sog. „HIV-Fälle“, in denen der Täter in Kenntnis seiner HIV-Infizierung ungeschützten Geschlechtsverkehr mit seinem Sexualpartner hat, ohne diesen über seine Erkrankung aufzuklären. Problematisch ist bereits die Frage nach dem einschlägigen Tatbestand. In Betracht kommen sowohl Körperverletzungs- als auch Tötungsdelikte, die für eine Vollendungsstrafbarkeit jedoch voraussetzen, dass der Täter durch sein Verhalten ursächlich einen bestimmten Erfolg herbeigeführt hat. Somit wäre erforderlich, dass die Infizierung einer anderen Person mit dem HI-Virus nachweislich auf dem Geschlechtsverkehr gerade mit dem Täter beruht. Insbesondere in der Konstellation mehrfach wechselnder Sexualpartner ist es in der Praxis jedoch regelmäßig