Sibylle Hofer

Leitfaden der Rechtsgeschichte


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et quod superfluum est abscidat.

      So schien es Uns denn geboten, im Vertrauen auf des allmächtigen Gottes Gnade das vorliegende verbesserte Gesetzbuch zu erlassen, das alle früheren Gesetze neu fasst und berichtigt, Lücken ausfüllt und das, was überflüssig ist, abstößt.

      Als Initiator der Aufzeichnung benennen die Prologe meist den König des jeweiligen Stammes. Zudem erwähnen sie regelmäßig eine Zustimmung hochstehender Persönlichkeiten oder des gesamten Volkes. Gesicherte Kenntnisse über den Akt der Rechtsetzung fehlen allerdings. Im Hintergrund stand die Begegnung mit dem spätrömischen Vulgarrecht (s. Rn. 26) in den neuen Siedlungsgebieten (s. Rn. 63). Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Texte in lateinischer Sprache verfasst wurden. In inhaltlicher Hinsicht führte die Kenntnis des römischen Rechts jedoch höchstens punktuell zu Veränderungen bei den Rechtsgewohnheiten der germanischen Völkerschaften.

       Die Rechtsaufzeichnungen verfolgten nicht das Ziel, das Recht der jeweiligen Völkerschaft umfassend darzustellen. Vielmehr wurden nur einzelne Aspekte angesprochen. Dazu gehörten meist die Themenbereiche Ehe, Erbe und Grundeigentum. Im Zentrum standen Bestimmungen, die Straftaten betrafen (s. Rn. 79 ff.).

      Begriffliches: Für die Rechtsaufzeichnungen der germanischen Völkerschaften werden in der Literatur verschiedene Oberbegriffe verwendet, die teilweise eng mit bestimmten Geschichtsbildern verbunden sind. So lag der Bezeichnung als Leges barbarorum (Gesetze der Barbaren) die Vorstellung von den germanischen Völkerschaften als Zerstörern des Römischen Reichs zugrunde. Der Ausdruck Volksrechte stammt aus dem 19. Jahrhundert. Er war damals mit den Gedanken verbunden, dass Recht aus der Volksüberzeugung erwachse (s. Rn. 303) und dass die Rechtsaufzeichnungen der germanischen Völkerschaften eine Erkenntnisquelle für das Recht des deutschen Volkes bildeten. Die Bezeichnung Germanenrechte wurde vor allem von nationalsozialistischen Rechtswissenschaftlern verwendet. Diese zogen Verbindungslinien zwischen den Rechten germanischer Völkerschaften und der nationalsozialistischen Rechtsgestaltung (s. Rn. 404).

      In Abgrenzung zu solchen problematischen Geschichtsbildern werden in der modernen Literatur überwiegend die Begriffe „Stammesrechte“ oder „Leges“ verwendet. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass beide Ausdrücke nicht ganz präzise sind: Bei der Verwendung von Leges (Gesetze) ist zu beachten, dass es sich nicht um eine Gesetzgebung im heutigen Sinn handelt, sondern weitgehend um Rechtsaufzeichnungen. Stammesrechte ist insofern ungenau, als die einzelnen Völkerschaften keine ethnischen Einheiten darstellten.

      68. Anordnungen der Herrscher

      Nach der Aufzeichnung eines Stammesrechts erfolgten Rechtsfortbildungen durch Anordnungen der Herrscher. Diese Anordnungen wurden teilweise in spätere Abschriften der Leges eingefügt. Im Fränkischen Reich (s. Rn. 64) fand eine deutliche Abgrenzung zwischen altem Recht und neuen Vorschriften (sog. Kapitularien, benannt nach der Einteilung in Kapitel) statt. Die Kapitularien enthielten unter anderem Rechtsetzungen und Verwaltungsmaßnahmen für den weltlichen oder kirchlichen Bereich. Sie wurden vom König erlassen, der mitunter die Zustimmung einer Volksversammlung einholte.

       3.2.1.Grundzüge

      69. Friede als Zielsetzung

      Den Rechtsaufzeichnungen sowie -setzungen lag ein hoheitlicher Gestaltungswille zugrunde. Dieser war vor allem darauf gerichtet, ein friedliches Zusammenleben zu sichern:

      Edictum Rothari (Edikt des langobardischen Königs Rothar, 643), Prolog: In unum previdimus volumine conplectendum, quatinus liceat unicuique salva lege et iustitia quiete vivere, et propter opinionem contra inimicos laborare, seque suosque defendere fines.

      Und in ein Ganzes wollten Wir es [sc. das Recht] zusammenfassen, auf dass ein jeder nach Gesetz und Recht sein friedlich Leben führe und im Vertrauen darauf sich desto williger gegen den Feind einsetze, sich und sein Heimatland verteidige.

      Entsprechend dieser Zielsetzung bestand ein zentraler Aspekt der Leges darin, Anreize für einen Verzicht auf gewalttätige Rachemaßnahmen zu schaffen. In diesem Kontext wurden auch einzelne Aspekte des gerichtlichen Verfahrens sowie der hoheitlichen Strafverfolgung thematisiert. Es gab jedoch kein staatliches Gewaltmonopol. Die Rechtsdurchsetzung beruhte weitgehend auf privater Selbsthilfe.

      70. Ausdehnung von Verfügungsmöglichkeiten

      Der Umfang der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten für Einzelpersonen war von traditionellen Vorstellungen, wie etwa dem Gedanken der Familienbindung, geprägt. Es kam jedoch zu Erweiterungen der Verfügungsmöglichkeiten, die auf Einflüsse christlicher Lehren sowie römischer Rechtsinstitute hindeuten.

       3.2.2.1.Gestaltungsfähige Personen

      71. Unfreiheit und Munt

      Zahlreiche Personengruppen konnten nicht bzw. nur eingeschränkt rechtlich wirksam handeln. Unfreie waren nicht in der Lage, ohne Zustimmung ihres Herrn Rechtsgeschäfte abzuschließen. Einschränkungen ergaben sich zudem aus der sog. Munt. Dabei handelte es sich um ein Schutz- und Herrschaftsverhältnis, das unter anderem die Vermögensverwaltung durch den Inhaber der Munt umfasste (ähnlich der Vormundschaft – ein Begriff, der sich an den Ausdruck „Munt“ anlehnt). Ein solches Verhältnis bestand zwischen einem Vater und seinen Kindern. Letztere konnten daher bis zum Ausscheiden aus dem Haushalt (Abschichtung, z. B. anlässlich der Heirat) keine wirksamen Verfügungen treffen. Auch Ehefrauen standen unter einer Munt, regelmäßig derjenigen ihres Ehemannes.

      72. Form und Inhalte

      Die Stammesrechte enthielten nur wenige Regelungen zu Verträgen. Häufig ordneten sie für wichtige Geschäfte die Beachtung bestimmter Formen an, wie etwa die Anfertigung von Urkunden oder die Hinzuziehung von Zeugen (Beispiel s. Zitat in Rn. 73). Damit wurde Klarheit über den Vertragsschluss geschaffen und ein Beweis ermöglicht. Inwieweit in inhaltlicher Hinsicht Gestaltungsfreiheit bestand, lässt sich aus den Quellen nicht klären. Sicher ist, dass auch Verfügungen über die eigene Person als zulässig angesehen wurden. Freie konnten ihren Status aufgeben und sich zum Eigentumsobjekt einer anderen Person machen. Derartige Selbstverknechtungen erfolgten etwa im Fall von Zahlungsunfähigkeit.

      In einigen Stammesrechten wurde betont, dass Eigentumsübertragungen an die Kirche zulässig seien:

      Lex Baiuvariorum (Gesetz der Bayern, 8. Jh.), Titel I, 1:

      Ut si quis liber persona voluerit et dederit res suas ad ecclesiam pro redemptione animae suae, licentiam habeat de portione sua, postquam cum filiis suis partivit. Nullus eum prohibeat, non rex, non dux, nec ulla persona habeat potestatem prohibendi ei. Et quicquid donaverit, villas, terra, mancipia