33). Diese verloren infolgedessen ihre praktische Bedeutung. Daher wurden keine Abschriften mehr angefertigt und noch existierende Bücher teilweise mit anderen Texten überschrieben. Im 19. Jahrhundert gelang es, unter einem anderen Text das Anfängerlehrbuch eines Juristen namens Gaius sichtbar werden zu lassen (Institutionen des Gaius, Beispiel s. Rn. 54). Dieses Buch ist von dem gleichnamigen Teil des Corpus iuris civilis zu unterscheiden (der Titel beruhte jeweils auf dem Begriff „institutio“: Unterricht). Die Institutionen des Gaius enthalten wichtige Informationen über ältere Rechtszustände, die im Corpus iuris civilis nicht mehr erwähnt werden, weil sie im 6. Jahrhundert n. Chr. als überholt galten.
40. Prozessuale Perspektive
Im Zentrum der römischen Rechtsordnung stand die gerichtliche Rechtsdurchsetzung. Schon im Zwölftafelgesetz bildete das Gerichtsverfahren ein wichtiges Thema. Die erste Tafel verpflichtete vermutlich gleich zu Beginn jede Person, vor Gericht zu erscheinen, wenn gegen sie eine Klage erhoben wurde. Auch in späteren Zeiten war insbesondere das Privatrecht durch eine prozessuale Perspektive geprägt. Die Edikte der Prätoren (s. Rn. 34) dokumentieren, dass keine strikte Trennung zwischen dem materiellen Zivilrecht und dem Prozessrecht erfolgte. Vielmehr erfuhren materiell-rechtliche Ansprüche in den Edikten eine Regelung unter dem Gesichtspunkt der Klagemöglichkeit.
41. Tendenzen
Der prozessualen Sichtweise entsprach es, dass in den Juristenschriften die Lösung von Einzelfällen im Vordergrund stand. Bei deren Beurteilungen lassen sich gewisse leitende Tendenzen ausmachen, die von den römischen Juristen allerdings nicht in Gestalt von Grundsätzen formuliert wurden. Als eine Tendenz kann festgehalten werden, dass Privatpersonen viel Freiraum bei der Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen erhielten. Allerdings kam dieser Freiraum nur einer sehr kleinen Personengruppe zu, nämlich allein freien Männern, welche die Stellung eines Familienoberhaupts (pater familias) hatten. Außerdem schränkten Konstitutionen der späten Kaiserzeit die Gestaltungsmöglichkeiten erheblich ein.
2.2.2.Private Rechtsgestaltung
2.2.2.1.Gestaltungsfähige Personen
42. Sklaven
Etliche Personengruppen konnten ihre Rechtsbeziehungen gar nicht oder nicht vollständig selbst regeln. Sklaven standen im Eigentum ihres Herrn. Sie wurden wie Sachen behandelt. Alles, was ein Sklave erwarb, ging – wie heute bei der Stellvertretung – automatisch in das Eigentum seines Herrn über.
43. Kinder und Frauen
Eheliche Kinder waren in ihren Verfügungen durch die Gewalt ihres Vaters (patria potestas) beschränkt. Diese hatte zur Folge, dass Kinder nicht für sich selbst Rechte und Pflichten begründen konnten. Anders als heute endete eine solche Geschäftsunfähigkeit nicht mit einem bestimmten Alter, sondern dauerte grundsätzlich so lange an, wie der Vater lebte.
Auch Frauen konnten nicht selbständig ihre Rechtsbeziehungen gestalten. Sie standen in der Gewalt entweder ihres Vaters oder ihres Ehemanns. Unverheiratete Frauen, deren Vater nicht mehr lebte, benötigten für den Abschluss von Rechtsgeschäften die Zustimmung eines Vormunds. Als Begründung wurde der Schutz vor nachteiligen Geschäften angeführt. Die Zustimmung scheint allerdings im Laufe der Zeit eine reine Formsache geworden zu sein, die sogar erzwungen werden konnte.
44. Bedeutung des Bürgerrechts
Für die Rechtsstellung einer Person spielte zum Teil auch das Bürgerrecht eine Rolle. So gab es Rechtsregeln und Rechtsgeschäfte, die nur für Römer galten (ius civile, wobei der Begriff „civile“ bzw. „civis“ hier eng zu verstehen ist und sich nur auf Inhaber des römischen Bürgerrechts bezieht, s. Rn. 36). Nichtrömer (peregrini: Fremde) wurden grundsätzlich nach dem Recht ihres Herkunftslandes beurteilt (s. Rn. 32). Für Rechtsbeziehungen zwischen Römern und Fremden war das „Völkerrecht“ (ius gentium) maßgebend. Darunter verstand man Regeln, die für alle Menschen – unabhängig von ihrem Bürgerrecht – galten.
45. Formalismus der Frühzeit
Zu Beginn der Republik gab es nur eine kleine Anzahl von Rechtsgeschäften, die für eine Übertragung von Rechten oder für Leistungsversprechen zur Verfügung standen. Diese Geschäftsarten waren nur römischen Bürgern zugänglich und von einem strengen Formalismus geprägt. Für einen wirksamen Abschluss mussten bestimmte Worte oder symbolische Handlungen verwendet werden. Ein Beispiel dafür bildet die Stipulation. Dabei handelte es sich um ein mündliches Versprechen unter Anwesenden, bei dem bestimmte Begriffe gebraucht werden mussten. In inhaltlicher Hinsicht bestand dagegen Gestaltungsfreiheit. Voraussetzung war lediglich eine genaue Beschreibung der zu erbringenden Leistung.
46. Vertragstypen
Rechtsfortbildungen führten dazu, dass der Spielraum bei der Ausgestaltung von Rechtsgeschäften vergrößert wurde. Eine wichtige Rolle spielte in dem Zusammenhang das Edikt des Prätors (s. Rn. 34). Die Edikte erkannten im Laufe der Zeit auch einzelne Ansprüche an, die sich allein auf formlose Vereinbarungen stützten. Damit wurde es möglich, Verpflichtungen vor Gericht geltend zu machen, die auf einem Konsens der Parteien beruhten, welcher nicht in Form der Stipulation erklärt worden war. Allerdings beschränkte sich die Anerkennung solcher Verpflichtungen auf bestimmte Vertragsinhalte. Nur für Kaufverträge, Miet-, Pacht-, Dienst- und Werkverträge, Gesellschaftsverträge sowie Aufträge galt der Konsens der Parteien als ausreichend für eine wirksame Verpflichtung (sog. Konsensualkontrakte). Für andere Vertragsinhalte waren demgegenüber weiterhin zusätzliche Voraussetzungen für die Entstehung eines einklagbaren Anspruchs notwendig, wie etwa die Übergabe einer Sache oder die Stipulationsform. Die Aufzählung zulässiger Vertragsarten im Edikt vermittelt somit das Bild einer Beschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten auf bestimmte Vertragstypen (Typengebundenheit, auch genannt: numerus clausus [abgeschlossene Zahl] von Vertragsarten).
47. Formlose Vereinbarungen
Weitere Rechtsfortbildungen erfolgten durch die Rechtswissenschaft. Juristen sahen formlose Vereinbarungen auch dann als wirksam an, wenn Leistungspflichten vereinbart wurden, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) standen. Für formlose Vereinbarungen, die weder zum Kreis der anerkannten Konsensualverträge gehörten noch gegenseitige Leistungsverpflichtungen festlegten (sog. „nackte“ Vereinbarungen), blieb es jedoch dabei, dass sie nicht eingeklagt werden konnten:
Corpus iuris civilis, Digesten 2, 14, 7, 4 (Ulpian im 4. Buch zum Edikt): Sed cum nulla subest causa, propter conventionem hic constat non posse constitui obligationem: igitur nuda pactio obligationem non parit, sed parit exceptionem.
Wenn aber keine zweckbestimmte Leistung vorliegt, steht fest, dass dann durch ein bloßes Übereinkommen ein Schuldverhältnis nicht begründet werden kann. Eine bloße formlose Abrede [wörtlich: nackte Vereinbarung] bringt also kein Schuldverhältnis [obligatio] hervor, sondern nur eine Einrede.
Immerhin sprachen Juristen „nackten“ Vereinbarungen eine gewisse Wirkung zu, indem sie eine Verwendung als Einrede (Gegenrecht gegen einen Anspruch) zuließen. Damit war es beispielsweise möglich, gegen einen Zahlungsanspruch geltend