Sibylle Hofer

Leitfaden der Rechtsgeschichte


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[Blankett für den Beklagten] einen silbernen Tisch in Verwahrung gegeben hat und dieser Tisch aufgrund von Arglist des Beklagten dem Kläger nicht zurückgegeben worden ist, dann sollst du, Richter, den Beklagten dazu verurteilen, dem Kläger so viel Geld zu zahlen, wie die Sache wert ist. Wenn es sich nicht erweist, sollst du ihn freisprechen.

      Nach der Sachverhaltsermittlung wurde das Urteil gefällt. Zuständig dafür waren Gerichte. Diese setzten sich aus Privatpersonen zusammen, die für den jeweiligen Prozess aus einer Richterliste zusammengestellt wurden.

      Bei Zivilprozessen urteilte in der Regel ein Einzelrichter, der vom Prätor bestimmt wurde. In Fällen von besonderem Interesse waren bis zu elf oder sogar über 100 Personen als Richter beteiligt. Letzteres war etwa der Fall bei der Anfechtung von Testamenten wegen Pflichtwidrigkeit (s. Rn. 52).

      Strafgerichtsbarkeit

      Für die Verfolgung von Straftaten wurden zunächst nur fallweise Gerichte eingesetzt. Ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. gab es dann ständige Gerichtshöfe, die jeweils für die Aburteilung bestimmter Straftaten zuständig waren (z. B. je ein Gerichtshof für Hochverrat, für Hinterziehung von Staatseigentum, für Mord, für Fälschungen von Testamenten und Münzen). Bei Strafprozessen leitete der Prätor die Gerichtsverhandlung.

      Die Gerichtsverfassung erfuhr seit dem Prinzipat (s. Rn. 23) grundlegende Veränderungen. Neben die bisherigen Gerichte und Prozessregeln trat eine zweite, außerordentliche Form der Gerichtsbarkeit. Diese nahm eine Kompetenz zur Entscheidung sämtlicher Arten von Zivil- und Strafprozessen in Anspruch. Bei außerordentlichen Gerichten war eine Person als Richter tätig. In die Zuständigkeit des Richters fielen die Durchführung des Verfahrens sowie die Urteilsfällung. Die Richter wurden vom Kaiser bestimmt. Teilweise übernahmen die Kaiser selbst das Richteramt.

      Die außerordentliche Gerichtsbarkeit hatte auch Auswirkungen auf die Gestaltung des Verfahrensrechts. Bei Zivilprozessen entfiel die bisherige Zweiteilung. Außerdem bestand keine Bindung mehr an Formeln. Etwa im 3. Jahrhundert n. Chr. verdrängte die außerordentliche Gerichtsbarkeit in Rom vollständig das Formularverfahren.

      57. Überlieferung

      Über das Strafrecht sowie das Strafprozessrecht gibt es deutlich weniger Informationen als über das Zivilrecht bzw. das Zivilprozessrecht. Dies hängt damit zusammen, dass die römischen Juristen das Strafrecht nur selten zum Gegenstand ihrer Ausführungen machten und zudem nur wenige Gesetzestexte überliefert sind.

      Aus dem Zwölftafelgesetz (s. Rn. 28) ergibt sich nur ein fragmentarisches Bild der Reaktion auf Straftaten.

      Zwölftafelgesetz, Tafel 8:

      2. Si membrum rupsit, ni cum eo pacit, talio esto.

      3. Manu fustive si os fregit libero, CCC (…) poenam subito.

      2. Wenn jemand einem anderen ein Glied verstümmelt, soll der Täter das Gleiche erleiden, wenn er sich nicht mit dem Verletzten gütlich einigt.

      3. Wer mit der Hand oder dem Stock einem Freien einen Knochen gebrochen hat, muss 300 [As, römische Währung] als Buße zahlen (…).

      Die Verfolgung einer Straftat galt wohl grundsätzlich als Sache des Verletzten. So ist Ziffer 2 des Zitats zu entnehmen, dass das Opfer entweder Gleiches mit Gleichem vergelten oder sich mit dem Täter über eine andere Art der Sanktion einigen konnte. Im Zwölftafelgesetz wurden vor allem Bußzahlungen festgelegt, die der Täter an den Verletzten zu leisten hatte (s. Ziff. 3). Die Beträge gingen über den Ersatz des Schadens hinaus und stellten damit (Privat-)Strafen dar.

      Auch als später grundsätzlich zwischen Zivil- und Strafrecht unterschieden wurde, blieb bei bestimmten Delikten eine Verbindung von Schadenersatz und Bestrafung erhalten. Persönlichkeitsverletzungen (z. B. Körperverletzungen, Beleidigungen) sowie Eigentumsverletzungen (z. B. Diebstahl, Raub, Sachbeschädigung inklusive der Tötung von Sklaven) wurden zwar dem Privatrecht zugeordnet. Als Rechtsfolgen waren jedoch Geldzahlungen vorgesehen, die über den Ersatz des Schadens hinausgingen und damit zugleich Strafcharakter hatten. Ein Beispiel dafür bieten die Regeln für die Tötung von Sklaven und Tieren:

      Corpus iuris civilis, Digesten 9, 2, 2, 2 (Gaius im 7. Buch zum Provinzialedikt):

      Lege Aquilia capite primo cavetur: „ut qui servum servamve alienum alienamve quadrupedem vel pecudem iniuria occiderit, quanti id in eo anno plurimi fuit, tantum aes dare domino damnas esto“.

      Im ersten Kapitel der Lex Aquilia wird bestimmt: „Wenn jemand einen fremden Sklaven oder eine fremde Sklavin oder ein fremdes vierfüßiges Herdentier widerrechtlich tötet, soll er verpflichtet sein, dem Eigentümer so viel Kupfergeld zu geben, wie die Sache in diesem Jahr maximal wert gewesen ist“.

      Indem für die Ersatzverpflichtung auf den Maximalwert innerhalb des letzten Jahres abgestellt wurde, konnte der Betrag weit über den Wert hinausgehen, den der Sklave oder das Tier zum Zeitpunkt der Tötung gehabt hatte. Dies war beispielsweise dann der Fall, wenn ein Sklave im Jahr vor der Tötung einen Unfall erlitten hatte, dessen Folgen seine Arbeitsfähigkeit und damit seinen Marktpreis beeinträchtigten.

      Bei der Lex Aquilia, welche die Rechtsfolgen von Sachbeschädigungen festlegte, handelte es sich um ein Plebiszit (s. Rn. 29) aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Es war von einem Volkstribun namens Aquilius beantragt worden. Die Regelungen wurden auch im 6. Jahrhundert n. Chr. noch als geltendes Recht angesehen. Dies belegt der Umstand, dass rechtswissenschaftliche Erläuterungen zu diesem Gesetz in das Corpus iuris civilis aufgenommen wurden.

      60. Frühzeit

      Schon im Zwölftafelgesetz wird sichtbar, dass die Reaktion auf Straftaten nicht ausschließlich in der Hand der Opfer lag. Schwere Taten, die sich gegen die Gemeinschaft richteten (z. B. Hochverrat), wurden von staatlicher Seite verfolgt. Dabei fand ein Gerichtsverfahren vor der Volksversammlung statt. Außerdem gab es Grenzen für die Tötung von Tätern durch die Opfer von Straftaten. Wenn kein Geständnis vorlag und die Tat nicht offensichtlich war, durfte eine solche Tötung in der Regel nur erfolgen, sofern ein Gericht die Schuld des Täters festgestellt hatte.

      61. Veränderungen

      Etwa ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. galt die Verfolgung von Straftaten allein als Aufgabe des Staates. Darauf weisen die Errichtung von ständigen Gerichtshöfen (s. Rn. 55) sowie der Erlass von Gesetzen hin, die strafrechtliche Bestimmungen enthielten. Als Rechtsfolgen sahen diese Normen vor allem Todesstrafen, Verbannungen und Geldstrafen vor.

      Die Strafverfahren waren öffentlich und wurden durch eine Anklage eingeleitet. Zur Klageerhebung war jeder römische Bürger und damit insbesondere auch der Verletzte befugt. Der Kläger