Daniela Schroeder

Grundrechte


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wenn er fähig ist, die Tragweite der Grundrechte zu erkennen. Indizien ergeben sich dabei aus den oben (Rn. 109) genannten normierten Altersgrenzen. Unter Zugrundelegung dieser Ansicht wird sich B je nach seiner individuellen Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit jedenfalls auf die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG berufen können. – Eine andere Ansicht stellt demgegenüber auf die Grenzen ab, die der Gesetzgeber generell gezogen hat (sog. starre Altersgrenze). Dies führt dazu, dass ein Minderjähriger hinsichtlich der Grundrechte, die an die menschliche Existenz anknüpfen, stets, hinsichtlich solcher Grundrechte, deren Ausübung mit privatrechtlichen Regelungen verbunden ist, entsprechend den Altersgrenzen für die Geschäftsfähigkeit im BGB (§§ 2, 104 ff. BGB) und hinsichtlich der Grundrechte, die erst ab einem bestimmten Alter relevant werden, erst ab dem festgelegten Zeitpunkt (z.B. Art. 12a, Art. 38 Abs. 2 GG; § 5 S. 2 RelKErzG) grundrechtsmündig ist. Auf der Grundlage dieser Ansicht kann sich B auf jeden Fall nur auf die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG berufen. Hinsichtlich der anderen Grundrechte hat B demgegenüber noch nicht die jeweiligen Altersgrenzen erreicht.

      JURIQ-Klausurtipp

      Wie Sie sehen, unterscheiden sich die beiden Ansichten nur in der Begründung, nicht aber im Ergebnis. In der Fallbearbeitung können Sie daher an sich regelmäßig offen lassen, welcher Ansicht zu folgen ist, wenn der Minderjährige in den Bereich einer gesetzlichen Altersbestimmung fällt.

3. Grundrechtskonkurrenzen

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      Auf der Ebene des Schutzbereichs können sich Grundrechtskonkurrenzen ergeben. Grundrechte können miteinander konkurrieren, wenn derselbe Lebenssachverhalt den Schutzbereich mehrerer Grundrechte desselben Grundrechtsträgers eröffnet.

      Beispiel

      G ist ordentlicher Professor und Inhaber eines naturwissenschaftlichen Instituts an einer staatlichen Universität. Zur Verbesserung der Lehre in den Naturwissenschaften beschließt der zuständige Landesgesetzgeber, die in Vorlesungen angewendete Methodik zu vereinheitlichen. Für G bedeutet die Neuregelung, dass er zukünftig nicht mehr frei entscheiden kann, wie er seinen Studenten den Vorlesungsstoff vermittelt, sondern dass er detaillierten gesetzlichen Vorgaben folgen muss, die jede Flexibilität vermissen lassen. G ist mit diesem Beschluss überhaupt nicht einverstanden und fühlt sich in seinen Grundrechten verletzt, zumal die Kollegen der anderen Fachbereiche nach wie vor frei lehren dürfen. Dies sieht G überhaupt nicht ein und hält die Neuregelung für willkürlich.

      Hinweis

      Unterscheiden Sie den Begriff der Grundrechtskonkurrenz, den wir sogleich näher behandeln werden, von dem Begriff der Grundrechtskollision. Die Grundrechtskollision ist erst bei der Schrankenprüfung von Bedeutung (s.u. Rn. 156 ff.).

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      Die Frage, welches Grundrecht einem anderen Grundrecht vorgeht, welches Grundrecht von einem anderen Grundrecht verdrängt wird oder welches Grundrecht neben einem anderen Grundrecht steht, ist allein wegen der unterschiedlichen Schranken, denen die einzelnen Grundrechte unterliegen (einfacher oder qualifizierter Gesetzesvorbehalt; schrankenlos gewährleistetes Grundrecht), von erheblicher Bedeutung. Schließlich richtet sich nach der jeweiligen Schranke, ob und ggf. wie weit die öffentliche Gewalt in ein Grundrecht zulässigerweise eingreifen darf.

      JURIQ-Klausurtipp

      In der Fallbearbeitung empfiehlt es sich, in einem allerersten Schritt den Sachverhalt grob daraufhin zu überprüfen, welche Grundrechte überhaupt thematisch einschlägig sein könnten (s.o. Rn. 69). Ist der Schutzbereich mehrerer Grundrechte desselben Grundrechtsträgers eröffnet, haben Sie einen Fall der Grundrechtskonkurrenz und müssen das Verhältnis der Grundrechte zueinander bestimmen.

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      aa) Grundrechtskonkurrenz innerhalb der Freiheitsrechte

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      Dies gilt insbesondere für die Konkurrenzen zwischen den Freiheitsrechten. So könnte in unserem Beispielsfall oben (Rn. 111) G in seinem Grundrecht auf Lehrfreiheit, in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit, in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit und in seinem Grundrecht auf allgemeine Gleichbehandlung verletzt sein. Bei den Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 2, Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG handelt es sich um Freiheitsrechte und bei Art. 3 Abs. 1 GG um ein Gleichheitsrecht. Die universitäre Lehrtätigkeit kann an sich unter alle drei genannten Freiheitsrechte subsumiert werden: Einschlägig ist aber Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GG als lex specialis gegenüber den anderen beiden Freiheitsrechten. Die Lehrfreiheit steht zur allgemeinen Handlungsfreiheit im Verhältnis einer logischen Spezialität und zur Berufsfreiheit im Verhältnis einer normativen Spezialität.

      JURIQ-Klausurtipp

      In der Fallbearbeitung gilt daher folgende Prüfungsreihenfolge: spezielle Freiheitsrechte vor dem allgemeinen Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Art. 2 Abs. 1 GG ist ein Auffanggrundrecht und greift nur, wenn der Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechts nicht eröffnet ist (s.u. Rn. 190). In unserem Beispiel (Rn. 111) ist der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GG eröffnet. Art. 2 Abs. 1 GG tritt daher hinter diesem speziellen Freiheitsrecht als subsidiäres Freiheitsrecht zurück.

      bb) Exkurs: Grundrechtskonkurrenz innerhalb der Gleichheitsrechte

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      Bei den Gleichheitsrechten, bei denen zwischen dem allgemeinen Gleichheitsrecht und den speziellen Gleichheitsrechten zu unterscheiden ist (s.o. Rn. 26 und s.u. Rn. 675), gilt ebenfalls die lex specialis-Regelung, d.h. spezielle Gleichheitsrechte verdrängen in ihrem Anwendungsbereich das allgemeine Gleichheitsrecht.

      Beispiel

      Der Gesetzgeber erlässt ein Gesetz, nach dem behinderten Menschen der Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen (z.B. Schwimmbädern) untersagt werden kann. – Das Gesetz kann behinderte Menschen sowohl in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG als auch in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verletzen. Da Art. 3 Abs. 1 GG vollständig in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG enthalten ist und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG darüber hinaus ein weiteres Tatbestandselement enthält, ist Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG wegen logischer Spezialität vorrangig gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG anwendbar und damit Prüfungsmaßstab der gesetzlichen Regelung.

      cc) Grundrechtskonkurrenz im Verhältnis zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten

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