Robert Esser

Handbuch des Strafrechts


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Sprache selbst semantische Verwendungsbeispiele und Geltung beanspruchende grammatikalische Regelungen zusammen die Bedeutung einer Zeichenkette gleichwohl nicht ein für alle Mal und verbindlich determinieren. Das normative Potential besteht zwar, bleibt aber eben „Potential“, hier im Sinn eines „Kopplungs-Potentials“[31] an das verschiedene andere Kontexte anschließen können, um letztlich den aufgeworfenen Bedeutungskonflikt zu entscheiden. Ist daher allen Beteiligten klar, dass die Verwendung des Plurals die Berücksichtigung einzelner Tatobjekte nicht ausschließen soll, ist dies nicht etwa ein „einvernehmliches Hinwegsetzen über den Gesetzeswortlaut“, sondern gerade Zeichen dafür, dass über die Bedeutung des Textes als auch den Singular erfassend an dieser Stelle kein Streit besteht. Dies führt nun natürlich nicht dazu, dass grammatikalische Regelungen für die grammatische Auslegung einfach hinfällig wären und nach Belieben ignoriert werden könnten. Die Tatsache, dass die Entscheidung über einen Bedeutungskonflikt nicht durch die Sprache bzw. den Gesetzestext determiniert ist, bedeutet umgekehrt keinesfalls, dass in einem System geschriebenen Rechts dieser Gesetzestext unrichtig wäre oder vom Interpreten nach eigenem Gutdünken vernachlässigt werden dürfte. Und innerhalb des Textes sind „Regeln der Grammatik“ sogar von besonderer Bedeutung, da sie nicht nur normstrukturell als normtextnah wichtig,[32] sondern in ihrer Trennschärfe vielfach semantischen Aussagen über den denkbaren Bedeutungsgehalt eines einzelnen Wortes überlegen sein dürften. Soweit es etwa um bestimmte Bezüge einzelner Satzteile zueinander (etwa Beziehung eines Relativsatzes auf einen oder mehrere Begriffe des Hauptsatzes; zeitliches Verhältnis verschiedener Tathandlungen zueinander etc.) geht, ist die Aussagekraft der verwendeten grammatikalischen Konstruktion groß. Dagegen ist das grammatikalische Phänomen „Verwendung des Plurals in verkürzten Regelungen sowohl für mehrere als auch für einzelne Gegenstände“ im Alltagssprachgebrauch, aber auch bei formalen Anordnungen völlig gebräuchlich.[33] Und auf diese Gebräuchlichkeit und damit auch wieder Verständlichkeit für den Normadressaten – und nicht auf ein Zuordnen und Abhaken des Numerus wie in einem Grammatik-Text in der 3. Klasse – kommt es an.

2. Systematische Auslegung

      und der Gesetzesstruktur

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