Robert Esser

Handbuch des Strafrechts


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eine noch größere kriminelle Energie an den Tag legt als bei einer qualifizierten Nötigung erst im Falles des Entdeckt-Werdens, sind das alles teleologische Argumente, die über die durch die grammatische Auslegung begründeten Zweifel hinweghelfen sollen. Das Beispiel macht aber zugleich auch deutlich: Immer dann, wenn man mit der teleologisch begründeten Bedeutungserweiterung nicht „nur“ systematische oder historische Argumente überspielen will, gerät man rasch in eine Grauzone, in der der Wortlaut in einer sub specie Art. 103 Abs. 2 GG nicht unbedenklichen Weise hintangestellt wird. Eben auf diesen Art. 103 Abs. 2 GG rekurriert dann auch die h.M. in anderen Fällen, in denen durchaus teleologische Gründe für eine Subsumtion unter ein Merkmal gefunden werden könnten, so etwa wenn es um die Frage geht, ob Körperteile gefährliche Werkzeuge sein können.[94]

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Die verschärfte Strafandrohung des Forstdiebstahls mittels eines „bespannten Fuhrwerks“ oder eines „Lasttieres“ korrespondiert mit dem erhöhten Schaden durch das Fortschaffen größerer Mengen, das durch die Hilfsmittel erreicht werden kann. In BGHSt 10, 375 entschied der 1. Strafsenat daher, dass auch die Nutzung eines Kraftfahrzeugs, das zum selben Zweck eingesetzt wird, eine Bestrafung aus § 3 Abs. 1 Ziff. 6 PreußFDG begründen kann. Das Beispiel zeigt zugleich eindrucksvoll, dass eine teleologische Auslegung in besonderer Weise gefährdet ist, den Garantien des Art. 103 Abs. 2 GG nicht immer gerecht zu werden.
Ist auch der Dieb, der seiner Entdeckung zuvorkommt, indem er das nichtsahnende Opfer niederschlägt, „auf frischer Tat betroffen“ und damit nach § 252 StGB gleich einem Räuber zu bestrafen? Laut BGHSt 26, 95 steht hinter der Gleichstellung die Annahme, dass der gewalttätige Dieb auch dann gegen das Opfer vorgegangen wäre, wenn es ihn vor Vollendung des Diebstahls ertappt hätte. Das fragliche Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ bilde nur den zeitlichen Rahmen für die Vergleichbarkeit der Situationen. Davon ausgehend konstatieren die Richter, dass ein „Dieb, der Gewalt übt, unmittelbar bevor er bemerkt wird, … genau so behandelt werden (muss) wie einer, der zuschlägt, nachdem er bemerkt wurde“ (S. 97).
Der Tatbestand der Zuhälterei (§ 181a StGB a.F.) kann nach BGHSt 4, 316 nicht bereits dann als erfüllt angesehen werden, „wenn der Mann nur überhaupt mit der Dirne eine gemeinsame Wirtschaft geführt habe“ (S. 319). Im Führen einer gemeinsamen Kasse liege nicht automatisch das vom Gesetzeswortlaut geforderte Ausbeuten des unsittlichen Erwerbs zum Bestreiten des Lebensunterhalts. Eine zu weite Auslegung der Norm würde zu untragbaren Ergebnissen führen, weil dann bereits jede Zuschussleistung der Frau zum gemeinsamen Haushalt den Mann zum Zuhälter i.S.d. Vorschrift machen würde, auch wenn die „gemeinsame Wirtschaft“ partnerschaftlich ohne ausbeuterische Absichten geführt würde.
In BGHSt 14, 240 stellen die Richter das Erfordernis einer vom herkömmlichen Verständnis abweichenden Auslegung des bedingten Vorsatzes für § 164 Abs. 5 StGB a.F. fest. Die Vorschrift stellte die falsche Anschuldigung auch für den Fall unter Strafe, dass sie nicht wider besseres Wissen, aber vorsätzlich oder leichtfertig begangen wurde. Dass derjenige, der den Betroffenen nur möglicherweise für unschuldig hält, den Verdacht aber trotzdem nicht verschweigen will und deshalb die Anzeige macht, nicht bestraft werden soll, „liegt auf der Hand“ (S. 256). Es komme daher nicht auf die übliche Definition von bedingtem Vorsatz an, sondern darauf, ob der Täter den Betroffenen auch dann angezeigt hätte, wenn er dessen Unschuld gekannt hätte.

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