Peter Behrens

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht


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als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal im Kartellverbot selbst verankert. In der „De-minimis-Bekanntmachung“ (Bagatellbekanntmachung) von 2014[92] wird die Spürbarkeitsschwelle in der Form von Marktanteilen der betreffenden Unternehmen in Höhe von 10% (bei Horizontalbeschränkungen) bzw. 15% (bei Vertikalbeschränkungen) definiert. Allerdings sind nach der Rechtsprechung für die Spürbarkeit im Einzelfall nicht allein quantitative, sondern auch qualitative Kriterien zu berücksichtigen, die sich etwa auf die Eigenart der Wettbewerbsbeschränkung und die Marktverhältnisse insgesamt beziehen.[93]

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      Am deutlichsten zeigt sich das Erfordernis der marktstrukturellen Drittwirkung in der Missbrauchskontrolle marktbeherrschender Unternehmen gem. Art. 102 AEUV. Die als missbräuchlich (wettbewerbswidrig) anzusehenden einseitigen Praktiken eines solchen Unternehmens haben entweder eine Marktausschluss- bzw. Marktabschottungswirkung zu Lasten von aktuellen oder potentiellen Konkurrenten oder eine Ausbeutungswirkung zu Lasten von Unternehmen auf der nachgelagerten oder vorgelagerten Marktstufe. In beiden Fallkonstellationen geht es darum, dass das marktbeherrschende Unternehmen die Wettbewerbsspielräume Dritter – und in diesem Sinne ihre wettbewerbliche Handlungsfreiheit bzw. Auswahlfreiheit – aktuell oder potentiell beschränkt. Dabei ist für das Urteil der Wettbewerbswidrigkeit auch hier der Systembezug unerlässlich: Entscheidend ist nämlich, ob die für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbssystems erhebliche Freiheit und Autonomie anderer Marktteilnehmer im Hinblick auf deren künftigen Einsatz von Wettbewerbsparametern bzw. auf deren Freiheit der Wahl zwischen Angebotsalternativen durch eine Verengung der Marktstruktur zu Lasten des noch verbleibenden Restwettbewerbs übermäßig eingeschränkt zu werden droht. Es geht also auch insoweit nicht um den Schutz anderer Marktteilnehmer als solchen, sondern sie werden wegen ihrer Systemrelevanz geschützt.

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      In diesem Sinne ist schließlich auch die Fusionskontrolle gem. Art. 2 FKVO daran ausgerichtet, dass schon der abstrakten Gefährdung des wirksamen Wettbewerbs durch die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung vorgebeugt wird. Auch insoweit geht es um den Schutz einer Marktstruktur, die den Wettbewerb als Interaktionssystem für Konkurrenten und Abnehmer bzw. Anbieter hinreichend offenhält, damit ihnen die Handlungsspielräume verbleiben, die für die Funktionsfähigkeit dieses Systems erforderlich sind. Die Wettbewerbswidrigkeit eines Unternehmenszusammenschlusses ist also ebenfalls nach seinen Drittwirkungen zu beurteilen.

      (4) Kontextanalyse

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      „dass ein Unternehmen eine beherrschende Stellung innehat, diesem nicht das Recht [nimmt], seine eigenen geschäftlichen Interessen zu wahren, wenn sie bedroht sind, und es darf auch in angemessenem Umfang so vorgehen, wie es dies zum Schutz seiner Interessen für richtig hält.“

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      „solche Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung […], die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Präsenz des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die zur Folge haben, dass die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindert wird, die sich von den Mitteln des normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistung der Wirtschaftbeteiligten unterscheiden.“

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