Peter Behrens

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht


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ihnen erschöpft (Beispiele: Preisabsprachen, Quotenkartelle, Marktaufteilungen). Es steht außer Zweifel, dass solche Formen der Koordination des Marktverhaltens die Auswahlfreiheit der Abnehmer einschränken. Aber auch die Bewertung bestimmter einseitiger Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen folgt zuweilen diesem Regelungsmuster (Beispiel: Rabattgestaltungen, die in ihren Wirkungen einer exklusiven Bezugsbindung gleichkommen). Die Charakterisierung dieses Regelungsansatzes als „formalistisch“ (form based) im Gegensatz zu „wirkungsbezogen“ (effects based) wäre jedoch verfehlt. Denn auch „per se“-Regeln beruhen auf ökonomischen Wirkungsanalysen, die allerdings für die betreffenden Verhaltensweisen generalisierbar sind und keiner Überprüfung im Einzelfall mehr bedürfen.

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      Der Gegensatz zwischen den beiden möglichen Regelungsansätzen ist somit allenfalls ein gradueller: Selbstverständlich geht auch der Formulierung von per se-Regeln stets eine ökonomische Wirkungsanalyse der jeweiligen Verhaltensweisen voraus, bevor sie als abstrakte Gefährdungstatbestände normiert werden können. Es gilt schon bei der Formulierung der Regel zu verhindern, dass auch legitime unternehmerische Wettbewerbsstrategien von solchen Normen erfasst werden. Und umgekehrt ist auch im Rahmen von Regeln, deren Anwendung eine sorgfältige einzelfallbezogene Kontextanalyse voraussetzt (und erst recht im Rahmen einer rule of reason) unvermeidlich, dass sich die Analyse der konkreten wettbewerblichen Wirkungen eines unternehmerischen Verhaltens im Interesse der Rechtssicherheit und der Handhabbarkeit in Grenzen hält. Gewisse Pauschalierungen und Wahrscheinlichkeitsurteile sind auch bei konkreten Gefährdungstatbeständen unerlässlich. Letztlich geht es daher stets darum, bei der Formulierung von Wettbewerbsregeln und bei deren Anwendung (dh Konkretisierung) einen Kompromiss zu finden zwischen Rechtssicherheit für die Normadressaten und Treffsicherheit hinsichtlich der Erfassung von Wettbewerbsbeschränkungen. Wie diese Kompromisse im Rahmen des Unionsrechts aussehen, lässt sich nicht generalisierend nach Fallgruppen, sondern nur anhand der konkreten Auslegung und Anwendung der Wettbewerbsregeln durch die Unionsorgane bestimmen.

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      „Der in den Artikeln 3 und 85 EWG-Vertrag [jetzt: Protokoll Nr. 27 und Art. 101 AEUV] geforderte unverfälschte Wettbewerb setzt das Vorhandensein eines wirksamen Wettbewerbs (workable competition) auf dem Markt voraus; es muss also so viel Wettbewerb vorhanden sein, dass die grundlegenden Forderungen des Vertrages erfüllt und seine Ziele, insbesondere die Bildung eines einzigen Marktes mit binnenmarktähnlichen Verhältnissen, erreicht werden.“

      Hiernach sind zwei Konzepte für das unionale Wettbewerbsrecht grundlegend: das Konzept eines „wirksamen Wettbewerbs“ (im Folgenden c.) sowie das Konzept der Binnenmarktintegration (im Folgenden d.).

      (1) Grundkonzept

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      „Der Wettbewerb stimuliert in der Tat am besten die wirtschaftliche Aktivität und sichert für die Beteiligten den größtmöglichen Freiheitsspielraum. Eine aktive Wettbewerbspolitik, wie sie die Verträge zur Gründung der Gemeinschaften vorschreiben, erleichtert die ständige Anpassung der Angebots- und Nachfragestrukturen und die technische Entwicklung; das freie Spiel dezentralisierter Entscheidungsmechanismen führt zu einer ständig verbesserten Leistungsfähigkeit der Unternehmen und bildet so