Peter Behrens

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht


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      Hieraus ergibt sich, dass die Kommission das im Unionsrecht in Bezug genommene System unverfälschten Wettbewerbs von Beginn an als ein dynamisches Interaktionssystem verstanden hat, dh als einen institutionellen Rahmen, innerhalb dessen ein zukunftsoffener Prozess des Rivalisierens voneinander unabhängiger Marktteilnehmer ermöglicht wird, der aufgrund von Leistungsanreizen und Anpassungsdruck langfristig effiziente gesamtwirtschaftliche Ergebnisse gewährleistet. Der zentrale Schutzgegenstand der Wettbewerbsregeln der Europäischen Union ist daher bis heute der wirtschaftliche Rivalitätsprozess als solcher. Das kommt deutlich in den Leitlinien der Kommission aus dem Jahre 2004 zur Anwendung von Art. 81(3) EG [jetzt: Art. 101(3) AEUV] zum Ausdruck, wo sie feststellt, dass

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      Der Schutz des Wettbewerbsprozesses bedingt den Schutz seiner Funktionsvoraussetzungen. Das sind zum einen die Wettbewerbsfreiheit der Marktteilnehmer im Sinne ihrer Selbstständigkeit (Entscheidungsautonomie), zum anderen der Anpassungsdruck, der bei hinreichend offenen Marktstrukturen vom Wettbewerb ausgeht und der eine entsprechende Disziplinierung der Marktteilnehmer bewirkt. Offene Marktstrukturen implizieren entsprechende Handlungsspielräume für aktuelle und potentielle Marktteilnehmer auf beiden Seiten des Markts. Wettbewerbsfreiheit der Anbieter bzw. Auswahlfreiheit der Nachfrager und Marktstruktur stehen somit in einer Wechselwirkung zueinander und sind im Grunde nur zwei unterschiedliche Perspektiven, aus denen das wettbewerbliche Interaktionssystem (der Prozess des Rivalisierens) betrachtet wird. Die wesentlichen Kriterien, die von den Unionsorganen für die Feststellung von Wettbewerbsbeschränkungen verwendet werden, sind daher zum einen die direkte Beschränkung der Wettbewerbsfreiheit von Marktteilnehmern (2), zum anderen die Verengung der Marktstruktur zu Lasten ihrer Handlungsspielräume (3). Die Anwendung dieser Kriterien erfordert eine umfassende Analyse des jeweiligen rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhangs, in den das zu beurteilende Marktverhalten einzuordnen ist (4). Für die abschließende rechtliche Beurteilung verlangt das Unionsrecht im Übrigen die Berücksichtigung etwaiger Effizienzvorteile zu Gunsten der Verbraucher, die zur Nichtanwendung des Verbots wettbewerbswidrigen Verhaltens führen können (5). Neuere Tendenzen, im Rahmen eines „more economic approach“ schon die Wettbewerbswidrigkeit selbst anhand der gesamtwirtschaftlichen Effizienz des zu beurteilenden Verhaltens zu bestimmen, sind durch die normativen Vorgaben des Unionsrechts nicht ohne weiteres gedeckt (6).

      (2) Handlungsfreiheit (Selbstständigkeitspostulat)

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      Der EuGH ist bisher ausdrücklich von der individuellen wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer (im Sinne ihrer Selbstständigkeit bzw. Entscheidungsautonomie) als einer Voraussetzung des wirksamen Wettbewerbs ausgegangen. Ein Grundgedanke der Wettbewerbsregeln besteht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nämlich darin,

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      „In den Anwendungsbereich des Art. 81 Absatz 1 [jetzt: Art. 101 Absatz 1] fällt die Art von abgestimmten Verhaltensweisen oder kollusivem Zusammenspiel zwischen Unternehmen, wenn mindestens ein Unternehmen sich gegenüber einem anderen Unternehmen zu einem bestimmten Marktverhalten verpflichtet, oder wenn in Folge von Kontakten zwischen Unternehmen die Ungewissheit über ihr Marktverhalten beseitigt bzw. zumindest erheblich verringert wird. Hieraus folgt, dass abgestimmte Verhaltensweisen sowohl die Form von Verpflichtungen annehmen können, als auch die Form von Vereinbarungen, welche das Marktverhalten durch die Veränderung der Anreize von mindestens einer Partei beeinflussen.“

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      „Der Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit gilt für alle Wirtschaftsstufen und für alle Erscheinungsformen des Wettbewerbs. Der Wettbewerb zwischen Herstellern mag zwar im allgemeinen augenfälliger in Erscheinung treten als der zwischen Verteilern von Erzeugnissen einer und derselben Marke. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Vereinbarung, die den Wettbewerb zwischen solchen Verteilern beschränkt, schon deswegen nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 [jetzt: 101 Absatz 1 AEUV] fiele, weil sie den Wettbewerb zwischen Herstellern möglicherweise verstärkt.“

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      Dies bedeutet, dass sich das Verbot wettbewerbwidriger Koordinierungen des Marktverhaltens nicht nur gegen das „kollusive Zusammenspiel“ von Marktteilnehmern richtet, die miteinander in Wettbewerb stehen (horizontale Koordination), sondern auch gegen die Koordinierung des Marktverhaltens von Marktteilnehmern, die auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen tätig sind (vertikale Koordination) und die daher zwar insoweit nicht miteinander, aber sehr wohl mit dritten Marktteilnehmern der jeweiligen Wirtschaftsstufe in Wettbewerb stehen.

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