der Strategien für die Vermeidung unerwünschter Externalitäten sowie der sonstigen Wirkungszusammenhänge erforderlich; in subjektiver Hinsicht geht es um die Klärung der unternehmerischen Absichten und Handlungsmotive. Dabei sind gewisse durch Erfahrung gestützte Wahrscheinlichkeitsurteile unvermeidlich. Entscheidend ist, dass die Schlussfolgerungen bezüglich bestimmter Wirkungszusammenhänge nicht den ökonomischen Erkenntnissen widersprechen. In diesem Sinne ist die ökonomische Analyse aber immer schon Bestandteil der wettbewerbspolitischen und wettbewerbsrechtlichen Praxis gewesen.[67] Es geht heute lediglich um ihre Fortentwicklung im Licht neuerer ökonomischer Erkenntnisse.
4. Normative Vorgaben
Literatur:
Hellwig Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit? Zur normativen Grundlegung der Wettbewerbspolitik, in: Engel/Möschel (Hrsg.) Recht und spontane Ordnung, Festschrift für Mestmäcker (2006) 231; Ders. Wirtschaftspolitik als Rechtsanwendung: Zum Verhältnis von Jurisprudenz und Ökonomie in der Wettbewerbspolitik, Walter-Adolf-Jöhr-Vorlesung 2007 an der Universität St. Gallen, Reprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods, Bonn 2007/19; Mestmäcker 50 Jahre GWB: Die Erfolgsgeschichte eines unvollkommenen Gesetzes, WuW 2008, 6; Fuchs Neue Entwicklungen beim Konzept der Wettbewerbsbeschränkung in Art. 81 Abs. 1 EG, ZWeR 2007, 369; Ders. Effizienzorientierung im Wettbewerbs- und Kartellrecht? in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.) „Effizienz“ als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht (2008) 69; Eilmansberger Verbraucherwohlfahrt, Effizienzen und ökonomische Analyse – Neue Paradigmen im europäischen Kartellrecht? ZWeR 2009, 437; Drexl Wettbewerbsverfassung, in: Bogdandy/Bast (Hrsg.) Europäisches Verfassungsrecht: Theoretische und dogmatische Grundzüge (2. Aufl. 2009) 905; Schmidt/Wohlgemuth Das Wettbewerbskonzept der EU aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften: Wie ökonomisch ist der „more economic approach“? in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.) Dimensionen des Wettbewerbs (2010) 51; Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht (3. Aufl. 2014) § 3: Wettbewerb der Unternehmen, 63.
a. Ausgangspunkt
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Über die rechtliche Maßgeblichkeit der unterschiedlichen wettbewerbstheoretischen und -politischen Kriterien zur Beurteilung von unternehmerischen Wettbewerbsbeschränkungen entscheiden ausschließlich die geltenden Wettbewerbsregeln. Ökonomische Einsichten in die für Wettbewerbsmärkte charakteristischen Zusammenhänge zwischen Marktverhalten, Marktstruktur und Marktergebnis sind für die Rechtsanwendung nur in dem Maße relevant, wie sie im Wettbewerbsrecht auch normative Geltung erlangt haben. Die Wettbewerbsregeln erfassen nicht jede beliebige Beschränkung des Wettbewerbs, sondern nur solche, die durch rechtlich definierte Formen des Verhaltens von Marktteilnehmern herbeigeführt werden. Nun handelt es sich bei den Wettbewerbsregeln – gleichviel ob es um das Kartellverbot, das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung oder um die Kontrollmaßstäbe für Unternehmenszusammenschlüsse geht – um Generalklauseln, die in hohem Maße konkretisierungsbedürftig sind. Dies bedeutet, dass im Prinzip durchaus unterschiedliche Ansätze zur wettbewerblichen Beurteilung unternehmerischen Verhaltens von den Wettbewerbsregeln gedeckt sein können; aber es gibt Grenzen.
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Schon aus der Tatsache, dass es bei der Umsetzung von Wettbewerbspolitik um Rechtsanwendung geht, ergeben sich gewisse generelle Restriktionen. Die Anwendung von Rechtsnormen lässt sich nicht ausschließlich auf den Vollzug bestimmter ökonomischer Ansätze reduzieren, sondern sie unterliegt zugleich der Eigengesetzlichkeit des Rechts und seiner Anwendung. Sie verlangt zum einen ein Mindestmaß an Rechtssicherheit, ohne die das Recht keine verhaltenssteuernde Wirkung entfalten kann. Zum anderen erfordert sie die praktische Handhabbarkeit der Rechtsregeln, insbesondere was den Informations- und Zeitaufwand betrifft, der für die Subsumtion eines bestimmten unternehmerischen Verhaltens unter die Tatbestandsmerkmale einer Wettbewerbsregel erforderlich ist. Diese beiden Aspekte setzen der Komplexität der Rechtsanwendung Grenzen.[68] Sie rechtfertigen einerseits den Verzicht auf eine umfassende Einzelfalluntersuchung der komplexen und in der Regel unüberschaubaren gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtswirkungen des zu beurteilenden unternehmerischen Verhaltens, zumal sich diese Wirkungen in der Regel des unmittelbaren empirischen Zugriffs – und damit der Beweisbarkeit vor Gericht – entziehen. Andererseits rechtfertigen sie selbstverständlich nicht den Verzicht auf eine ökonomische Analyse des für die wettbewerbliche Beurteilung eines bestimmten Verhaltens relevanten konkreten wirtschaftlichen und rechtlichen Entstehungs- und Wirkungszusammenhangs im oben erläuterten Sinne einer Kontextanalyse wie sie auch vom EuGH verlangt wird.[69] Das ist aber etwas anderes als eine Analyse gesamtwirtschaftlicher Effizienzen.[70] Die ökonomische Analyse der Wirkungszusammenhänge kann sich jedoch nur auf die Umstände beziehen, die im Kenntnis- und Erfahrungsbereich der Unternehmen liegen, deren Verhalten zu beurteilen ist.[71] Auch können nur diese Umstände den Unternehmen im Rechtssinne zugerechnet werden. Die Frage der Zurechenbarkeit ist rechtlich von besonderer Bedeutung, wenn es um die Sanktionierung eines für wettbewerbswidrig befundenen Verhaltens geht.
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Die Rechtsanwendung ist daher auch im Bereich des Wettbewerbsrechts nur unter der Bedingung unvollkommener Information über die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge möglich. Unwerturteile beruhen im Wettbewerbsrecht auf Wahrscheinlichkeitsurteilen.[72] Bei der Konkretisierung der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln ist somit in Rechnung zu stellen, dass das Risiko zweier Arten von Entscheidungsfehlern besteht: ein bestimmtes Marktverhalten kann irrtümlich als wettbewerbswidrig sanktioniert werden, obwohl es legitimer Ausdruck wettbewerblichen Verhaltens ist (Fehlertyp I: false positive, dh die der Entscheidung zugrundeliegende Wettbewerbsregel ist zu weit gefasst); oder das Marktverhalten kann als wettbewerbskonform qualifiziert werden, obwohl es den Wettbewerb schädigt (Fehlertyp II: false negative, dh die der Entscheidung zugrundeliegende Wettbewerbsregel ist zu restriktiv gefasst). Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht würde man nun versuchen, die jeweiligen Kosten alternativer Formulierungen einer bestimmten Wettbewerbsregel gegeneinander abzuwägen. Gegenübergestellen lassen sich zum einen die im Fall eines Fehlers des Typs I (dh im Fall des unberechtigten Einschreitens gegen ein wettbewerbskonformes Verhalten) entstehenden Kosten, die in der Unterdrückung der wohlfahrtssteigernden Wirkungen des fraglichen Verhaltens bestehen, und zum anderen die im Fall eines Fehlers des Typs II (dh im Fall des Nichteinschreitens gegen ein wettbewerbswidriges Verhalten) entstehenden Kosten, die in den wohlfahrtsmindernden Wirkungen dieses Marktverhaltens bestehen.[73] In der Realität entziehen sich diese Kosten der Quantifzierbarkeit.
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Das Irrtumsrisiko, dem wettbewerbsrechtliche Entscheidungen ausgesetzt sind, hängt vom jeweiligen Inhalt der Normen ab und von der Eigenart des wettbewerbswidrigen Verhaltens, das mit ihrer Hilfe bekämpft werden soll. So ist etwa das Verbot von Preisabsprachen unter Konkurrenten vergleichsweise treffsicher, weil es kaum Zweifel geben kann, dass damit der Wettbewerb zum Nachteil der Abnehmer beschränkt wird. Andererseits kann beispielsweise die Beurteilung der wettbewerblichen Auswirkungen bestimmter Rabattgestaltungen, die von marktbeherrschenden Unternehmen angewendet werden, problematisch sein. Die Feststellung einer Verdrängungswirkung zu Lasten von Wettbewerbern kann eine intensive Kontextanalyse erfordern.[74]
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Dem wird im Wettbewerbsrecht durch zwei unterschiedliche Regelungsansätze Rechnung getragen. Es gibt zum einen sog. „per se“-Regeln, die dadurch gekennzeichnet sind, dass ein bestimmtes wegen seines wettbewerbsrelevanten Bezugspunktes generell als wettbewerbswidrig anzusehendes Verhalten tatbestandlich eindeutig und abschließend umschrieben wird. Für die Feststellung der Wettbewerbswidrigkeit im Einzelfall genügt dann die bloße Feststellung, dass das fragliche Marktverhalten „formal“ die Charakteristika aufweist, die tatbestandlich definiert sind. Auf eine Analyse der konkreten Auswirkungen des Verhaltens im Einzelfall kommt es dann nicht mehr an. Es handelt sich vor allem um Fälle, in denen es um die Beschränkung