Peter Behrens

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht


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      Die Geld- und Währungspolitik (einschließlich der Wechselkurspolitik) ist im Rahmen der Währungsunion, an der im Prinzip alle Mitgliedstaaten beteiligt sind (Art. 3 Abs. 4 EUV), in dem Umfang zentralisiert, in dem die (bisher 19) Mitgliedstaaten ihre nationalen Währungen gem. Art. 119 Abs. 2 AEUV auf den Euro umgestellt haben. Sie bilden die Eurozone, während für die übrigen Mitgliedstaaten, die noch ihre nationalen Währungen behalten haben, gem. Art. 139 AEUV eine Ausnahmeregelung gilt (sog. „Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung“). Diese Mitgliedstaaten werden im Einzelfall aufgrund eines Prüfverfahrens, in dem die Erfüllung bestimmter Konvergenzkriterien festgestellt wird, Mitglieder der Eurozone; das Vereinigte Königreich und Dänemark haben sich allerdings aufgrund einer „opting-out“-Klausel das Recht vorbehalten, selbst über die Einleitung eines solchen Prüfverfahrens zu entscheiden. Mit der Einführung des Euro sind für die Mitgliedstaaten der Eurozone sämtliche geld-, währungs- und wechselkurspolitischen Zuständigkeiten von den nationalen Notenbanken auf das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) übergegangen (Art. 127 ff. AEUV), das aus den Notenbanken der Mitgliedstaaten und der Europäischen Zentralbank (EZB) besteht.

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      Aufgabe der EZB ist naturgemäß die Bemessung des „Geldmantels“ der Eurozone, dh der Liquidität der Wirtschaftssubjekte. Art. 119 Abs. 2 AEUV verpflichtet die einheitliche Geldpolitik vorrangig auf das Ziel der Preisstabilität. In diesem Sinne hat die Geldpolitik in der Eurozone eine ordnungspolitische Dimension. „Unbeschadet dieses Ziels“ soll die einheitliche Geld- und Wechselkurspolitik aber zugleich „die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ unterstützen. Art. 127 Abs. 1 AEUV wiederholt diese Grundsätze für das ESZB und verdeutlicht, dass die Geldpolitik auch eine wirtschaftspolitische Dimension hat, aber zur Verfolgung wirtschaftspolitischer Ziele nur eingesetzt werden darf, soweit dies mit ihrer Stabilitätsorientierung kompatibel ist. Daraus resultiert das Postulat der Unabhängigkeit der EZB und der mitgliedstaatlichen Zentralbanken von politischen Einflussnahmen seitens der Union oder der Mitgliedstaaten (Art. 130 AEUV). Diesem Postulat kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil die Wirtschaftspolitik nicht in gleicher Weise wie die Geldpolitik vereinheitlicht ist, sondern nach wie vor in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt (siehe dazu weiter unten Rn. 45 ff.). Aus der Asymmetrie von Währungsunion und nationaler Kompetenz für die Wirtschaftspolitik (Wachstums- und Beschäftigungspolitik sowie Finanz- und Haushaltspolitik) ergibt sich ein grundlegendes Spannungsverhältnis.

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      Aus der Einheitlichkeit der Währung folgt an sich ein entsprechender Zwang zur Vereinheitlichung, aber nicht notwendigerweise zur Zentralisierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitiken. Da mit der Einführung des Euro die Mitgliedstaaten der Eurozone ihre nationalen Währungen aufgegeben haben, stehen ihnen keine zins- oder wechselkurspolitischen Instrumente mehr zur Verfügung, um etwaige wirtschaftliche Ungleichgewichte durch Herauf- oder Herabsetzung des Leitzinses oder durch Auf- oder Abwertungen ihrer nationalen Währungen auszugleichen. Ungleichgewichte, die ihre Ursache in der unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Volkswirtschaften (insbesondere in der unterschiedlichen Entwicklung der Arbeitsproduktivitäten) haben, können effektiv nur noch durch interne Anpassungen bei Löhnen und Preisen überwunden werden. Soweit Löhne und Preise aber aufgrund nationaler Regulierungen unflexibel sind, müssen strukturelle Reformen durchgeführt werden. Die Gefahr besteht jedoch, dass Wachstums- und Beschäftigungsschwächen stattdessen unter Missachtung dieses funktionalen Zusammenhangs durch kreditfinanzierte Staatsausgaben verdeckt und nicht behoben werden. Durch „deficit spending“ bedingte Haushaltsdefizite der Mitgliedstaaten gefährden aber nicht nur die monetäre Stabilität der Einheitswährung des Euro, sondern auch die Stabilität der Realwirtschaft. Aus diesem Grunde bindet Art. 119 Abs. 3 AEUV sowohl die Währungs- als auch die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union an die folgenden Grundsätze: „stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz“.

      Literatur:

      Franzmeyer (Hrsg.) Das Konvergenzproblem – Wirtschaftspolitik im Europa von Maastricht (1994); Stephan Die Beschäftigungspolitik der EU (2008); Höch Beschäftigungspolitik im Gemeinsamen Markt (2009); Hatje Wirtschaftsverfassung im Binnenmarkt, in: Bogdandy/Bast (Hrsg.) Europäisches Verfassungsrecht (2. Aufl. 2009) 828 ff.; Häde Haushaltsdisziplin und Solidarität in der Finanzkrise, EuZW 2009, 399.

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      Mit Ausnahme der Geldpolitik im Rahmen der Eurozone sind die wirtschaftspolitischen Steuerungskompetenzen nicht generell auf Ebene der EU zentralisiert, sondern vielmehr grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten verblieben. Im Gegensatz zur Währungsunion (siehe dazu unten Rn. 42 ff.), gibt es daher bislang keine vergleichbare Wirtschaftsunion. Die Mitgliedstaaten haben sich aber gem. Art. 121 Abs. 1 AEUV verpflichtet, ihre Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten. Die Union erfüllt dabei die Koordinierungsfunktion (Art. 119 Abs. 1 AEUV). Zu diesem Zweck ist der Rat gem. Art. 121 Abs. 2 AEUV befugt, Grundzüge der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik zu beschließen, die von den Mitgliedstaaten einzuhalten sind. Die Mitgliedstaaten haben sich in Art. 121 Abs. 3–6 AEUV einem entsprechenden Überwachungsverfahren unterworfen, das inzwischen erheblich intensiviert und gestrafft worden ist und während der ersten Hälfte eines Kalenderjahres durchgeführt wird (sog. Europäisches Semester).

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      Die wirtschaftspolitische Steuerung ist gem. Art. 120 S. 1 AEUV an den in Art. 3 EUV formulierten Unionszielen auszurichten. Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 2 EUV nennt als allgemeine wirtschaftspolitische Steuerungsziele insbesondere die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität sowie eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt. Darüber hinaus werden in Art. 3 EUV aber auch Ziele genannt, die über den Rahmen der Wirtschaftspolitik hinausgehen, wie etwa ein „hohes Maß an sozialem Schutz“ und ein „hohes Maß an Umweltschutz“. Diese Ziele sind nach dem AEUV Gegenstand spezieller Unionspolitiken (dazu unten Rn. 74, 77). Art. 120 S. 2 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten und die Union gleichermaßen, wirtschaftspolitische Maßnahmen „im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ durchzuführen und sich dabei an die in Art. 119 AEUV formulierten Grundsätze (stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanzen) zu halten.

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      Die allgemeine wirtschaftspolitische Steuerung zielt auf die Förderung von Wachstum und Beschäftigung ab. Die dafür zur Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente sind außerordentlich vielfältig. Von programmatischer Bedeutung war in diesem Zusammenhang zunächst die wirtschaftspolitische Strategie („Lissabon-Strategie“), die der Europäische Rat auf seiner Sondertagung vom 23. und 24. März 2000 in Lissabon für die Europäische Union festgelegt hatte. Es ging dem Rat ausdrücklich darum, die EU

      „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist,