Handlungsspielräume, die von den Mitgliedstaaten vergleichsweise beliebig durch politische Kompromisse ausgefüllt werden können. Ansonsten sind gem. Art. 122 AEUV Hilfsmaßnahmen nur im Fall bestimmter Notlagen möglich.
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In der Folge dieser Rettungsmaßnahmen gab es Bemühungen, insbesondere die finanz- und haushaltspolitische Überwachung der Mitgliedstaaten erheblich effektiver zu gestalten. So werden bereits die finanziellen Stützungsmaßnahmen im Rahmen des ESM gem. Art. 3 ESM-Vertrag von Bedingungen und Reformauflagen abhängig gemacht (sog. Konditionalität). Im Falle von Staatsschuldenkrisen wie sie die Eurozone seit 2010 erfahren muss, ist auch die EZB an etwaigen Rettungsmaßnahmen wie dem ESM insoweit beteiligt, als es um die Formulierung von Reformauflagen geht. Auch die im Protokoll Nr. 14 zum Vertrag von Lissabon ausdrücklich anerkannte „Euro-Gruppe“ bestehend aus Ministern der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, widmet sich zunehmend der Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken im Sinne erforderlicher Strukturreformen. Die Funktionsfähigkeit der Währungsunion ist auf Dauer abhängig von einer hinreichenden Harmonisierung der wirtschaftspolitischen Steuerung in den Mitgliedstaaten. Auch ohne Wirtschaftsunion müssen sich die Mitgliedstaaten als Stabilitätsgemeinschaft verstehen, um auf Dauer die Funktionsfähigkeit der Währungsunion zu garantieren. Das als „Six Pack“ bezeichnete Bündel von Legislativmaßnahmen hat deshalb im Jahre 2011 auch eine Verschärfung des Defizitverfahrens bewirkt;[28] es wurde 2013 ergänzt durch zwei weitere Verordnungen („Two Pack“) zur Koordinierung der Haushaltspolitiken. 2012 haben 25 Mitgliedstaaten einen „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ abgeschlossen, der insbesondere einen „Fiskalpakt“ enthält, mit dem die Stabilitätsorientierung der mitgliedstaatlichen Finanz- und Haushaltspolitik weiter gefestigt werden soll, vor allem durch die Verankerung von Schuldenobergrenzen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Es handelt sich allerdings um ein intergouvernementales Regime außerhalb des Unionsrechts, das ganz auf die Eigenverantwortung und Selbstbindung der Mitgliedstaaten setzt. Forderungen nach einer „Europäischen Wirtschaftsregierung“ mit Durchgriffsrechten gegenüber den Mitgliedstaaten[29] haben sich nicht durchsetzen können.
1. Funktion
Literatur:
Viscusi/Vernon/Harrington Economics of Regulation and Antitrust (3rd ed. 2000); Basedow Wirtschaftsregulierung zwischen Beschränkung und Förderung des Wettbewerbs, in: FS Immenga (2004) 3; Fritsch/Wein/Ewers Marktversagen und Wirtschaftspolitik (6. Aufl. 2005).
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Einer über die allgemeine Wirtschaftspolitik hinausgehenden spezifischen Steuerung (Regulierung) der Wirtschaft im Sinne von konkreten Eingriffen in Wirtschaftsabläufe und Transaktionen können im Prinzip zwei gegensätzliche Zielsetzungen zugrunde liegen: es kann entweder darum gehen, bestimmte Defizite des marktförmigen Allokationsverfahrens (sogenanntes Marktversagen) zu kompensieren (a), oder darum, die Marktergebnisse im Interesse anderer Ziele als des wirtschaftlichen Effizienzziels zu korrigieren (b).
a. Kompensation von Marktversagen
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Für die Förderung des „Wohlergehens“ der Völker in der EU im Sinne des Effizienzziels, dh der optimalen Aufteilung (Allokation) der Produktionsmittel auf die Produzenten sowie der hergestellten Güter auf die Konsumenten, sind auch dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 119 AEUV) gewisse Grenzen gesetzt, weil der Markt als Allokationsordnung bestimmte systematische Defizite (Marktversagen) aufweisen kann. Solches Marktversagen, das eine suboptimale Versorgung der Verbraucher mit Gütern und Leistungen zur Folge hat, kann durch geeignete staatliche Regulierung korrigiert werden.[30] Da es aber auch systematische Defizite der staatlichen Steuerung der Wirtschaft (Staatsversagen) geben kann,[31] bedarf es im Einzelfall stets der Abwägung, ob staatliche Regulierung die Fehlallokation des Marktes wirklich korrigiert oder womöglich noch gravierendere Fehlallokationen bewirkt als das zu korrigierende Marktversagen selbst. Die Gefahr besteht, dass Interessengruppen die staatliche Regulierung zu ihren Gunsten und zu Lasten des Allgemeinwohls missbrauchen, indem sie ihren Einfluss auf die staatlichen Instanzen geltend machen und diese sich entsprechend vereinnahmen lassen (regulatory capture). Es geht daher stets um die jeweils optimale Kombination zwischen Markt und Regulierung.[32]
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Vier Erscheinungsformen des Marktversagens stehen im Vordergrund:
– | Asymmetrische Information. Der Markt gewährleistet eine optimale Allokation der Ressourcen nur, wenn die an Markttransaktionen beteiligten Vertragsparteien jeweils im Hinblick auf Leistung und Gegenleistung optimal informiert sind; sobald eine Vertragspartei einen Informationsvorsprung hat (also Informationsasymmetrie vorliegt), ist nicht mehr gewährleistet, dass die Transaktion beide Parteien gemessen an ihren persönlichen Bedürfnissen (Präferenzen) besser stellt als sie vorher standen und so zu einer Verbesserung der Ressourcenallokation führt (Beispiel: Der Käufer eines Gebrauchtwagens ist typischerweise schlechter informiert als der Verkäufer; Lösung: Regulierung durch Einführung von Aufklärungspflichten). |
– | Externe Effekte. Des Weiteren kann der Markt allein nicht gewährleisten, dass bestimmte Transaktionen keine Drittwirkungen zu Lasten oder zu Gunsten Außenstehender haben (sogenannte externe Effekte), die nicht durch entsprechende Gegenleistungen kompensiert werden, weil die Betroffenen an der jeweiligen Transaktion nicht beteiligt sind oder nicht beteiligt werden können. (Beispiel: Verwendung gesundheitsgefährdender Substanzen bei der Herstellung von Gütern; Lösung: Regulierung durch Auflagen für den Herstellungsprozess bzw. durch Produktstandards). |
– | Öffentliche Güter. Der Markt stellt keine Güter bereit, für die es keine individuelle Zahlungsbereitschaft gibt, obwohl viele oder gar alle an diesen Gütern interessiert sind. Es handelt sich um Güter, im Hinblick auf deren Nutzung keine Konkurrenz unter den Konsumenten besteht, weil sie von vielen gleichzeitig genutzt werden können und weil sie nicht einem Regime von Eigentumsrechten mit seinen immanenten Nutzungsbeschränkungen unterworfen sind. (Beispiel: Die natürliche Umwelt als Müllentsorgungsreservoir; Lösung: Regulierung der Müllentsorgung). |
– | Natürliche Monopole. Es ist denkbar, dass der Anbieterwettbewerb um die Befriedigung der Nachfrage auf einem bestimmten Markt zwangsläufig zu Entstehung der Monopolstellung eines einzigen Anbieters führt. Das ist dann der Fall, wenn die Produktionskosten pro Stück mit zunehmender Stückzahl fallen, und zwar mindestens so lange, bis die zur Befriedigung des Gesamtnachfrage erforderliche Stückzahl erreicht ist. In diesem Fall trägt der Markt nicht mehr als einen einzigen Anbieter, weil mehrere Anbieter nur zu höheren Kosten produzieren könnten. Mit dieser Situation sind aber alle Nachteile eines Monopols verbunden. (Beispiel: Der Eigentümer eines Verteilungsnetzes für Energie kann als natürlicher Monopolist – wie jeder Monopolist – Preise verlangen, die weit über den Produktionskosten liegen und so eine Monopolrente abschöpfen; Lösung: staatliche Preisaufsicht). |
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Marktversagen beeinträchtigt das Effizienzziel. Soweit staatliche Regulierung sich auf die zur Korrektur von Marktversagen erforderlichen Maßnahmen beschränkt und die marktförmige Allokationsordnung im Übrigen nicht außer Kraft setzt, fördert sie demgemäß das Effizienzziel. So kann es beispielsweise durchaus effizient sein, wenn die industrielle Produktion bestimmten