Peter Behrens

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht


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bestehen in der Förderung regionaler Infrastrukturvorhaben, privater Investitionen sowie einer Vielzahl anderer regionaler Aktivitäten. Die gemeinschaftliche Regionalpolitik wird finanziert durch eine Reihe von Fonds (Regionalfonds, Strukturfonds, Kohäsionsfonds).[42] Wettbewerbsverzerrungen aufgrund regionalpolitischer Maßnahmen lassen sich dann minimieren, wenn sie sich darauf beschränken, die allgemeinen Produktionsbedingungen in den Fördergebieten (beispielsweise durch Infrastrukturförderung) zu verbessern. Soweit regionalpolitische Maßnahmen einzelne Unternehmen oder Industrien fördern, sind Wettbewerbsverzerrungen unvermeidlich. Sie unterliegen daher der Beihilfenkontrolle gem. Art. 107 AEUV (siehe dazu Rn. 450, 1528 ff.).

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      Die industriepolitische Kompetenz der Union ist zwar begrenzt auf die Koordinierung der mitgliedstaatlichen Aktivitäten (Art. 173 Abs. 2 AEUV); aber die Union soll auch selbst zur Erreichung des industriepolitischen Vertragsziels beitragen (Art. 173 Abs. 3 AEUV), dies allerdings „entsprechend einem System offener und wettbewerbsorientierter Märkte“ (Art. 173 Abs. 1 UAbs. II AEUV). Die Marktkonformität der gemeinschaftlichen Industriepolitik soll im Übrigen auch durch die in Art. 173 Abs. 3 AEUV aufgenommene Bestimmung gewährleistet werden, der zufolge die industriepolitische Tätigkeit der Union nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen darf. Die Union darf somit nicht der naheliegenden Gefahr unterliegen, mit ihren Fördermaßnahmen bestehende wirtschaftliche Strukturen zu zementieren, indem sie den Zwängen des Wettbewerbs entzogen werden. Vielmehr soll die Union den Strukturwandel fördern. Vergleichbares gilt auch für die Forschungs- und Technologiepolitik. Sie hat gem. Art. 179 AEUV das Ziel, „die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der Industrie der Gemeinschaft zu stärken“. Soweit damit die Förderung von Grundlagenforschung ins Auge gefasst ist, bei der es um die Produktion öffentlicher Güter in Gestalt von allgemein zugänglichem Wissen geht, handelt es sich um den Ausgleich von Marktversagen. Je mehr die Förderung jedoch die Anwendung von Forschungsergebnissen oder gar die Produktion von Gütern oder Leistungen betrifft, gefährdet sie das System unverfälschten Wettbewerbs (siehe zur Berücksichtigung innovations- und technologiepolitischer Gesichtspunkte bei der Freistellung von F&E-Kooperationen vom Kartellverbot gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 966 ff.).

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      Auch die Kompetenz der Union zur Förderung des Auf- und Ausbaus transeuropäischer Netze (Art. 4 Abs. 2 lit. h AEUV) hat strukturpolitische Bedeutung. Gem. Art. 170–172 AEUV geht es um Vorhaben in den Bereichen Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur. Zielsetzung ist die Förderung des Verbunds und der Interoperabilität der einzelstaatlichen Netze sowie des Zugangs zu diesen Netzen. Die Instrumente der Union bestehen insbesondere aus Leitlinien, in denen Vorhaben von gemeinsamem Interesse ausgewiesen werden, sowie beliebigen Aktionen, die sich als sachnotwendig erweisen. Allerdings verlangt Art. 170 Abs. 2 AEUV, dass sich auch insoweit die Tätigkeit der Union in den „Rahmen eines Systems offener und wettbewerbsorientierter Märkte“ einfügt.

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      Schließlich ist auch die Kompetenz der Union zur verbindlichen Formulierung einer Energiepolitik gem. Art. 194 AEUV in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Sie soll das Funktionieren des Energiemarkts sicherstellen, die Energieversorgungssicherheit gewährleisten sowie die Energieeffizienz, die Entwicklung neuer und erneuerbarer Energien sowie die Interkonnektion der Energienetze fördern. Dies alles soll aber ausdrücklich „im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts“ – also marktkonform – geschehen (siehe zur Berücksichtigung solcher außerwettbewerblichen Ziele im Rahmen der Fusionskontrolle unten Rn. 1418 ff.).

      (3) Umweltpolitik

      Literatur:

      Schröer Die Kompetenzverteilung zwischen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Umweltschutzes (1992); Frenz/Unnerstall Nachhaltige Entwicklung im Europarecht (1999); Jans/von der Heide Europäisches Umweltrecht (2003); Epiney Umweltrecht in der Europäischen Union (3. Aufl. 2013); Bieber/Epiney/Haag/Kotzur Die Europäische Union (12. Aufl. 2016) § 32: Umwelt, 621.

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      Auch der Umweltschutz ist ein Bereich politischer Steuerung, der erst im Laufe der Zeit in die Kompetenzen der Union einbezogen worden ist. Er ist nunmehr in Art. 3 Abs. 3 UAbs. I EUV sowie in Art. 4 Abs. 2 lit. e AEUV verankert. Gem. Art. 11 AEUV sind die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Durchführung sämtlicher Gemeinschaftspolitiken mit zu berücksichtigen, also auch im Rahmen der Binnenmarkt- und Wettbewerbspolitik (sog. Querschnittsklausel). Nach Maßgabe der Art. 191–193 AEUV soll die Umweltpolitik der Union zur Erhaltung und zum Schutz der Umwelt sowie zur Verbesserung ihrer Qualität, zum Schutz der menschlichen Gesundheit und zur umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen beitragen. Darüber hinaus geht es um die Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung grenzüberschreitender Umweltprobleme (Internalisierung internationaler externer Effekte). Der entsprechende umweltpolitische Steuerungsbedarf kann nicht allein auf mitgliedstaatlicher Ebene befriedigt werden. Im Übrigen kann die Unterschiedlichkeit nationaler Umweltstandards den Binnenmarkt beeinträchtigen. Wenn etwa die zum Schutz der Umwelt erlassenen mitgliedstaatlichen Produktstandards divergieren, ist die unionsweite Verkehrsfähigkeit von Waren beeinträchtigt. Solche Beeinträchtigungen können nur durch Rechtsangleichung überwunden werden. Eine gewisse Vergemeinschaftung der Umweltpolitik ist daher unvermeidlich. Die Union ist gem. Art. 192 Abs. 3 AEUV insbesondere befugt, umweltpolitische Aktionsprogramme zu verabschieden. Diese haben inzwischen zur Schaffung eines umfangreichen umweltrechtlichen Sekundärrechts geführt. Die Union ist im Übrigen gem. Art. 191 Abs. 2 AEUV in allen ihren