des Arztes ermöglicht. Sollte diese Pille frei oder auch nur ohne strengste Kontrolle abgegeben werden, werden jegliche strafrechtliche Vorschriften zur Bekämpfung des Schwangerschaftsabbruchs wirkungslos[3]. Dies gilt angesichts der modernen Durchlässigkeit der Grenzen auch für die Abgabe in irgendeinem ausländischen Staat.
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Für die tödliche Entfernung des Embryos bzw. Fötus aus dem Mutterleib prägten die Bambergische Halsgerichtsordnung (Art. 158) und die PGO (Art. 133) Anfang des 16. Jahrhunderts den Begriff „Abtreibung“. Das moderne Lebensgefühl hat diesen Begriff nicht mehr ertragen und durch den einseitig auf die Mutter abstellenden Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ oder gar den bewusst verschleiernden Ausdruck „Schwangerschaftsunterbrechung“ ersetzt und damit den Begriff „Abtreibung“ 400 Jahre nach seiner Schaffung gewissermaßen selbst aus dem Strafrecht „abgetrieben“. Ein wirklich neutraler Ausdruck fehlt leider bisher.
Anmerkungen
BTD 12/3833; Bachmann DÄBl. 92, A 3676.
Rupp-v. Brünneck BVerfGE 39, 79; Geilen ZStW 103, 847; v. Renesse ZRP 91, 322; BVerfGE 88, 256; Jäger ZStW 115, 773 ff.
Unzutr. dagegen die Auffassung von Starck, der erforderliche Nachweis einer Schwangerschaft für die Anwendung von Mifegyne bewirke eine verfassungswidrige Verkürzung der Beratungsfrist (NJW 00, 2714). Denn die Beratung kann ja schon vor dem sicheren Nachweis der Schwangerschaft erfolgen.
II. Geschichte
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Die Strafbarkeit von Handlungen gegen das werdende Leben hat sich im Laufe der Geschichte nicht nur in der Einzelausgestaltung, sondern schon vom Ansatzpunkt her wiederholt erheblich gewandelt.
1. Die ältere Entwicklung
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Im römischen Recht war der Nasciturus nur zivilrechtlich Objekt der Rechtsfürsorge. Strafrechtlich wurde ihm, als der „portio mulieris“, eigener Schutz vorenthalten, und die später mit Septimus Severus einsetzende Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (procuratio abortus) fand ihre Grundlage in der Vereitelung berechtigter Nachwuchshoffnungen des Ehemannes durch die abbrechende Frau. Im frühdeutschen Recht spielt der Schwangerschaftsabbruch wie bei allen ackerbautreibenden Völkern eine anscheinend sehr geringe Rolle; er wird dann meist als Zauberei bestraft. Die spätmittelalterliche deutsche Auffassung – der Schwangerschaftsabbruch, das „Vertun“ von Kindern, wird der Kindestötung gleichgestellt – ist vom kirchlichen Recht her beeinflusst. Dieses hatte sich schon in seiner Frühzeit (Zwölf-Apostel-Lehre, Barnabas-Brief) vom Individualismus der römischen Auffassung getrennt und stellte auf die Beseelung des Embryos ab: Homicidium, wenn der Abbruch am Fötus als dem Träger der „anima rationalis“ begangen wurde, während frühere Eingriffe an der „anima vegetativa“ (bis zum 40. bzw. 80. Schwangerschaftstage) extra-ordinär bestraft wurden. Diese kanonistische Unterscheidung ging in die Bambergensis (Art. 158) und die PGO (Art. 133) über; beide Gesetze (die den Ausdruck „abtreiben“ einführen) sehen bei bereits „lebendigem Kind“ Totschlagsstrafe vor, während bei Abtreibung des „noch nicht lebendigen Kinds“ durch die Mutter „Rats zu pflegen“ ist. Diese Unterscheidung der Schwangerschaftsgrade behauptet sich partikularrechtlich noch lange Zeit. Im Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751 führt sie zu der überraschenden Einschränkung der Strafbarkeit auf die zweite Hälfte der Schwangerschaft nach Bewegungen des Fötus (I 3 § 20). Die Relikte dieser Unterscheidung kann man noch im Preuß. ALR II 20 §§ 986 f. erkennen. Erst mit dem 19. Jhdt. (z.B. bayer. StGB von 1813 Art. 172) hört diese Unterscheidung auf, doch erscheint jetzt die eigenständige Schutzwürdigkeit des werdenden Lebens auch ohnedies als unangefochten. Gleichzeitig endet die Strafbarkeit der fahrlässigen Abtreibung (I 3 § 20 Cod. Jur. Bav.; Art. 88 § 6 Theresiana; ALR II 20 § 938). Grundlage der ursprünglichen Fassung des § 218 sind §§ 181, 182 preuß. StGB 1851.
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Eine aufschlussreiche Erschütterung erfuhr die Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs unter dem Nationalsozialismus. Die Entwurfsberatungen sahen die Verlegung der Abtreibungsbestimmungen aus dem Zusammenhang der Tötung in den der „Angriffe auf Rasse und Erbgut“ vor. Was dies in letzter Konsequenz bedeutet hätte (und nach dem Willen des Regimes auch bedeuten sollte), lehrt die VO vom 9.3.43, welche Personen nichtdeutscher Abkunft (z.B. Jüdinnen und Ostarbeiterinnen) vom Abtreibungsverbot ausnahm[4]: keine ad-absurdum-Führung dieses Gedankens, wie Welzel § 41 annimmt, sondern im Gegenteil die brutale methodische Folge aus der Umfälschung eines überstaatlich-absoluten Wertes in einen solchen der „Staatszweckmäßigkeit“[5].
Anmerkungen
Vgl. auch SchwurG Hannover DJ 39, 572; OLG Jena DJ 39, 922 m.Anm. Barth.
Eingehend zur Geschichte Simson-Geerds 83 ff.; Dähn bei Baumann 329 ff.; SA-Berat. 7/685 ff.; Jerouschek aaO; Jütte (Hrsg.) aaO; zur Entwicklung nach 1871 Schroeder 6 ff.
2. Die Auflockerung des Verbots
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Im Jahr 1927 erklärte das RG einen Schwangerschaftsabbruch zur Abwendung einer Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung der Schwangeren für rechtmäßig[6] und anerkannte dabei erstmals den sog. „übergesetzlichen Notstand“ (jetzt § 34 StGB). Dieser Rechtfertigungsgrund wurde auch als medizinische Indikation des Schwangerschaftsabbruchs bezeichnet. Durch das G zur Änderung des Ges. zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 26.6.35 wurde ferner die damals sog. eugenische, inzwischen zutreffender Kindesschädigungs- oder embryopathisch genannte Indikation anerkannt, d.h. die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs bei Gefahr schwerer geistiger oder körperlicher Schäden des Kindes. Nach dem Kriege wurde in der sowjetischen Besatzungszone angesichts der Massenvergewaltigungen durch die Rote Armee die kriminogene (auch: „ethisch“, „juristisch“, „kriminologisch“ genannte) Indikation (bei Entstehung der Schwangerschaft aus einer strafbaren Handlung) und schließlich auch die soziale Indikation (bei wirtschaftlichen Gründen, insbesondere sozialer Notlage, mehreren bereits vorhandenen Kindern u.ä.) eingeführt[7]. Neben der Diskussion um die mehr oder weniger weitgehende Anerkennung der genannten Indikationen wurde auch versucht, durch eine Ausweitung des Krankheitsbegriffs in den sozialen Bereich hinein Teile der sozialen Indikation in die – weniger umstrittene – medizinische hineinzuziehen.
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Infolge der gewandelten Auffassung hatte sich schon auf dem Boden des überkommenen Rechts die Praxis radikal verändert. So stieg die Zahl der legalen Eingriffe von 2858 im Jahr 1968 auf 13201 1973 und 17814 1974. In der gleichen Zeit ging die Zahl der Verurteilten von 596 auf 94 zurück, wobei überwiegend Geldstrafen und zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen verhängt wurden (Laufhütte-Wilkitzki JZ 76, 335).
Anmerkungen
RG