Lebensformen eine hervorgehobene verfassungsrechtliche Bedeutung zu.[13] Dabei setzt das Grundgesetz die Begriffe „Ehe“ und „Familie“ voraus, ohne sie selbst zu definieren oder zu konkretisieren. Das BVerfG definiert die Ehe in ständiger Rechtsprechung (bei im Detail wechselnden Formulierungen) als „Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft (…), begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates, in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können“.[14]
Erster Teil Grundlagen › § 2 Verfassungsrechtliche Implikationen › I. „Ehe“ › 1. Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidende Grundsatznorm
1. Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidende Grundsatznorm
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In seiner weitreichendsten Dimension als wertentscheidende Grundsatznorm bindet Art. 6 Abs. 1 GG den Gesetzgeber und die Gerichte für die gesamte Rechtsordnung an die verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalte und verbindlichen Wertentscheidungen der Ehegarantie. Hieraus resultiert für den Staat sowohl ein Gebot, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern und vor Beeinträchtigungen zu schützen, als auch das Verbot, Ehe und Familie zu beeinträchtigen oder zu benachteiligen.[15] In dieser Funktion kommt Art. 6 GG mithin eine positive und negative Schutzdimension zu. Die Schutz- und Förderpflicht bzw. das Benachteiligungsverbot wird insbesondere in Verbindung mit dem gleichheitsrechtlichen Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG relevant: Werden Ehegatten im Vergleich zu anderen Lebensgemeinschaften schlechter behandelt, so „ist bei der Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten, daß die dem Gesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit durch die besondere Wertentscheidung des Grundgesetzes in Art. 6 Abs. 1 GG beschränkt ist.“[16]
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Problematisch ist die genaue Abgrenzung der wertentscheidenden Grundsatznorm von der Bedeutung und Funktion der Institutsgarantie.[17] Auch die Institutsgarantie hat sowohl eine negative als auch positive Schutzfunktion, da sie einerseits der Bewahrung eines Kernbestands des Ehe- und Familienrechts dient, andererseits aber auf eine einfach-rechtliche Ausgestaltung durch das bürgerliche Ehe- und Familienrecht angewiesen ist (vgl. noch Rn. 20 ff.). Die Abgrenzung muss daher anhand anderer Merkmale vorgenommen werden, auch wenn eine klare Grenze nicht immer eindeutig auszumachen ist. Der entscheidende Unterschied liegt im Regelungsgegenstand: Während die Institutsgarantie das Eherecht im engeren Sinne betrifft und dort einen Kern an rechtlichen Bestimmungen zur Definition der Ehe sowie zur den Voraussetzungen der Begründung und Beendigung dieser Lebensgemeinschaft garantiert, wirkt Art. 6 GG in seiner Dimension als wertentscheidende Grundsatznorm als Maßstab für alle anderen Regelungsbereiche, die an die Ehe anknüpfen und damit das Institut im weiteren Umfeld rechtlich mitgestalten (z.B. im Erb-, Steuer-, Sozial- oder Ausländerrecht).[18] Über die Figur der wertentscheidenden Grundsatznorm ist es dem BVerfG gelungen, das Fördergebot sowie das Benachteiligungsverbot über das Ehe- und Familienrecht hinaus auszudehnen und für die gesamte Rechtsordnung als bindende Wertentscheidung zu etablieren.[19] Ihre wichtigste Funktion entfaltet sie im Rahmen der Ermessensausübung der Verwaltung (vgl. Fall 1: Ausweisung eines ausländischen Ehepartners; dazu noch Rn. 34). In dieser Dimension drückt sich somit zwar die Wirkungsrichtung und Wirkungsweise des Grundrechts auf andere und in anderen Rechtsgebieten aus.[20] Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Bestimmung des materiellen Eherechts im engeren Sinne folgen aber primär aus der Institutsgarantie sowie dem Freiheitsgrundrecht.
Erster Teil Grundlagen › § 2 Verfassungsrechtliche Implikationen › I. „Ehe“ › 2. Art. 6 Abs. 1 GG als Institutsgarantie
a) Ehe als Rechtsinstitut
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In der Funktion als Instituts- bzw. Einrichtungsgarantie sichert Art. 6 Abs. 1 GG die Ehe in ihrer wesentlichen Struktur und schützt „einen Normenkern des Ehe- und Familienrechts“ vor der Aufhebung oder grundlegenden Veränderung durch den einfachen Gesetzgeber.[21] Aus diesem Grunde muss der Gesetzgeber jedenfalls den ungehinderten Zugang zur Ehe gewährleisten (Eheschließungsfreiheit)[22] und dafür Sorge tragen, dass eine Eheschließung möglich ist (z.B. Einrichtung von Standesämtern). Die Institutsgarantie entfaltet negatorische bzw. bei einer den Grundstrukturen zuwiderlaufenden Rechtsetzung sogar derogierende Wirkung.[23] Darüber hinaus setzt sie voraus, dass im einfachen Recht ein Normkomplex existiert, mit dem die verfassungsrechtliche Gewährleistung ausgestaltet wird.[24] Daraus folgt für den Gesetzgeber der Auftrag zur Ausgestaltung des Rechtsinstituts. Schon daran wird das Dilemma deutlich, nämlich dass der Gesetzgeber scheinbar an einen Normenkern des Ehe- und Familienrechts gebunden ist, den er selbst geschaffen und inhaltlich ausgestaltet hat.[25] Diesem Zirkelschluss entkommt man nur dann, wenn man das, was zum änderungsfesten Wesenskern des Ehe- und Familienrechts gehört, nicht „ohne einen jedenfalls in den Strukturelementen selbstständigen verfassungsrechtlichen Begriff von Ehe und Familie“ bestimmt.[26]
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Dem entspricht es, dass die Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG nach Auffassung des BVerfG nicht nur dadurch verletzt werden kann, dass der Kernbestand des bürgerlichen Ehe- und Familienrechts aufgehoben oder strukturell umgestaltet wird, sondern auch „wenn bestimmende Merkmale des Bildes von Ehe und Familie, das der Verfassung zugrunde liegt, mittelbar beeinträchtigt werden.“[27] Diese, dem grundgesetzlichen Verständnis der Ehe zugrunde liegenden Merkmale begrenzen den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der einfachrechtlichen Ausgestaltung der Ehe, denn die einzelnen Regelungen des bürgerlichen Rechts müssen stets an Art. 6 Abs. 1 GG als vorrangiger, selbst die Grundprinzipien enthaltender Leitnorm gemessen werden.[28]
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Über den Inhalt der institutionell gewährleisteten Grundstrukturen besteht seit jeher weitgehende Einigkeit: Grundsatz lebenslanger Partnerschaft in gegenseitiger Verantwortung, Monogamie, Verschiedengeschlechtlichkeit (dazu Rn. 23 ff.), Freiwilligkeit der Eheschließung, Formalisierung bzw. Öffentlichkeit der Ehe sowie autonome Gestaltung der Lebensgemeinschaft.[29] Laut BVerfG ergeben sich diese Strukturprinzipien „aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene Lebensformen in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts und anderen Verfassungsnormen.“[30] Durch diese dreifache Fundierung werden die inhaltlichen Grundstrukturen zwar weniger eindeutig bestimmbar, dafür aber anpassungsfähig an ein gewandeltes Verfassungsverständnis, ohne die über Jahrhunderte tradierten Wesensmerkmale der Lebensform der Ehe preiszugeben.[31]
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Nicht aus den Augen verloren werden darf dabei die Funktion der Ehe als Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft (Rn. 17), die durch die unabdingbaren Strukturprinzipien gewährleistet werden soll. Angesichts dessen erscheint das lange Zeit unbestrittene Kriterium der Verschiedengeschlechtlichkeit heute nicht nur nicht mehr zwingend, sondern im Gegenteil als überholt. Es handelt sich zwar um ein seit jeher tradiertes Strukturprinzip der Ehe i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG, an