Klaus Ulsenheimer

Arztstrafrecht in der Praxis


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und Geburtshilfliche Abteilungen. Denn der dort zu gewährleistende Facharztstandard erfordert im Hinblick auf die Schwere der möglichen Komplikationen, die überaus rasche Reaktionsnotwendigkeit sowie die erforderlichen besonderen fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen einen fachspezifischen Bereitschaftsdienst im Interesse von Schutz und Sicherheit der Patienten und Patientinnen. In dieser Weise haben sich auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Berufsverband Deutscher Anästhesisten geäußert.[203] 3. In Universitätskliniken und Akutkrankenhäusern bzw. Spezialkliniken muss eine sofortige fachspezifische Behandlung möglich sein. Ein fachübergreifender Bereitschaftsdienst ist daher hier unzulässig. 4. In allen anderen Fachabteilungen und Kliniken ist ein fachübergreifender Bereitschaftsdienst im Grundsatz zulässig, wenn folgende einschränkenden Kautelen exakt beachtet werden: a) Die Dienst habenden Ärzte müssen sich einer speziellen Fortbildung vor Übernahme eines fachübergreifenden Dienstes unterziehen. So ist es u. E. unverzichtbar, dass Internisten, die an einem chirurgischen Bereitschaftsdienst teilnehmen, sich vorher im Notfallmanagement fortbilden, z.B. an Reanimationsmaßnahmen teilnehmen, intubieren üben und darin geschult werden, eine Notfallversorgung bei Patienten sicherzustellen. In akuten Notfällen müssen sie in der Lage sein, erste Hilfsmaßnahmen für die Kranken zu ergreifen, also Gefahrensituationen rasch genug erkennen können und wissen, was zu tun ist. b) Die Übergabe des Patienten an den fachübergreifenden Dienst muss besonders ausführlich, sorgsam und vorausschauend sein. Der Dienst habende Arzt muss deshalb über die Eingriffe, die bei den einzelnen Patienten vorgenommen wurden, deren Gesundheitszustand, etwaige Begleiterkrankungen, den Verlauf der Operation, besondere Komplikationsgefahren des Eingriffs u.a. unterrichtet und auf eine u.U. besonders engmaschige Überwachungsnotwendigkeit hingewiesen werden. c) Der Hintergrunddienst muss für jede der am fachübergreifenden Bereitschaftsdienst teilnehmenden Abteilungen mit einem Facharzt besetzt sein, der spätestens 20 Minuten nach seiner Verständigung einsatzbereit anwesend beim Patienten sein muss. Der Krankenhausträger bzw. die am fachübergreifenden Bereitschaftsdienst beteiligten Chefärzte müssen schriftliche Anweisungen für die jeweils Dienst habenden Assistenzärzte erlassen, bei welchen Indikationen der rufbereite Facharzt zu informieren und wie bei bestimmten Krankheitsbildern im Einzelnen vorzugehen ist. Nach Möglichkeit sind keine Berufsanfänger einzusetzen, der fachübergreifende Bereitschaftsdienst auf verwandte Fächer zu beschränken und Risikopatienten, wenn möglich, nur an den Tagen zu operieren, an denen in der folgenden Nacht kein fachübergreifender Bereitschaftsdienst Platz greift.

      Das Landgericht Augsburg sah das Organisationsverschulden des Chefarztes vor allem darin, dass er die Fortbildung der internistischen Kollegen nicht genügend betrieben, die Übergabe der Patienten nicht besonders geregelt und für Risikopatienten nicht besondere Anordnungen getroffen hatte.

      (c) Verantwortlichkeit für die Vornahme des AB0-Identitätstests bei Bluttransfusionen

      273

      Kommt es auf seiner Abteilung zu einem tödlichen Bluttransfusionszwischenfall, weil der in den „Richtlinien zur Blutgruppenbestimmung und Bluttransfusion“ vorgeschriebene AB0-Identitätstest (Bed-side-Test) in der Abteilung generell unterbleibt, ist der Chefarzt für diesen Organisationsmangel verantwortlich. Denn

      Dadurch war es zu einer Fehltransfusion mit tödlichem Ausgang gekommen.

      (d) Verantwortlichkeit für die ausreichende personelle Besetzung der Abteilung

      274

       „Der Krankenhausträger hätte dafür Sorge tragen müssen, dass in seiner Klinik nur Operationen ausgeführt wurden, die anästhesiologisch ordnungsgemäß betreut werden konnten. Solange er nicht genügend Anästhesisten für seine Klinik bekommen konnte, hätte er notfalls auf eine Ausweitung der Chirurgischen Abteilung verzichten und weiter anordnen müssen, dass nach Erschöpfung der jeweils vorhandenen Kapazität die Patienten an andere Krankenhäuser zu verweisen seien. Jedenfalls aber bedurfte es klarer Anweisungen an die Ärzte, wie bei einem plötzlichen Engpass zu verfahren war. Es hätte etwa klargestellt werden müssen, dass und welche Operationen zurückzustellen seien, vor allem aber, welche noch in der Ausbildung befindlichen Ärzte oder welches Pflegepersonal bei der Anästhesie eingesetzt werden durften und wie sie dann wirksam angeleitet und überwacht werden konnten. Keinesfalls durfte die Streithelferin als Krankenhausträger vor den ihr bekannten Zuständen mit der Gefahr „illegaler Praktiken“ und sog. „Umimprovisationen“ die Augen schließen und darauf vertrauen, die in der Klinik tätigen Ärzte würden mit der jeweiligen Situation schon irgendwie fertig werden und sie würden sich nach Kräften bemühen, die Patienten trotz allem vor Schäden zu bewahren“.

      Diese