Rothenfußer entwickelt daher ein Kausalitätskonzept, bei dem die Ursächlichkeit durch das Kausalitätskriterium der „notwendigen Bedingung“ definiert wird, wobei dafür genügt, dass eine historische Zustandsveränderung in irgendeiner Weise mit vorangegangenen Ereignissen verknüpft ist und daher als Folge dieser vorangegangenen Ereignisse betrachtet werden kann,[22] sodass alle Ereignisse, die zu dem Erfolg geführt haben, in die Betrachtung mit einzubeziehen sind.[23] Dieses Konzept verdient nicht zuletzt deshalb Beachtung, weil es die bislang bestehenden Probleme bei der Kausalitätsbestimmung – etwa bei Gremienentscheidungen[24] – beseitigt. In der Klausur freilich sollte man einstweilen mit den herkömmlichen Lehren arbeiten.
Achtung Klausur: Studierende sollten überhaupt die Problematik in der Fallbearbeitung nicht überstrapazieren und grundsätzlich von der Äquivalenztheorie ausgehen. Nur dort, wo sich ein Problem der alternativen oder hypothetischen Kausalität stellt, bietet es sich an, auf den Streit näher einzugehen und sich der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung anzuschließen. In allen anderen Fällen lässt sich dagegen Kausalität grundsätzlich mit der Äquivalenztheorie bejahen und eine etwa erforderliche Einschränkung über die Lehre von der objektiven Zurechnung erreichen (s. sogleich Rn. 36 ff.).
2. Der rechtliche Zusammenhang zwischen Täterhandlung und Erfolg (objektive Zurechnung)
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Die Versuche, eine Einschränkung der uferlosen Äquivalenztheorie nach Adäquanz-[25] und Relevanzgesichtspunkten[26] vorzunehmen, haben sich letztlich nicht durchsetzen können, da sie für eine strafrechtliche Begrenzung zu ungenau sind.[27] Von der Rspr. und einem Teil der Lehre wurde daher versucht, eine Einschränkung durch einzelne Fallgruppen zu erzielen.
Achtung Klausur: Wichtig ist, dass man sich schon an dieser Stelle klar macht, dass die im Folgenden beschriebenen Fallgruppen Gesichtspunkte sind, die die objektive Zurechnung einschränken und lediglich von der Rspr. und einem Teil der Lit. als Gründe betrachtet wurden und teilweise noch werden, die die Kausalität beschränken bzw. unterbrechen. Aber man muss sich vor Augen halten: Kausalität ist etwas Faktisches[28] und kann daher nur vorliegen oder nicht vorliegen. Eine Einschränkung der Kausalität ist daher schon begrifflich ausgeschlossen. Möglich ist vielmehr nur eine Einschränkung der rechtlichen „objektiven Zurechnung“. Freilich wird dies erst verständlich, wenn dieses Kapitel (§ 2) vollständig durchgearbeitet worden ist.
Die von der Rspr. und Lit. angeführten einschränkenden Fallgruppen werden daher im Folgenden als Gründe der Zurechnungseinschränkung beschrieben, obwohl sie die Rspr. bisweilen verfehlt als Kausalitätseinschränkungen bezeichnet hat:
a) Risikoverringerung
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Danach ist ein Erfolg dann nicht zurechenbar, wenn ein Verhalten zu einer Abschwächung oder zeitlichen Hinausschiebung führt.[29]
Beispiel: A will B mit voller Wucht ins Gesicht schlagen, um ihm das Nasenbein zu brechen. C lenkt den Schlag ab, sodass B nur eine harmlose Schürfwunde an der Wange davonträgt.
Achtung Klausur: Von einer Risikoverringerung kann nach h. M. nicht gesprochen werden, wenn der Täter zwar eine Gefahr verringert bzw. beseitigt, dabei aber eine ganz neue Gefahr schafft.[30]
Beispiel: A, B und C sind mit ihrem Dreisitzer-Flugzeug in der Wüste Namib abgestürzt. Sie wollen in drei verschiedene Richtungen gehen. A, der den C nicht mag, vergiftet vorher das Wasser in dessen Flasche. B, der den C auch nicht mag, bohrt unabhängig davon die Wasserflasche des C an. C verdurstet nach drei Tagen, weil er keinen Tropfen mehr aus der Flasche bringt. Bei dem Gift handelte es sich um sofort tödliches Rattengift. Haben sich A und B nach deutschem Recht gem. § 212 StGB strafbar gemacht?[31]
Lösung: Hier ist A schon nicht kausal geworden (seine Vergiftungshandlung kann hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg – Tod durch Verdursten – entfiele) und daher nur wegen versuchter Tötung strafbar. B ist dagegen zwar kausal, aber der Erfolg könnte ihm wegen der Risikoverringerung (er hat das vergiftete (!) Wasser „entschärft“) nicht zurechenbar sein, weil B keine Lebensverkürzung, sondern eine Lebensverlängerung bewirkt hat. Indessen ist hier aber zu berücksichtigen, dass B eine ganz neue Gefahr (nämlich die des Verdurstens) geschaffen hat, die sich auch im Erfolg realisiert hat. B hat daher den Tod auch zurechenbar verwirklicht (sehr str.).[32]
b) Fehlen rechtlicher Relevanz
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Eine Zurechnung ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Täter eine rechtlich irrelevante Gefahr schafft.[33]
Beispiel 1: A schickt den B auf eine Flugreise nach Florida in der Hoffnung, der B werde dort erschossen. Tatsächlich geschieht das.
Beispiel 2: A überredet den B zum Spazierengehen, obwohl – wie A weiß – ein Gewitter aufzieht. Wie von A erhofft, wird B tödlich von einem Blitz getroffen.
Beispiel 3: A will den B mit Rattengift töten, wobei er versehentlich zu Zuckerwasser greift. B trinkt dieses und stirbt, weil er zuckerkrank ist.[34]
Hier liegt in allen Fällen keine rechtlich relevante Gefahrschaffung vor. Dabei ist es im zweiten Fall auch unerheblich, ob es sich bei B um einen voll zurechnungsfähigen Erwachsenen oder um den 4-jährigen Sohn des A handelt. Denn wenn die Gefahr schon keine rechtliche Relevanz aufweist, dann kann es auf die Frage einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung überhaupt nicht mehr ankommen.[35] Und im dritten Fall hat A durch die Hingabe des Zuckerwassers objektiv in Bezug auf den eingetretenen Tod keine unerlaubte Gefahr geschaffen, da es Sache des Zuckerkranken ist, sich ggf. vor dem Trinken zu vergewissern, ob das zu sich zu nehmende Getränk gesundheitsschädlichen Zucker enthält. Andernfalls müsste sich jeder, der einem anderen ein zuckerhaltiges Getränk reicht, in einem strafrechtlich relevanten Bereich bewegen, weil sein Gegenüber zuckerkrank sein könnte. A kann daher hier nur wegen Tötungsversuchs bestraft werden, weil er von Gift (also von einer rechtlich relevanten Gefahr) ausging (für den Tatentschluss genügt Vorsatz hinsichtlich der die Zurechnung begründenden Umstände und für das unmittelbare Ansetzen ist nach § 22 StGB ebenfalls die Vorstellung des Täters ausschlaggebend). In den Bsp. 1 und 2 wäre dagegen nicht einmal Versuch gegeben, da sich A dort auch keine Umstände vorstellte, die eine rechtlich relevante Gefahr begründen.
c) Erfolge außerhalb des Schutzbereichs der Norm
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Beispiel 1: A und B fahren in der Nacht auf unbeleuchteten Fahrrädern. Der vorausfahrende A stößt mit dem C zusammen, der eine letale Hirnquetschung erleidet. Wäre das Fahrrad des hinter A fahrenden B ordnungsgemäß beleuchtet gewesen, so hätte B den A so ausgeleuchtet, dass der entgegen kommende C den A erkannt hätte. Ist der Tod des C dem B zuzurechnen?[36]
Lösung: Nach h. M. ist hier die Zurechnung zu verneinen, da die Beleuchtungspflicht nur dazu dient, auf sich selbst aufmerksam zu machen, nicht aber auf andere, sodass die Verhinderung der hier zu verzeichnenden Erfolgsbewirkung außerhalb des Schutzzwecks der Sorgfaltsnorm (Beleuchtungspflicht!) liegt.[37]
Beispiel 2: A fährt zwar ordnungsgemäß, hat aber keinen Führerschein und fährt den ihm vor den Wagen springenden Rentner R tot.
Lösung: Der Schutzbereich der Norm (Führerscheinpflicht!) erstreckt sich nicht auf die Verhinderung der hier vorliegenden Todesverursachung, da die Fahrerlaubnis lediglich sicherstellen soll, dass der Verkehrsteilnehmer sich ordnungsgemäß im Straßenverkehr bewegen kann. A ist daher nicht nach § 222 StGB strafbar, sondern nur nach § 21 I StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis; entgegen einer unter Laien und teilweise