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c) Stellungnahme: Auf den ersten Blick scheint die Lit. eine sinnfällige Differenzierung anzubieten. Jedoch fällt bei näherer Betrachtung auf, dass die Unterscheidung nur schwer zu treffen ist. Mag ein falsches Medikament noch eindeutig eine neue Gefahr eröffnen, so lässt sich dies bei einer zu hohen Dosierung schon nicht mehr sagen. In Wahrheit ist nicht zu übersehen, dass der Ersttäter die ärztlichen Gefahren grundsätzlich allesamt mit eröffnet. Insbesondere ist nicht leicht verständlich, weshalb der Ausgangstäter, obwohl er die Notwendigkeit einer Narkose mit eröffnet, mit deren Gefahren nichts zu tun haben soll. Gerade wenn man – wie allgemein bekannt – davon ausgehen darf, dass jede Narkose gefährlich ist, dann darf der Täter von der Verantwortung für die üblichen Gefahren und damit auch für die „üblichen“ Fehler dieser Behandlungsmaßnahme nicht entlastet werden, wenn er es war, der die Behandlung mit ihren Konsequenzen zu verantworten hat. Richtiger ist daher wohl grundsätzlich die Verantwortung danach zu bestimmen, ob sich der Fehler noch im Rahmen des „Üblichen“ bewegt. Damit ist der h. M. grundsätzlich Recht zu geben, die eine Verantwortung des Ausgangstäters grundsätzlich nur bei grobem ärztlichen Fehlverhalten ausschließt, da mit leichten und mittleren Kunstfehlern stets zu rechnen ist. Der Streit kann vorliegend jedoch letztlich dahinstehen, weil alle Theorien hier zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges gelangen. Denn das Fehlverhalten des Arztes war hier nicht nur so gravierend, dass von einem groben Verschulden des A auszugehen ist, sondern es wurde von A im Sinne der Lit. auch eine ganz neue Gefahr des Erstickungstodes eröffnet.
5. Ergebnis: B ist nicht wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB strafbar.
II. Gegeben ist aber jedenfalls eine fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB, da B durch das sorgfaltswidrige Anfahren des C die Schulterluxation kausal und zurechenbar durch objektiv und subjektiv sorgfaltswidriges Verhalten im Straßenverkehr bewirkt hat.
Achtung Klausur: Vergessen Sie niemals, dass trotz Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs beim „großen“ Delikt sehr wohl noch das „kleinere“ Delikt objektiv und subjektiv zurechenbar erfüllt sein kann.
bb) Opferverantwortung
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Bei der Opferverantwortung[60] sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
(1) Freiverantwortliche Selbstgefährdung
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Da nach deutschem Recht die Teilnahme am Suizid, d. h. an der vorsätzlichen Selbsttötung straflos ist, kann die Mitwirkung an vorsätzlicher Selbstgefährdung ebenfalls nicht strafbar sein, sofern sich das bewusst eingegangene Risiko im Erfolg verwirklicht (Schutzzweck der Norm erfasst Selbstgefährdungen nicht mehr).
Beispiel 1: A und B machen im angetrunkenen, aber voll zurechnungsfähigen Zustand eine Motorradwettfahrt, bei der B tödlich verunglückt (BGHSt 7, 112). Der BGH hat hier den A nach § 222 StGB verurteilt, weil der Erfolg vorhersehbar gewesen sei. Der BGH verkennt dabei aber, dass eine Fahrlässigkeitsbestrafung beim Erfolgsdelikt nicht nur Vorhersehbarkeit, sondern auch Zurechnung verlangt.[61]
Beispiel 2: Ein Klinikseelsorger begibt sich freiwillig in eine Quarantänestation für Pest-Verseuchte, wird angesteckt und stirbt (BGHSt 17, 359).[62]
Beachten Sie aber, dass das Problem der freiverantwortlichen Selbstgefährdung beim Vorsatzdelikt schon als Täterschafts(zurechnungs)problem eine Rolle spielt, während es beim Fahrlässigkeitsdelikt nur ein allgemeines Zurechnungsproblem darstellt, weil jeder fahrlässige Beitrag im Vorfeld Täterschaft begründet (im Fahrlässigkeitsbereich herrscht also im Gegensatz zum Vorsatzdelikt der Einheitstäterbegriff vor[63]). Dies und die Tatsache, dass man bei § 222 StGB immer auch an erfolgsqualifizierte Delikte (z. B. § 227 StGB) denken sollte, veranschaulicht folgendes
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Beispiel: Der auf psychotherapeutische Behandlungen spezialisierte Arzt A führte sog. psycholytische Sitzungen durch, bei denen die Patienten im Rahmen einer Gruppensitzung durch Drogen in ein „Wachtraum-Erlebnis der Objektumgebung“ versetzt werden sollten, um unbewusste Inhalte der Psyche frei zu legen. Diese Methode ist in Deutschland wissenschaftlich nicht anerkannt. Während einer Intensivsitzung erklärten sich zwei Personen bereit, MDMA – einen in der Droge Ecstasy verwendeten Wirkstoff – einzunehmen. Aufgrund einer defekten Waage überließ A den Patienten allerdings eine viel zu hohe Dosis. Über das Volumen der abgewogenen Menge hatte A sich zwar gewundert, dennoch verließ er sich auf die Anzeige seiner Waage. Die zwei Patienten starben an einer Überdosis. Strafbarkeit des A nach dem StGB? (Psycholyse-Fall nach NStZ 2011, 341 ff.[64])
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Lösung: Da die Patienten die Rauschmittel selbst eingenommen haben, kommt keine unmittelbare Täterschaft, sondern allenfalls eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge nach §§ 223, 224 I Nr. 1 und 5, 227 StGB in mittelbarer Täterschaft unter (entsprechender) Anwendung des § 25 I Alt. 2 StGB in Betracht. (Hinweis: Die Regeln der mittelbaren Täterschaft sind hier nur entsprechend anwendbar, da es sich um einen Fall der Selbstgefährdung bzw. Selbstschädigung handelt.[65]) Die Werkzeugqualität der Opfer scheitert nicht an einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung, da diese dem BGH zufolge höchstens bezüglich der üblichen Drogenmenge vorgelegen hat, nicht aber im Hinblick auf eine Überdosis. Dennoch ist hier eine mittelbare Täterschaft abzulehnen, weil A keinen Tatherrschaftswillen hatte. Ein solcher hätte nur dann vorgelegen, wenn A die Fehldosierung selbst erkannt und das fehlende Risikowissen hätte ausnutzen wollen. Dafür liefert der Sachverhalt jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Somit hat A sich lediglich wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB in zwei Fällen strafbar gemacht. Insbesondere handelte A beim Abwiegen der Drogen sorgfaltspflichtwidrig, weil die Überdosierung objektiv und subjektiv eindeutig erkennbar und der Erfolg angesichts der Gefährlichkeit des Konsums von Drogen auch vorhersehbar und vermeidbar war. Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs aufgrund freiverantwortlicher Selbstgefährdung scheidet auch diesbezüglich aus den bereits genannten Gründen aus.
Entsprechend hat der BGH auch nur § 222 StGB in einem Fall bejaht, in dem der Verkäufer von Rauschgift versehentlich Heroin statt das vom Käufer gewünschte Kokain weiterreichte, sodass letzterer bei Einnahme der Drogen verstarb. Auch in diesem Fall wären aber (wie soeben im Psycholyse-Fall) in der Klausur zunächst §§ 223, 224 I Nr. 1 und 5, 227 StGB in mittelbarer Täterschaft zu prüfen und abzulehnen (BGH NJW 2009, 2611).
Im Falle einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung wäre sogar der Tatbestand des § 222 StGB ausgeschieden. Dies zeigen folgende, der Rechtsprechung entstammende Beispiele:
Beispiel 1: B, der bereits Erfahrungen mit harten Drogen hatte, wollte sich Heroin spritzen. Dafür besorgte ihm A eine Spritze. B verstarb infolge der Injektion. (Heroinspritzen-Fall nach BGHSt 32, 262 ff.)
Lösung: A hat sich nicht nach §§ 223, 227 StGB in unmittelbarer Täterschaft strafbar gemacht, da B sich die Spritze selbst verabreichte. Auch mittelbare Täterschaft scheidet aus, da A kein fehlendes Risikowissen oder mangelnde Verantwortlichkeit des B ausgenutzt hat. Vielmehr hatte B bereits Erfahrung mit Drogen. Damit bleibt nur ein Gehilfenbeitrag des A, der mangels rechtswidriger Haupttat straflos ist. Ebenfalls scheidet eine Strafbarkeit nach § 222 StGB aus. Hier kommt es aufgrund der – freiverantwortlichen