Christian Jäger

Examens-Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, eBook


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an den A überhaupt nicht mehr gedacht hatte, in die Wohnung gelangt und hatte von dem im Kühlschrank stehenden Getränk genascht. Strafbarkeit des A? (Gifttrunk-Fall)

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       Lösung:

      I. A könnte sich dadurch, dass er den vergifteten Trank bereitstellte, wegen vollendeter Tötung nach § 212 StGB strafbar gemacht haben.

      1. Durch das Bereitstellen des Tranks hat A eine zurechenbare Ursache für den späteren Tod der F gesetzt.

      2. Fraglich ist jedoch, ob A auch hinreichenden Tatvorsatz gehabt hat.

      Als A das Getränk mischte und in den Kühlschrank stellte, hatte er den Vorsatz, die F zu töten. Andererseits trat der Tod der F früher als erwartet ein, sodass man an einer Vorsatzzurechnung zweifeln könnte.

      a) Zu prüfen ist daher, zu welchem Zeitpunkt der Tatvorsatz gegeben sein muss. Anerkannt ist insoweit, dass der Vorsatz zum Zeitpunkt der Ausführungshandlung, d. h. zur Zeit ihrer Begehung i. S. d. § 8 StGB vorliegen muss.[39] Des Weiteren besteht Einigkeit darüber, dass der Vorsatz nicht während der gesamten Ausführungshandlung gegeben sein muss, sondern ausreichend ist, dass er in dem Augenblick vorhanden ist, in dem der Täter zur Erfolgsherbeiführung i. S. des § 22 StGB unmittelbar ansetzt.[40] Da nämlich denknotwendig vor jeder Vollendung das Stadium des Versuchs durchlaufen sein muss, kann mit dem in § 8 StGB genannten Zeitpunkt nur der Zeitpunkt der „strafbaren Handlung“ gemeint sein, sodass ein bloß im Vorbereitungsstadium wirkender Vorsatz als solcher nicht strafbar ist.[41] Würde man dies leugnen, so liefe dies im Ergebnis auf die Anerkennung einer Vollendungsbestrafung ohne vorausgehenden Versuch hinaus. Da also eine Vorsatzhaftung für eine vollendete Tat vor Versuchsbeginn nicht möglich ist, stellt sich in aller Schärfe die Frage, ob A vorliegend bereits zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt hatte, als er das tödliche Getränk mit Tötungsvorsatz in den Kühlschrank stellte. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die vorliegende Tat allenfalls im Stadium des unbeendeten Versuchs befand, da A den Trank der F nach deren Ankunft erst noch servieren wollte. Wann bei einem unbeendeten Versuch ein unmittelbares Ansetzen und damit eine Versuchsstrafbarkeit gegeben ist, ist umstritten.[42] Die Zwischenaktstheorie stellt darauf ab, ob nach der Vorstellung des Täters zwischen seinem Verhalten und der Tatbestandsverwirklichung noch ein weiterer wesentlicher Zwischenakt liegt.[43] Nach anderer Auffassung beginnt der Versuch dann, wenn der Täter für sich bereits die Feuerprobe der krit. Situation bestanden bzw. die Schwelle zum „jetzt geht's los“ überschritten hat.[44] Dagegen geht die heute wohl herrschende Sphärentheorie davon aus, dass der Versuch dann beginnt, wenn der Täter in die Schutzsphäre des Opfers eingedrungen ist und nach seiner Vorstellung zwischen Handlung und erwartetem Erfolgseintritt ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang besteht.[45] Nach allen genannten Auffassungen ist vorliegend ein Versuchsbeginn zu verneinen, weil A davon ausging, dass er der F das Getränk noch servieren musste, sodass nach seiner Vorstellung noch wesentliche Zwischenakte sowie die Herstellung einer Täter-Opfer-Beziehung notwendig waren, um die Tatbestandsverwirklichung zu ermöglichen. Die Tat befand sich daher noch im Vorbereitungsstadium.

      b) Denkbar wäre jedoch, eine Vorsatzzurechnung unter dem Aspekt einer unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf zu bejahen,[46] indem man davon ausgeht, dass die geringfügig frühere Ankunft der F sowie deren Möglichkeit, sich als Ex-Frau mit Hilfe eines Zweitschlüssels Zugang zum Haus zu verschaffen, nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren lagen und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen, zumal sich der Plan des A, was den äußeren Tatablauf betrifft, mit dem Vergiftungstod der F letztlich verwirklicht hat.

      Indessen ist die Rechtsfigur der Kausalabweichung nicht geeignet, aus einer straflosen Vorbereitungshandlung ein strafbares Vollendungsdelikt ohne das Zwischenstadium des Versuchs zu machen. Vielmehr greift dieses Institut erst dann, wenn eine mindestens als Versuch strafbare Handlung mit dem eingetretenen Erfolg in Beziehung zu setzen ist.[47]

      Hinweis für die Klausurbearbeitung: Hier erreicht der Fall seinen höchsten Schwierigkeitsgrad! Die Inzidentprüfung eines Versuchsbeginns im Rahmen einer Vollendung kann nicht ohne Weiteres zum Standardrepertoire von Studierenden gezählt werden. Denkbar wäre etwa auch, getrennt zu untersuchen, welche Lösungen sich bei der Annahme eines Versuchs und einer Vollendung ergeben. Jedoch stellt sich eine Inzidentprüfung deshalb als sinnvoll dar, weil das Problem des Versuchs bereits bei der Möglichkeit der Vollendungsbestrafung relevant ist.

      II. Nach dem Gesagten scheidet auch ein versuchter Mord gem. §§ 211, 212, 22, 23 I StGB aus.

      Zwar hatte A Tatentschluss zu einer heimtückischen Tötung aus niedrigen Beweggründen (er wollte bei der Vergiftung Fs auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit ausnutzen und handelte allein, um der F Böses zu tun)[48]. Jedoch hatte er – wie oben unter I. ausführl. dargestellt – nach seiner Vorstellung noch nicht unmittelbar zu Tatbestandsverwirklichung i. S. von § 22 StGB angesetzt.

      III. Gegeben ist jedoch eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB.

      Es war objektiv und subjektiv sorgfaltswidrig, das vergiftete Getränk in den Kühlschrank zu stellen und es war vorhersehbar, dass der Tod der F vorzeitig eintreten konnte, wenn sie von ihrem Zweitschlüssel Gebrauch machen sollte. Der dem A zu machende persönliche Vorwurf besteht dabei hier gerade darin, dass er diese Möglichkeit in seine Überlegungen nicht einbezogen hat.

      IV. Gleichzeitig verwirklicht ist als Durchgangsstadium eine fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB. Diese tritt aber hinter § 222 StGB zurück.

      V. Ergebnis: A ist wegen fahrlässiger Tötung an F strafbar.

      Hinweis: Einen der Sache nach vergleichbaren Fall hatte der BGH[49] zu beurteilen. Dort hatte A die B betäubt und geknebelt und sie sodann in den Kofferraum gelegt, um sie in ein Waldstück zu fahren, dort eine Unterschrift unter eine Generalvollmacht von B zu erpressen und diese sodann zu erstechen. Als er jedoch nach mehrstündiger Fahrt in das Waldstück kam und den Kofferraum öffnete, musste A feststellen, dass die B bereits erstickt war.

       Auch hier scheidet aus den soeben genannten Gründen eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tötung nach § 212 StGB sowie eine Strafbarkeit wegen versuchten Mordes nach §§ 211, 212, 22, 23 StGB aus. Gegeben sein könnte hier jedoch eine Körperverletzung mit Todesfolge sowie eine hierzu in Tateinheit stehende Freiheitsberaubung mit Todesfolge nach §§ 227, 239 IV StGB. Die gleichzeitig verwirklichte fahrlässige Tötung nach § 222 StGB tritt dahinter im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück. [50]

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      Dieses setzt eine bewusste Steuerung des Geschehens auf die Verletzung hin voraus. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit.[51]

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      Diese geht davon aus, dass der Täter vorsätzlich handelt, wenn er auch so gehandelt hätte für den Fall, dass er den Erfolgseintritt mit Sicherheit vorausgesehen hätte.

      Kritik: Nach dieser Theorie wäre Vorsatz nur in den seltensten Fällen gegeben, da der Täter grds. von der für ihn günstigsten Alternative ausgeht. Außerdem ist nicht einzusehen, weshalb ein außertatbestandliches Ziel (z. B. Wettgewinn) über den Tatbestandsvorsatz entscheiden können soll.

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      Diese nimmt bedingten Vorsatz an, wenn sich der