Александр Дюма

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4


Скачать книгу

nicht zum König berufen worden war, nicht für geeignet erachtet, sich zu Ludwig XVI. zu begeben; als aber sein Besuchstag gekommen war, glaubte er, seine Pflicht sei eine Entschuldigung, die er nicht von seiner Ergebenheit hatte entlehnen wollen.

      Es war derselbe Vorzimmerdienst dem König von Paris nach Versailles gefolgt; Gilbert war also in den Vorzimmern von Paris bekannt wie in denen von Versailles.

      Ueberdies hatte der König, wenn er auch nicht seine Zuflucht zum Doctor genommen, diesen doch nicht vergessen; Ludwig XVI. besaß einen zu richtigen Geist, um nicht leicht seine Freunde von seinen Feinden zu unterscheiden.

      Und Ludwig XVI. fühlte wohl bis in die Tiefe seines Herzens, was auch die Vorurtheile der Königin gegen Gilbert sein mochten, Gilbert sei vielleicht nicht der Freund des Königs, aber, was ebenso viel werth war, der Freund des Königthums.

      Ludwig XVI. erinnerte sich daher, es sei dies der Tag, an welchem Gilbert den Dienst habe, und nannte seinen Namen, damit Gilbert sogleich bei seiner Erscheinung bei ihm eingeführt werde.

      Kaum halle er auch die Thürschwelle überschritten, als der Kammerdiener vom Dienste ausstand, ihm entgegenging und ihn in das Schlafzimmer des Königs einführte.

      Der König schritt auf und ab, so sehr in Gedanken versunken, daß er dem Eintritt von Gilbert keine Aufmerksamkeit schenkte und nicht einmal die Meldung, die ihm voranging, hörte.

      Gilbert verharrte unbeweglich, stillschweigend bei der Thüre und wartete, bis der König seine Gegenwart bemerkte und ihn ansprach.

      Der Gegenstand, der den König beschäftigte, – und das war leicht zu sehen, denn von Zeit zu Zeit blieb er vor demselben stehen, – war ein Portrait in Lebensgröße von Karl I., gemalt von Van Dyck, dasselbe, das heute im Palaste des Louvre ist, und das ein Engländer, wenn man es an ihn verkaufen wollte, ganz mit Goldstücken zu bedecken sich anheischig gemacht hat.

      Sie kennen dieses Portrait, nicht wahr, wenn nicht nach dem Gemälde, doch wenigstens nach dem Stiche?

      Karl I. ist zu Fuße, unter einem von jenen mageren, spärlichen Bäumen, wie sie auf den Küsten wachsen. Ein Page hält sein gesatteltes und gezäumtes Pferd; das Meer bildet den Horizont.

      Der Kopf des Königs trägt ganz das Gepräge der Schwermuth, an sich. Woran denkt dieser Stuart, der als Vorgängerin die schöne und unglückliche Maria gehabt hat und als Nachfolger Jacob II. haben wird?

      Oder woran dachte vielmehr der Maler, dieses große Genie, dieser Mann, der Geist genug hatte, um mit seinem Ueberflusse die Physiognomie des Königs zu begaben?

      Woran dachte er, als er ihn zum Voraus, wie in den letzten Tagen seiner Flucht, als einfachen Cavalier, bereit, wieder gegen die Rundköpfe in’s Feld zu ziehen, malte?

      Woran dachte er, als er ihn so malte, an der stürmischen Nordsee stehend, mit seinem Pferde an seiner Seite, ganz bereit zum Angriff, aber auch ganz bereit zur Flucht?

      Fände man, wenn man dieses Gemälde, dem Van Dyck jene tiefe Färbung von Traurigkeit verliehen hat, umkehrte aus der Rückseite der Leinwand nicht irgend eine Anlage vom Schaffot von White-Hall?

      Die Stimme dieser Leinwand mußte sehr laut sprechen, um sich hörbar bei der ganzen materiellen Natur von Ludwig XVI. zu machen, dessen Stirne sie, einer Wolke ähnlich, welche vorüberzieht und ihren düstern Reflex auf die grünen Wiesen und die goldenen Kornfelder wirft, verfinstert hatte.

      Dreimal unterbrach er seinen Spaziergang, um vor diesem Portrait stehen zu bleiben, und dreimal begann er seinen Spaziergang wieder, der immer und verhängnißvoller Weise diesem Bilde gegenüber auszulaufen schien.

      Endlich sah Gilbert ein, daß es Umstände gibt, wo ein Zuschauer weniger indiscret ist, wenn er seine Gegenwart ankündigt, als wenn er stumm bleibt.

      Er machte eine Bewegung. Ludwig XVI. bebte und wandte sich um.

      »Ah! Sie sind es, Doctor,« sagte er. »Kommen Sie, kommen Sie, ich bin glücklich, Sie zu sehen.«

      Gilbert verbeugte sich und trat auf den König zu.

      »Wie lange sind Sie hier, Doctor?«

      »Seit ein paar Minuten, Sire!«

      »Ah!« machte der König, der wieder nachdenkend wurde.

      Dann, nach einer Pause, führte er Gilbert vor das Meisterwerk von Van Dyck und fragte:

      »Doctor, kennen Sie dieses Portrait?«

      »Ja, Sire.«

      »Wo haben Sie es denn gesehen?«

      »Als ein Kind, bei Madame Dubarry, aber, obgleich damals noch ein Kind, war ich doch tief davon betroffen.«

      »Ja, bei Madame Dubarry, so ist es,« murmelte Ludwig XVI.

      Dann, nach einer neuen Pause von einigen Secunden, fragte er:

      »Kennen Sie die Geschichte dieses Portraits, Doctor?«

      »Spricht Seine Majestät von der Geschichte des Königs, den es vorstellt, oder von der Geschichte des Portraits selbst?«

      »Ich meine die Geschichte des Portraits.«

      »Nein, Sire, ich weiß nur, daß es in London im Jahre 1645 oder 1646 gemalt worden ist; mehr kann ich nicht davon sagen; doch ich weiß nicht, wie es nach Frankreich übergegangen ist, und wie es sich in diesem Augenblick im Zimmer Eurer Majestät findet.«

      »Wie es nach Frankreich übergegangen ist? das will ich Ihnen sagen; wie es sich in meinem Zimmer findet, das weiß ich selbst nicht.«

      Gilbert schaute Ludwig XVI. mit Erstaunen an.

      »Wie es nach Frankreich übergegangen ist,« wieder»holte Ludwig XVI., »hören Sie: ich werde Ihnen über die Hauptsache nichts Neues mittheilen, aber viel über die Details; Sie werden dann begreifen, warum ich vor diesem Portrait stehen blieb, und woran ich dachte, indem ich stehen blieb.«

      Gilbert verbeugte sich, um zu bezeichnen, er höre aufmerksam.

      »Es gab, vor ungefähr dreißig Jahren,« sprach Ludwig XVI. »ein Ministerium, das unheilvoll für Frankreich und besonders für mich,« setzte er hinzu, seufzend bei der Erinnerung an seinen Vater, von dem er immer geglaubt hatte, er sei vergiftet worden: »das ist das Ministerium von Herrn von Choiseul. Dieses Ministerium beschloß man durch das Ministerium d’Aiguillon und Maupeou zu ersetzen und zugleich die Parlamente zu brechen. Aber die Parlamente brechen war eine Handlung, welche meinen Großvater, den König Ludwig XV., sehr erschreckte. Um die Parlamente zu brechen, bedurfte es eines Willens, den er verloren hatte. Mit den Trümmern des alten Menschen mußte er einen neuen Menschen machen, und um aus diesem alten Menschen einen neuen zu machen, gab es nur ein Mittel: den schmählichen Harem zu schließen, der, unter dem Namen Hirschpark, Frankreich so viel Geld und der Monarchie so viel Popularität gekostet hatte; man mußte, statt dieser Welt von jungen Mädchen, wo sich die Ueberreste seiner Männlichkeit erschöpften, Ludwig XV. eine einzige Geliebte geben, die bei ihm die Stelle von allen vertreten würde, die nicht genug Einfluß hätte, um ihn eine politische Linie verfolgen zu lassen, welche aber Gedächtniß genug besäße, um ihm jeden Augenblick eine wohl eingelernte Lection zu wiederholen. Der alte Marschall von Richelieu wußte, wo eine solche Frau zu suchen war, er suchte sie da, wo sie sich finden, und fand sie. Sie kannten sie, Doctor, denn so eben sagten Sie mir, Sie haben dieses Portrait bei ihr gesehen.«

      Gilbert verbeugte sich.

      »Wir liebten sie nicht, diese Frau, weder die Königin, noch ich! die Königin weniger vielleicht, als ich, denn die Königin, eine Oesterreicherin, instruirt von Maria Theresia zu der großen europäischen Politik, deren Centrum Oesterreich wäre, sah in der Erhebung von Herrn d’Aiguillon den Sturz ihres Freundes, des Herrn von Choiseul; wir liebten sie nicht, sagte ich, und dennoch muß ich ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie das, was war, zerstörend nach meinen besondern Wünschen und, ich sage es aus mein Gewissen, dem allgemeinen Wohle gemäß handelte. Es war eine geschickte Komödiantin: sie spielte ihre Rolle vortrefflich; sie setzte Ludwig XV. in Erstaunen durch eine dem Königthum bis dahin unbekannte kecke Vertraulichkeit; sie belustigte ihn, indem sie über ihn spottete; sie machte ihn zum Mann, indem sie ihn glauben ließ, er sei es