Gesicht von Gilbert heftend, sah er, daß er diesem Manne, der Alles so gut zu begreifen wußte, Alles sagen konnte.
Gilbert errieth, was im Geiste des Königs vorging, und ohne Ungeduld, ohne eine Frage wartete er, indem er sein Auge völlig dem forschenden Auge des Königs öffnete.
»Was ich Ihnen sage, mein Herr,« fuhr Ludwig XVI. mit einem gewissen Adel des Kopfes und der Geberde fort, die bei ihm nicht Gewohnheit war, »was ich Ihnen sage, müßte ich Ihnen vielleicht nicht sagen, denn es ist mein inniger Gedanke, und ein König soll den Grund seines Herzens nur diejenigen sehen lassen, in deren Herzensgrunde er lesen kann. Werden Sie mir Gleiches mit Gleichem vergelten, Herr Gilbert? und wenn Ihnen der König von Frankreich immer Alles sagt, was er denkt, werden Sie ihm auch immer Alles sagen, was Sie denken?«
»Sire,« erwiederte Gilbert, »ich schwöre Ihnen, daß, wenn Eure Majestät mir diese Ehre erweist, ich ihr diesen Dienst leisten werde; der Arzt ist mit den Leibern beauftragt, wie der Priester mit den Seelen; aber, stumm und unergründlich für die Andern, würde ich es für ein Verbrechen halten, die Wahrheit dem König nicht zu sagen, der mir die Ehre erweist, sie von mir zu verlangen.«
»Also, Herr Gilbert, nie eine Indiscretion?«
»Sire, sollten Sie mir selbst sagen, in einer Viertelstunde werde ich, und zwar auch auf Ihren Befehl, getödtet, ich würde mich nicht berechtigt glauben, zu fliehen, fügten Sie nicht bei: »»Fliehen Sie!««
»Sie thun wohl daran, daß Sie mir das sagen, Herr Gilbert. Mit meinen besten Freunden, selbst mit der Königin, spreche ich oft nur ganz leise; mit Ihnen werde ich laut denken.«
Er fuhr fort: »Nun wohl, diese Frau, welche wußte, man könne bei Ludwig XV. höchstens aus königliche Velleitäten rechnen, verließ, ihn kaum, um die geringsten von diesen Velleitäten zu benützen, Sie folgte ihm in den Rath und neigte sich über sein Fauteuil; vor dem Kanzler, vor diesen ersten Personen, vor diesen alten Staatsbeamten, legte sie sich zu seinen Füßen, sich geberdend wie ein Affe, schwatzend wie ein kleiner Papagei, und Tag und Nacht blies sie ihm das Königthum ein. Doch das war noch nicht genug, und die seltsame Egeria würde vielleicht ihre Zeit hierbei, verloren haben, hätte Herr von Richelieu nicht den Gedanken gehabt, diesen ungreifbaren Worten einen Körper zu geben, der die Lection, welche sie ihm wiederholte, materiell machte. Unter dem Vorwande, der Page, den man auf diesem Bilde sieht, heiße Barry, kaufte man das Gemälde für sie, als wäre es ein Familiengemälde. Das schwermüthige Gesicht, das den 30. Januar 1649 ahnete, hörte, in das Boudoir dieser Frau gestellt, ihr freches Gelächter, sah ihre lasciven Belustigungen; denn es diente ihr zu Folgendem: während sie lachte, nahm sie Ludwig XV. beim Kopf, zeigte ihm Karl I. und sagte zu ihm: »»Siehst Du, Frankreich, das ist ein König, dem man den Hals abgeschnitten hat, weil er schwach gegen sein Parlament war; schone also noch das Deinige!«« Ludwig XV. Cassirte das Parlament und starb ruhig auf dem Throne. Dann verbannten wir diese Frau, gegen welche wir vielleicht nachsichtiger hätten sein müssen. Das Bild blieb in den Mansarden von Versailles, und nie fiel es mir nur ein, zu fragen, was daraus geworden . . .Wie kommt es nun, daß ich es hier finde? Wer hat besohlen, es hierher zu bringen? Warum folgt es mir, oder vielmehr, warum verfolgt es mich?«
Und nachdem er traurig den Kopf geschüttelt, fügte Ludwig XVI. Bei:
»Doctor, ist hierunter nicht ein Verhängnis,?«
»Ein Verhängniß, wenn Ihnen dieses Portrait nichts sagt; doch eine Vorsehung, wenn es zu Ihnen spricht.«
»Wie soll ein solches Portrait nicht zu einem König in meiner Lage sprechen, Doctor?«
»Nachdem Eure Majestät mir erlaubt hat, die Wahrheit zu sagen, erlaubt sie mir auch, sie zu fragen?«
Ludwig XVI. schien einen Augenblick zu zögern.
»Fragen Sie, Doctor,« sagte er dann.
»Was sagt dieses Portrait Eurer Majestät, Sire?«
»Es sagt mir, Karl I. habe den Kopf verloren, weil er Krieg gegen sein Volk geführt, und Jacob II. habe den Thron verloren, weil er das seinige verlassen.«
»Dann ist dieses Portrait wie ich, Sire: es spricht die Wahrheit.«
»Nun?« fragte der König, Gilbert mit dem Blicke auffordernd.
»Nun, da der König mir erlaubt bat, ihn zu befragen, so frage ich ihn, was er diesem Portrait, das so redlich mit ihm spricht, antwortet?«
»Herr Gilbert,« erwiederte der König, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Edelmann, daß ich noch nichts beschlossen habe: ich werde die Umstände zu Rathe ziehen.«
»Das Volk befürchtet, der König gedenke Krieg gegen dasselbe zu führen.«
Ludwig XVI. schüttelte den Kopf und sprach:
»Nein, mein Herr, nein, ich kann nur Krieg gegen mein Volk mit der Unterstützung des Auslandes führen, und ich kenne zu gut den Zustand Europas, um ihm zu vertrauen. Der König von Preußen bietet mir an, mit hunderttausend Mann in Frankreich einzumarschiren; aber ich kenne den intriganten, ehrgeizigen Geist dieser kleinen Monarchie, die danach strebt, ein großes Königreich zu werden, welche überall zur Verwirrung antreibt, in der Hoffnung, in dieser Verwirrung werde sie ein neues Schlesien an sich reißen. Oesterreich stellt ebenfalls hunderttausend Mann zu meiner Verfügung, aber ich liebe meinen Schwager Leopold, diesen devoten Philosophen, nicht. Mein Bruder d’Artois trägt mir die Unterstützung von Sardinien und Spanien an, aber ich traue diesen Mächten nicht, welche von meinem Bruder d’Artois gelenkt werden; er hat Herrn von Calonne bei sich, das heißt den grausamsten Feind der Königin, denjenigen, welcher, – ich habe die Handschrift gesehen, – dem Pamphlet von Madame Lamotte gegen uns in der abscheulichen Halsbandgeschichte Noten beigefügt hat. Ich weiß Alles, was dort vorgeht. In der vorletzten Sitzung ist davon die Rede gewesen, mich abzusetzen und einen Regenten zu ernennen, der wahrscheinlich mein anderer vielgeliebter Bruder, der Herr Graf von Provence, wäre; schließlich hat Herr von Condé, mein Vetter, den Vorschlag gemacht, in Frankreich einzudringen und gegen Lyon zu marschiren, was auch dem König geschehen möchte! . . . Was die große Katharina betrifft, das ist etwas Anderes; sie beschränkt sich auf Rathschläge; sie gibt mir einen Rath, der auf das Erhabene abzielt, jedoch nur lächerlich ist, besonders nach dem, was in den letzten Tagen vorgefallen. »»Die Könige,«« sagt sie, »»müssen ihren Gang verfolgen, ohne sich um das Geschrei des Volks zu bekümmern, wie der Mond seinem Laufe folgt, ohne sich um das Gebelle der Hunde zu bekümmern!«« Es scheint, die russischen Hunde begnügen sich damit, daß sie bellen; sie lasse Deshuttes und Varicourt fragen, ob die unseren nicht beißen.«
»Das Volk befürchtet, der König gedenke zu fliehen, Frankreich zu verlassen . . .«
Der König zögerte zu antworten.
»Sire,« fuhr Gilbert lächelnd fort, »man hat immer Unrecht, eine von einem König gegebene Erlaubniß buchstäblich zu nehmen. Ich sehe, daß ich indiscret bin und auf meinen Fragen einfach den Ausdruck einer Furcht mache.«
Der König legte seine Hand aus die Schulter von Gilbert und erwiederte:
»Mein Herr, ich habe Ihnen die Wahrheit versprochen und werde sie Ihnen vollständig sagen. Ja, es ist hiervon die Rede gewesen; ja, die Sache ist mir vorgeschlagen worden; ja, es ist der Rath vieler redlicher Diener, die mich umgeben, ich soll fliehen. Doch in der Nacht vom 6. Oetober, als, in meinen Armen weinend und ihre Kinder in die ihrigen schließend, die Königin wie ich den Tod erwartete, ließ sie mich schwören, daß ich nie allein fliehen werde, daß wir Alle miteinander abreisen werden, um miteinander gerettet zu sein oder zu sterben. Mein Herr, ich habe geschworen und werde mein Wort halten. Da ich es aber nicht für möglich erachte, daß wir Alle mit einander fliehen, ohne zehnmal, ehe wir die Grenze erreichen, festgenommen zu werden, so werden wir nicht fliehen.«
»Sire,« sprach Gilbert, »Sie sehen mich in Bewunderung vor der Richtigkeit des Geistes Eurer Majestät. Oh! warum kann Sie nicht ganz Frankreich hören, wie ich Sie in diesem Augenblicke gehört habe? Wie viel Leidenschaften des Hasses, die Eure Majestät verfolgen, würden sich besänftigen! wie viel Gefahren, die Sie umgeben, würden sich schwächen!«
»Haß?« versetzte der König; »Sie glauben also, daß mein Volk mich haßt?