minder unangenehm die Mieterin des Nachbarhauses berührt, denn eine von den mit einem so schönen Rosa gefütterten Jalousien öffnete sich, eine Kammerjungfer, eine wahre Marton der Komödie, mit ihrer blauen Haube aus dem Ohr, streckte ihren Kopf, durch den Zwischenraum der Jalousie und fragte mit einem süßsauren Stimmchen:
»Wer macht denn einen solchen Lärmen zu einer solchen Stunde?«
»Ach! Mademoiselle Claire, ich bin es,« antwortete Banniére.
Banniére hatte eine von den Zofen von Olympia erkannt, und da sie Olympia in seiner Gegenwart genannt und er nicht ein Wort von dem, was Olympia gesagt, vergessen hatte, so erinnerte er sich des Namens dieser Kammerjungfer.
»Wer, Sie?« fragte das Mädchen, das mit seinen Katzenaugen die Finsternis zu durchdringen suchte.
»Ich, Banniére, der Debütant.«
»Ah Madame,« rief die tolle Soubrette, indem sie sich umwandte, um zu ihrer unsichtbar gebliebenen Gebieterin zu sprechen:
»Ah! Madame, es ist Herr Banniére!«
«Wie, Herr Banniére?« fragte Olympia.
»Ja, und sogar, sogar . . . ah! Madame, entschuldigen Sie mich, wenn ich mich des Lachens nicht erwehren kann, aber der arme Junge ist noch in seinem Kostüm des König Herodes.«
»Unmöglich!« rief Olympia, denn sie konnte nicht begreifen, welche Notwendigkeit Banniére zwang, so verkleidet in den Straßen herumzulaufen.
»Doch! doch!« erwiderte Claire. »Nicht wahr, Herr Banniére, Sie sind noch als Herodes gekleidet?«
»Ach! ja, Mademoiselle,« antwortete der Unglückliche.
»Oh! Madame will mir nicht glauben.»
Banniére kam eine Hoffnung.
»Sie hat sich nur dem Fenster zu nähern, und sie wird sich durch ihre eigenen Augen überzeugen,« sagte er.
Banniére hatte, um diese Worte zu sprechen, die rührendsten Noten seiner Stimme benützt. Diese Noten klangen bis in den Grund des Herzens von Olympia, und, halb lachend, halb gerührt, trat sie ebenfalls ans Fenster, wo ihr aus Respect Claire den Platz abtrat, während sie aus Neugierde hinter ihrer Gebieterin blieb, sich aus den Fußspitzen erhob und über die Schulter von Olympia schaute.
»In der Tat, Herr Banniére, Sie sind es?«
»Ja, mein Fräulein.«
»Aber was machen Sie denn da?«
«Sie sehen es wohl, mein Fräulein: ich klopfe an die Thür von Herrn von Champmeslé.«
»Herr von Champmeslé ist nicht zu Hause.«
»Ach! ich befürchte es, mein Fräulein.«
»Was haben Sie denn zu dieser Stunde bei Herrn von Champmeslé zu tun?«
«Mein Fräulein, ich habe meine Kleider von ihm zurückzufordern.«
»Welche Kleider,?«
»Meine Novizenkleider, die er in seiner Loge gefunden und angezogen hat, und mit denen er, wie es scheint, weggegangen ist.«
»Oh! armer Junge!« murmelte Olympia.
Banniére hörte die Worte nicht, aber er sah die Bewegung und begriff die Gebärde.
»Mein Fräulein,« sagte er. »es ist wahr, Herr von Champmeslé ist nicht nach Hause gekommen, doch er muss nach Hause kommen.«
»Gewiss muss er nach Hause kommen, zu einer oder einer andern Stunde.«
»Das ist auch meine Überzeugung, mein Fräulein; aber ich kann ihn nicht vor seiner Thür und so gekleidet erwarten.«
»Warum nicht?« fragte Olympia.'
»Weil der Tag kommen wird, mein Fräulein: es ist wenigstens drei Uhr, und wenn man mich in diesem Kostüm sieht, so bin ich verloren.«
»Verloren!«
»Und zwar verloren, weil ich Ihnen einen Dienst geleistet habe.«
»Warum sind Sie verloren?»
»Weil ich Noviz bei den Jesuiten bin.«
»Ah! es ist wahr; armer Junge!«
»Mein Fräulein, wenn Sie erlaubten, daß ich bei Ihnen einträte?«
»Wie beliebt?«
»Ich würde warten, wo Sie mich wollten warten lassen: in Ihrem Speisezimmer, in Ihrem Salon, in Ihrem Vorzimmer.«
Olympia wandte sich um, als wollte sie Claire befragen.
»Ei!« rief die Zofe, »ich sage, man müsste ein sehr schlechtes Herz haben, um einen so schönen Jungen vor der Thür zu lassen.«
»Ah! wahrhaftig?«
»Ich glaubte, Madame frage mich. Ich bitte Madame um Verzeihung, wenn ich meine Ansicht ausgesprochen habe, ohne dazu befugt zu sein.«
»Nein; im Gegenteil, Sie haben wohl gethan, denn ich fragte Sie wirklich um Ihre Ansicht, und Ihre Ansicht ist auch die meinige.«
»Mein Fräulein,« rief Banniére, »was entscheiden Sie über mich?«
»Lassen Sie den Jungen heraufkommen,« sagte Olympia zu ihrer Kammerjungfer, »und er soll im Zimmer nebenan bleiben.«
»Madame weiß, daß das Zimmer nebenan mein Zimmer ist.«
»Nun! wenn er in Ihrem Zimmer ist, werden wir sehen. was sich tun lässt.«
Claire rannte nach der Stubenthür, um diesen Befehl zu vollziehen. Olympia warf aber einen letzten Blick aus den unglücklichen Banniére, der seine Arme gegen sie ausstreckte, wie ein Schiffbrüchiger gegen den Leuchtturm am Ufer, und schloß wieder ihr Fenster.
Banniére hatte einen Augenblick der Verzweiflung; während er seine Bitte ausgesprochen, hatte er sie selbst ein wenig vermessen gesunden, so daß er, als er dieses reizende, rosa gefütterte Fenster schließen sah, sich völlig abgewiesen glaubte.
In diesem Augenblick einer sehr natürlichen Verzweiflung begann er wieder an die Thür von Champmeslé zu klopfen.
Während er mit aller Heftigkeit anklopfte, hörte er, daß die benachbarte Thür ganz sachte geöffnet wurde.
Derselbe Kopf mit einer blauen Haube erschien, und aus zwei rosigen, lächelnden Lippen sah er, so zu sagen, das Wort: »Kommen Sie!« hervorgehen.
Banniére ließ sich dieses Wort nicht wiederholen; er stürzte in den Gang, dessen Thür Mademoiselle Claire hinter ihm schloß; dann, da er sich in einer vollkommenen Finsternis befand, suchte eine kleine Hand die seinige, und als sie diese gefunden, zog sie ihn vorwärts, während dieselbe sanfte Stimme, welche im Ohre von Banniére wie die eines himmlischen Vermittlers klang, leise zu ihm sagt«:
»Folgen Sie mir.«
Nichts war leichter, als diesem seidenen, wohlriechenden Führer zu folgen, der voranging. Am Ende des Ganges fand Banniére eine Treppe, dann eine Wendung, doch bei jeder Veränderung des Terrain wurde Banniére durch einen Händedruck benachrichtigt.
Es konnte also unmöglich Banniére ein Unfall geschehen.
Oben auf der Treppe angelangt, wurde er in das Zimmer von Mademoiselle Claire eingeführt.
Eine einzige Thür, welche man aber doppelt geschlossen sah, trennte ihn nun vom Zimmer von Olympia.
Claire näherte sich dieser Thür und sagte:
»Madame, wir sind da.«
»Gut, Mademoiselle,« antwortete von der andern Seite der Thür Olympia, welche horchte. »Und Sie, Herr Banniére, Sie sind auch da?«
»Ja, mein Fräulein,« erwiderte Banniére; »und sehr dankbar für die Gunst, die Sie mir bewilligen.»
»Es bedarf keines Dankes. Sie sagen also, es fehlen Ihnen die Kleider, um in Ihr Kloster zurückzukehren, und es sei schwierig für Sie, als König Herodes dahin zu gehen?«
»Ich glaube, daß dies unmöglich ist, mein Fräulein.»
»Nun!