nachdenklicher Miene saß Bertram Maslowski an seinem Schreibtisch und studierte die Kontoauszüge seiner Firma, die er eben von der Bank geholt hatte. Sie sahen alles andere als rosig aus, denn obwohl er sich schon mehrfach von seinem vermögenden Vater Geld geliehen hatte, stand seine Firma am Rande des Konkurses. Bertram konnte sich ausrechnen, wie lange er noch durchhalten würde, bevor er einen Insolvenzantrag stellen mußte. Er haderte kurz mit sich, dann hob er den Hörer, um ein weiteres Mal mit seinem Vater zu sprechen.
»Maslowski«, meldete sich eine barsche Stimme, und Bertram nahm allen Mut zusammen.
»Hallo, Papa, ich bin es, Berti!«
»Mein mißratener Sohn! Was verschafft mir die Ehre?« fragte der Alte skeptisch.
Das war eine alles andere als ermutigende Begrüßung. »Ich wollte mich nur erkundigen, wie es dir geht.« Bertram ließ schnell von seinem Vorhaben ab. Doch Heiner Maslowski kannte seinen Sohn gut genug.
»Seit wann interessiert dich denn mein Gesundheitszustand? Dann muß ich dir wohl sagen, warum du dich meldest. Du brauchst Geld! Aber nicht mit mir, mein Freundchen. Ich habe schon zu lange tatenlos zugesehen, wie du mein sauer verdientes Geld sinnlos zum Fenster hinauswirfst. Aber damit ist jetzt Schluß! Ich biete dir noch einmal einen Arbeitsplatz in meinem Unternehmen an, wo du wie jeder andere junge Mann auch auf redliche Art und Weise dein Geld verdienen kannst. Gib deine unsinnigen Internetgeschäfte auf, und werde endlich vernünftig!«
»Aber gerade jetzt bin ich ganz nah dran an dem ganz großen Geld. Ich brauche nur noch einmal deine Unterstützung!« bat Berti fast flehend. Doch damit stieß er bei Heiner auf taube Ohren.
»Wie oft hast du mir diese Lüge schon aufgetischt und mir den ganz großen Gewinn versprochen?« rief er erbost in den Hörer. »Wenn du Arbeit suchst, um deine Schulden zu begleichen, kannst du dich wieder melden.« Mit diesen zornigen Worten legte er auf.
Ratlos starrte Bertram auf das Telefon. Er hatte sich alles so schön vorgestellt vor einem Jahr, als er seine Internet-Auktions-Firma eröffnet hatte. Er, Bertram Maslowski, als erfolgreicher Jungunternehmer, der aus dem Schatten seines Vaters aufsteigt wie Phönix aus der Asche. Aus der Traum! Doch er war kein Typ, der sich so schnell unterkriegen ließ. Als einziger Sohn des schwerreichen Auktionärs Heiner Maslowski, war er es von klein auf gewohnt zu bekommen, was er sich wünschte. Auch diesmal würde es nicht anders sein. Entschlossen stand Bertram auf und trat vor den mannshohen Spiegel, der an einer Tür der modernen Schrankwand angebracht war, die seinem Büro die nötige Wichtigkeit verlieh. Selbstverliebt stand er vor seinem Spiegelbild und musterte die tadellose Gestalt, die ihm strahlend entgegenlächelte. Das dunkle Haar fiel ihm in die Stirn und umrahmte das gut geschnittene, männlich markante Gesicht. Abgerundet wurde die Erscheinung von einer durchtrainierten Figur, die in feinstes Tuch gehüllt war. Zufrieden fuhr sich Bertram durch das Haar. Er war ein Mann, dem bisher keine Frau widerstanden hatte.
Diesmal würde ihm diese Tatsache auch geschäftlich zugute kommen. Wenn sein Vater ihm schon nicht helfen wollte, dann würde es jemand anderes tun. Und dieser Jemand war niemand anderes als Katja Petzold.
Als er an Katja dachte, vergaß Bertram für einen kurzen Moment seine fatale finanzielle Situation. Bei einer Benefizgala hatte er die Tochter aus gutem Hause vor zwei Monaten kennengelernt und sie seitdem einige Male ausgeführt. Sie war ein hübsches Mädchen mit schlanker Figur und wunderschönen rotbraunen Haaren und äußerst unterhaltend dazu. Das erleichterte die Sache ungemein, denn Bertrams eigentliches Interesse galt dem Vermögen der Familie Petzold. Er hatte die Bekanntschaft von vornherein unter diesen Voraussetzungen vertieft, und daß Katja seinem Charme bisher nicht erlegen war, machte es nur interessanter.
Sein Jagdfieber war erwacht.
*
Nichtahnend, welche Hoffnungen sie nährte, lag Katja im Bett ihres Jugendzimmers und blickte aus dem Fenster in den sommerlichen Garten. Es war schon später Vormittag, doch bis sich am Abend zuvor endlich alle Trauergäste verabschiedet hatten, war es ungewohnt spät für sie geworden.
Aber das allein war nicht der Grund, warum sie sich nicht dazu entschließen konnte, aufzustehen. Vielmehr genoß sie es, ungestört ihren Gedanken an Claudio nachhängen zu können. Claudio, der schwarzhaarige Italiener mit den glühenden Augen, den sie im Jahr zuvor im Urlaub in Rom kennengelernt und auf der Abiturfahrt vor zwei Monaten nicht ganz zufällig wiedergetroffen hatte. Seitdem bestimmte er ihre Gedanken Tag und Nacht, und wenn sie nicht telefonierten, schickten sie sich Liebesschwüre über den Computer und das Handy.
In den letzten Tagen waren seine Nachrichten spärlicher geworden, was Katja mit bangem Herzen bemerkt hatte.
Es war ihre erste Erfahrung mit der Liebe, und sie sehnte den Tag herbei, an dem sie wieder in seinen Armen liegen und alles gut sein würde.
Doch es gab noch ein Problem, mit dem Katja nicht gerechnet hatte, und dieses Problem hieß Katharina Petzold, Katjas Mutter, die in diesem Moment unangemeldet ins Zimmer kam.
»Willst du nicht endlich aufstehen?« fragte sie statt einer Begrüßung und blickte die Tochter vorwurfsvoll an. »Seit du in diesen Taugenichts Claudio verliebt bist, kann man dich zu nichts mehr gebrauchen. Du solltest lieber an deine Zukunft denken.« Nervös ordnete sie ein paar Dinge im Zimmer, und Katja verkniff sich eine anzügliche Bemerkung, die nur zu Streit führen würde.
»Übrigens ist Besuch für dich da, den du nicht allzu lange warten lassen solltest. Er ist unten im Salon.«
»Wer ist es denn?« erkundigte sich Katja, neugierig geworden.
»Dieser junge gutaussehende Mann, ich glaube, er heißt Bertram Maslowski. Ist sein Vater nicht der vermögende Aktionär?«
Katharina geriet ins Schwärmen, doch Katja verdrehte die Augen.
»Was will er hier? Ich dachte, ich hätte ihm bei unserem letzten Treffen unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß ich nicht interessiert bin. Außerdem ist er viel zu alt.«
»Das spielt doch keine Rolle. Das Wichtigste ist, daß er aus gutem Hause stammt. Ich weiß schon, daß du meine Ansichten als altmodisch empfindest, aber in dieser Hinsicht war ich mit deinem Großvater schon immer einer Meinung.«
»Ich wußte gar nicht, daß du irgend etwas gut fandest, was Opa gesagt oder getan hat«, entfuhr es Katja.
Eine schallende Ohrfeige war die Antwort.
»Sprich nicht so über meinen Vater! Er hatte auch seine guten Seiten, auch wenn er sie nicht oft gezeigt hat«, ereiferte sich Katharina. »Und jetzt steh endlich auf! Herr Maslowski wird nicht ewig warten.«
Katja überlegte kurz, entschloß sich dann aber, den Wünschen ihrer Mutter Folge zu leisten. Sie würdigte sie keines Blickes, als sie ins Bad ging und mit einem nassen Waschlappen ihre feuerrote Wange kühlte, doch das interessierte Katharina wenig. Sie hatte erreicht, was sie wollte. Ihre widerspenstige Tochter würde sich mit Bertram Maslowski treffen, das war die Hauptsache. Zufrieden mit ihrem Erziehungserfolg eilte sie die breite Treppe hinunter in den Salon.
»Es tut mir leid, daß Sie so lange warten müssen, aber Katja macht sich gerade frisch nach dem Frühsport«, lächelte sie beflissen.
Fast wäre Bertram vor lauter Abscheu das Lächeln auf den Lippen gefroren, doch er machte gute Miene zum bösen Spiel.
»Das macht gar nichts, Frau Petzold. Für eine schöne Frau wartet man gern.«
»Sie sind so charmant. Darf ich Ihnen inzwischen etwas zu trinken bringen, einen Martini vielleicht?« erkundigte sich Katharina eifrig.
»Nein danke, ich trinke tagsüber nie Alkohol. Wenn Sie vielleicht ein Glas Wasser hätten«, antwortete Bertram nonchalant und schnippte lässig einen Flusen von seinem teuren Maßanzug.
Während sie dem Hausmädchen auftrug, das Gewünschte in den Salon zu bringen, konnte Katharina ihr Glück gar nicht fassen. Was für eine vielversprechende Verbindung für die beiden Familien stand da bevor! Sie nahm sich vor, alles dafür zu tun, daß Katja vernünftig wurde und sich den Italiener so schnell wie möglich aus dem Kopf schlug.