KG MacGregor

Liebe in Sicht


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dahin ein unbestimmtes Gefühl gewesen war: Sie gehörte nicht zu Natalies Clique, weil sie nicht deren stilvollen femininen Look besaß. Selbst Yvonne, die ebenso sportlich war wie sie, erschien in einer Seidenbluse mit Tuch zum Dinner, mit dezentem Schmuck und Make-up. Ihr jedoch war das nicht möglich. Sie war, wie sie war, nicht mehr und nicht weniger. Ihr gefiel ihr Aussehen, von dem Haarwirbel vielleicht abgesehen.

      Der Bus hielt vor einer Hütte, bei der etliche Reihen Fahrräder derselben Marke in der Sonne funkelten, die sich nur in Farbe und Rahmen voneinander unterschieden. Kelly schlang sich ihren Rucksack um und wartete mit etwa zwanzig weiteren Menschen in der Schlange, um sich dann ein blaues Rad auszusuchen. Als sie hinter Jo aufschloss, stellte sie fest, dass die anderen keineswegs durchweg sportliche Typen waren, was sie noch einmal in ihrem Wunsch bestärkte, Natalie hätte sich ihr angeschlossen.

      »Einmal im Leben würde ich auch gern den Hauptgewinn kriegen, Jo, verstehst du?«

      »Ich auch, Kumpel, aber ich trau mich einfach nicht ran.«

      »Erzähl mir von deiner Flamme.«

      »Sarah.« Jos Gesicht nahm einen träumerischen Ausdruck an. »Sie arbeitet in der Bäckerei ihrer Mutter. Ich kaufe mir dort praktisch jeden Tag Ingwerkekse.« Sie klopfte sich auf den runden Bauch. »Wie unschwer zu übersehen ist.«

      »Ist sie hübsch?«

      »Bildhübsch. Langes blondes Haar und blaue Augen, die dich noch aus zehn Meter Entfernung umhauen.«

      Genau das dachte Kelly von Natalies grünen Augen. »Und wie ist sie so?«

      »Sie hat einen ziemlich schrägen Sinn für Humor. Sie nimmt mich andauernd auf die Schippe … aber nicht gemein oder so. Aus reinem Blödsinn. Und ich liebe ihr Lächeln.«

      Sie bogen in einen Weg ein, der aus festgestampfter Erde und Muscheln bestand und von Mangroven gesäumt war. Auf der einen Seite zog sich eine sattgrüne Hügellandschaft entlang, auf der anderen Seite das aquamarinblaue karibische Meer.

      »Klingt doch, als könnte sie sich für dich interessieren.«

      Prompt wurde Jo rot. »Schön wär’s. Aber ich hab zu viel Schiss, es herauszufinden.« Sie hielten an einer Lichtung in den Mangroven, die ihnen einen prachtvollen Blick aufs Meer eröffnete, und Jo machte ein paar Fotos. »Ich habe Angst, dass ich alles vermassele, verstehst du?«

      »Du meinst, wenn du sie fragst, ob sie mit dir ausgeht und sie nein sagt, dann könnt ihr nicht mehr befreundet sein?«

      »Genau. Das wäre echt peinlich.«

      »Steht sie denn auf Frauen?«

      »Ich glaube schon … Vielleicht. Ich habe noch nie erlebt, dass sie mit irgendwelchen Typen so herumgeblödelt hat. Bei denen ist sie immer ganz geschäftsmäßig.«

      Sie fuhren weiter, diesmal einzeln hintereinander. Während sie so dahinradelten, dachte Kelly darüber nach, wie es mit ihr und ihrer faszinierenden Kabinengenossin lief. Ihr bisher tiefgehendstes Gespräch hatte an diesem Morgen stattgefunden, als Natalie erzählt hatte, wie sie damals im College aus allen Wolken gefallen war, als sie feststellte, dass ihre besten Freundinnen lesbisch waren, ohne jedoch ins Detail zu gehen. Sie beide brauchten mehr Zeit miteinander – entweder in ihrer Kabine oder beim Sightseeing. Oder vielleicht bei einem Spaziergang auf dem Promenadendeck. Das Problem war, Natalie von ihren Freundinnen loszueisen. Vielleicht konnten sie nach dem Abendessen –

      »Wow!« Die Fahrradkolonne kam unvermittelt zum Stehen, und Kelly musste abrupt ausweichen, um nicht auf Jo aufzufahren. Ihr Vorderrad prallte gegen einen fußballgroßen Stein, blockierte und knickte ab, und ehe sie sich’s versah, flog Kelly in hohem Bogen durch die Luft. »Verdammte –«

      »Alles in Ordnung, Kumpel?« Jo war sofort an ihrer Seite.

      Zum Glück war sie in dem hohen Gras gelandet, das die Straße säumte. »Ja, ich glaube schon. Nur einen Hirnschaden.«

      »Was ist mit deinem Rad?«

      Kelly inspizierte es und stellte erleichtert fest, dass es keinen größeren Schaden genommen hatte. »Fährt noch.«

      »Gut! Bloß dass wir gar nicht weiterfahren. Wir sind am Strand.«

      Tatsächlich – vor ihnen erstreckte sich eine kristallklare blaue Lagune.

      Sie schoben ihre Räder zum Leiter der Tour, der eine kleine Crew beim Verladen der Fahrräder in einen Transporter überwachte, der sie zum Ausgangspunkt zurückbringen würde. Ihr Bus war in einer schattigen Ecke geparkt, wo verschiedene Händlerinnen ihre Waren auf Strohmatten und Decken ausgebreitet hatten.

      Kelly öffnete ihren Rucksack und folgte Jo zu einem Getränkestand. »Darf ich dir ein Bier ausgeben?«

      »Ich trinke nicht – nur Limonade.«

      Kelly legte ihre Hand auf Jos, als diese nach ihrer Brieftasche griff. »Ich lade dich ein. Eine Limonade, ein Medalla«, bestellte sie und lächelte, als sie sich daran erinnerte, wie sie das letzte Mal genüsslich ein puertoricanisches Bier getrunken hatte. Das war noch in der Navy gewesen, mit Sandra, an einem ihrer freien Wochenenden.

      Jo ging zu einigen Liegen unter einem Sonnenschirm hinüber. Kelly folgte ihr gleich darauf und reichte Jo ihr kühles Getränk.

      »Ich habe noch mal über deine Frage nachgedacht … wie Sarah so ist. Ich habe genau das ausgelassen, was mir am meisten gefällt.«

      »Und zwar?«

      »Früher habe ich immer eine Sonderbehandlung genossen, wenn ich in den Laden kam. Sie hat mir zum Beispiel was zurückgelegt, wenn es das Letzte war und sie wusste, dass ich es gern aß. Oder wenn es voll war, hat sie meine Bestellung schon fertig gehabt, wenn ich hereinkam.«

      »Und was hast du für sie gemacht?«

      Sie zuckte die Achseln. »Was immer anstand. Wenn viel los war, bin ich rumgegangen und hab die benutzten Teller und Servietten eingesammelt.«

      »Bist du nie gegen Feierabend hingegangen und hast sie nach Hause begleitet?«

      »Also das wäre ja fast wie ein Date! Ich hab dir doch gesagt, dass ich dazu viel zu viel Schiss habe.«

      »Warum denn? Du begleitest sie doch bloß auf dem Heimweg.« Kelly schüttelte über sich selbst den Kopf. Da gab sie gute Ratschläge, wie man sich an Frauen heranmachte, und dabei hatte sie selbst nicht ein einziges Date gehabt, seit sie zwei Jahre zuvor nach Rochester gezogen war.

      »Vielleicht mache ich das eines Tages.« Jo streckte sich in ihrem Liegestuhl aus. »Weck mich, wenn der Bus losfährt. Oder wenn meine Füße in der Sonne sind.«

      »Alles klar. Ich gehe mal rüber und schau mir die Souvenirs an.« Kelly nahm ihren Rucksack und kehrte in den Schatten zurück, wo sie auf der Stelle von mehreren buntgekleideten Frauen in Beschlag genommen wurde, die alle gleichzeitig ihren hübschen Nippes anpriesen und Kelly zum Kaufen aufforderten. Kelly brauchte nichts davon, und daheim in Rochester erwartete niemand ein Mitbringsel, aber sie wollte die einheimische Wirtschaft unterstützen.

      »Das hier gut für dich«, sagte eine der Frauen und hielt ihr eine schmale Halskette mit einer geschnitzten Meeresschildkröte hin.

      Nicht schlecht, dachte Kelly. Ein schlichter Halsschmuck, mit dem sie ihre Strandkleidung aufpeppen konnte. Er mochte sogar zu dem weißen Hemd und dem schwarzen Anzug, den sie für förmliche Anlässe dabei hatte, gut aussehen. »Was kostet sie?«

      »Zwanzig Dollar.«

      Kelly nahm die Halskette genauer in Augenschein. Sie war nicht besonders solide gearbeitet, würde aber die nächsten beiden Wochen halten. »Haben Sie die gemacht?«

      Die junge Frau nickte. »Fünfzehn … zwölf …«

      »Fünfzehn ist in Ordnung. Das ist ein angemessener Preis.«

      Kelly verstaute die Halskette in ihrem Rucksack und betrachtete die übrigen ausgelegten Dinge. Nichts Außergewöhnliches … Nichts, das sich als schönes Geschenk für jemanden wie Natalie