einer Prinzessin gehört, und jetzt gehört es wieder einer Prinzessin.« Ihr Bubenstück in der Herberge hatte die Bande in einem anderen Quartier geplant.
Auf einem schmalen Teppich aus Mondlicht betraten sie einen sehr großen, gewölbten Raum, dessen Decke noch unbeschädigt zu sein schien. An einer Wand befand sich eine ausladende Eichentruhe, die ein Stück weit aus der Dunkelheit herausragte; in der Mitte stand ein riesiger Tisch, wie es ihn wohl in einem Kloster geben mochte, und er war flankiert von vielen massiven Stühlen, die im ungewissen Licht wie kniende Menschen wirkten. Eine einzige Tür führte auf der gegenüberliegenden Seite aus diesem Raum hinaus. Josef ging durch das Gemach auf diese Tür zu; sie war nicht verschlossen. »Hinunter mit unserer Kriegsbeute!«, herrschte er seine Gefolgsmänner an. Christoffel zerrte den Mönch hinter sich her; die anderen folgten ihm; es war wie eine Prozession zerlumpter Gestalten, die zu einem sonderbaren Gott unterwegs waren. Maria folgte ihnen.
Sie zündeten eine Fackel an, die an der Wand hing; dann brachten sie den Mönch in ein unterirdisches, fensterloses Verlies, stießen ihn hinein, und Josef verriegelte die Tür hinter ihm, wozu er denselben Schlüssel wie vorhin benutzte. Dann steckte er ihn in eine weite Außentasche seines Kittels. »Jetzt wollen wir uns dem angenehmen Teil unseres Auftrages widmen«, meinte er grinsend, als sie wieder nach oben in die Halle stiegen. Die Mordbrüder steckten Fackeln in Halterungen an den Wänden und entzündeten das schwarze Pech; dann schlossen sie das Portal, und der Teppich aus silbernem Mondschein verschwand. Bald war der große, gewölbte Raum in ein verwirrendes Muster aus rotem Licht und grauen Schatten getaucht. Christoffel entfachte in einem großen Kamin ein lustiges Feuer, und die übrigen holten aus anderen Kellerräumen kleine Fässer sowie gepökeltes Fleisch. Sie ließen sich an dem Tisch nieder, und Christoffel holte aus der Truhe vornehme und wertvolle silberne Becher, in die verschlungene Muster eingraviert waren. Er stellte auch Maria einen Becher hin.
In den kleinen Fässern lagerte schwerer, roter Wein, der an das träge Blut eines alten Mannes erinnerte. Maria sah von einem Zecher zum anderen. Man konnte kaum glauben, dass es Menschen waren. Sie zerrissen das Fleisch zwischen den Zähnen, spülten den Wein hinunter, als wäre es Wasser, achteten nicht darauf, dass ihnen der Trunk aus den Mundwinkeln lief; sie schwatzten mit vollem Mund, hauten auf den Tisch, dass die Becher wackelten, und brüllten vor Lachen, wenn einer einen Witz machte. Christoffel war bei allem der Lauteste, der Ungebärdigste. Er soff den meisten Wein, fraß das meiste, rülpste am vernehmlichsten – und schielte Maria immer wieder lüstern an. Die anderen verblassten ein wenig neben diesem derben und knorzigen Gesellen: Gänschen, der ein wenig schüchtern war, aber die Klinge so gut wie kein anderer zu führen wusste und keinerlei Skrupel kannte und der seinen Spitznamen wegen seines abnorm langen Halses erhalten hatte – er war einer der Mörder des Mönchs gewesen –; Hütlein, der zwar nur mittelgroß war, aber einen Baum aus der Erde reißen konnte, sonst allerdings nicht viel zuwege brachte und die meiste Zeit aus leeren Augen dumpf vor sich hin stierte – er war der zweite Mörder gewesen –; Hans, der nur noch einen einzigen Zahn im Munde hatte und immer schrecklich aus dem Rachen stank, aber die schlimmsten Witze machte und deshalb bei den Buben sehr beliebt war; Mohammed, der so hieß, weil er seinen eigenen Angaben zufolge ein Jahr unter den Türken gelebt hatte und die Gesellschaft oft mit erbaulichen Schilderungen aus dem Harem des Sultans unterhielt, zu dem er angeblich jederzeit Zugang gehabt hatte; Pfäfflein, der ein entsprungener Pfarrer war, dem seine arme Gemeinde nicht genug Pfründe gebracht hatte und den die Bande als ihren Hofgeistlichen ansah, der ihnen – und sich selbst – nach jeder Schandtat bereitwillig die Absolution erteilte und das Vaterunser fast fehlerlos auf Latein dahersagen konnte; und schließlich noch Spatzel, der in der Tat so einfältig wie ein Spätzlein war, aber immer alles getreulich ausführte, was man ihn hieß.
Auf was hatte Maria sich bloß da eingelassen? Als Josef sie beschwatzt hatte, war es ihr eine gute Idee erschienen, sich dieser Gruppe anzuschließen, doch inzwischen hatte sie ihre seltsamen Gefährten näher kennengelernt und war entsetzt von ihnen. Auch Josef, der ihr mit seinen blauen Augen und den Furchen in seinem jungen Gesicht so edel vorgekommen war, schien nun ein anderer geworden zu sein. Er saß neben ihr und hatte den Arm um sie gelegt.
»Bald sind wir reich«, sagte er zu ihr, nachdem er den Mund geleert und den letzten Bissen Pökelfleisch mit dem Roten heruntergespült hatte. »Morgen kommt der Meister her und wird uns fürstlich belohnen.«
»Was will er denn von dem Mönch?«, fragte Maria.
»Was weiß ich? Er hat uns nur aufgetragen, ihn einzufangen, und zwar lebend und unverletzt. Das haben wir getan. Es muss sich wohl um eine ungeheuer wichtige Sache handeln.«
»Ach wasch«, nuschelte Christoffel über den Tisch. »Er will mit ihm doch nur Löschegeld erpreschen. Dasch Kloschter scholl schahlen.«
»Du bist und bleibst ein Narr«, sagte Josef zu ihm. »Glaubst du wirklich, seine Brüder würden auch nur einen roten Heller für ihn springen lassen? Nein, es muss etwas anderes dahinterstecken – etwas, das in der Person des Paters selbst liegt.«
»Mir gefällt er nicht«, meinte Pfäfflein, nachdem er wieder einmal seinen Humpen geleert hatte. »Ich habe natürlich auch schon von seiner Heiligmäßigkeit gehört – ich bin sicher, dass wir es hier mit dem Pater Hilarius aus Eberberg zu tun haben –, aber auf mich wirkt er eher wie ein Dämon.«
»Du kennst diesen Pater?«, fragte Maria den Pfaffen verwundert.
»Aber natürlich; wir stammen schließlich aus derselben Zunft«, sagte Pfäfflein und lächelte sie über den Tisch hinweg an. Ihr gefiel dieses Lächeln nicht. Er stierte auf den Ausschnitt an ihrem Kleid. »Sein Ruf ist legendär. Er ist ein Hexenschnüffler und Geisterbanner. Vielleicht soll er für den Grafen ja einen Geist bannen – oder vielleicht auch einen rufen.«
»Was ist der Graf eigentlich für ein Mensch?«, wollte Maria wissen.
»Oh, ein sehr merkwürdiger«, antwortete Pfäfflein. »Wir haben ihn erst vor Kurzem kennengelernt. Unser legendärer Ruf muss bis zu ihm gedrungen sein. Ich weiß nicht, wo er herkommt, aber ich weiß, dass der Meister unendlich reich ist.«
Maria dachte an die welken Blätter und die Zähne in der Geldkatze, die sie dem Mann abgenommen hatte, von den sie sicher war, dass es sich bei ihm um den Grafen gehandelt hatte.
»Er ist ein Edelmann«, sagte Josef und legte den Arm enger um sie. Seine Hand rutschte von ihrer Schulter hin zu dem Ansatz ihres Busens. Dort verweilte sie wie angeklebt. »Er wirkt vielleicht etwas düster, und in mancher Hinsicht erinnert er mich an unseren Gast dort unten, aber er ist unendlich gebildet und scheint jede einzelne Wissenschaft, die es auf unserer Welt gibt, studiert zu haben. Du wirst ihn kennenlernen – morgen. Aber jetzt wollen wir erst einmal Spaß haben.« Und seine Hand rutschte noch tiefer.
Maria versuchte, sich aus seiner Umarmung zu befreien.
»Was ist? Willst du mir etwa nicht das gönnen, was du einem schäbigen Mönchlein gewährt hast?«, fragte Josef erbost und hielt sie noch fester. Seine rechte Hand hatte sich jetzt in ihren Ausschnitt gestohlen und drückte die Brust heftig. Es tat weh.
Ja, sie wollte. Nein, sie wollte nicht. Sie wusste nicht mehr, was sie wollte. »Aber doch nicht hier, nicht vor den anderen …«, beschwerte sich Maria.
Die anderen, die ihr mit offenen, geifernden Mündern gegenübersaßen, lachten schallend.
»Glaube nicht, dass meine Gesellen noch nie ein nacktes Weib gesehen haben«, raunzte Josef sie an und zerrte an ihrem Ausschnitt. Er beugte sich zu ihr herüber und küsste sie. Sie roch seinen säuerlichen, nach Wein und Gewalt stinkenden Atem. Dann war seine Zunge in ihrem Mund.
Es ekelte sie. In den vergangenen zwei Tagen hatte sie sich manchmal gewünscht, Josef möge sie nehmen, doch er hatte sich ihr gegenüber stets höflich und sittsam benommen. Jetzt fiel seine Maske von ihm ab. Und jetzt gefiel es ihr gar nicht mehr.
Er zwang sie dazu, sich vor ihn zu knien, und nahm seine dicke, kurze Rute aus der Hose. »Mach den Mund auf, du Hure«, knurrte er sie an. Es bliebt ihr nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Er drückte ihren Kopf so nahe an sein Gemächt heran, dass sie keine Wahl hatte. Sie nahm die Rute in den Mund. Josef keuchte und ächzte.