nicht?« Maria hielt ebenfalls inne und schaute ihn verwundert an.
»Weil … weil ich nicht gern reite. Pferde mögen mich nicht besonders. Außerdem können wir uns besser verstecken, wenn wir zu Fuß sind. Dann werden sie uns nicht so leicht finden. Komm jetzt. Wir müssen rasch fort von hier.« Hilarius lief in den Wald hinein, und Maria folgte ihm widerstrebend.
Es schien ihr, als irrten sie schon seit Stunden zwischen den hohen, schwarzen Stämmen her. Immer wieder hielten sie an und schauten sich um. Nichts und niemand verfolgte sie. Maria drängte sich mehrmals eng an den Leib des Paters, weil sie in diesem riesigen, undurchdringlichen Wald mit seinen vielen seltsamen Geräuschen entsetzliche Angst hatte und sich nach körperlicher Nähe sehnte, doch der Pater stieß sie jedes Mal barsch von sich. War er wirklich so ausgemergelt, oder was sonst hatte sie bei diesen kurzen Berührungen gespürt? Wie erklärte sich dann sein enormer Bauch?
»Warum haben sie Euch eigentlich entführt?«, fragte Maria schließlich, als sie wieder einmal stehen blieben. Der Mond goss silbernes Licht zwischen die Stämme, das sich in einer Pfütze am weichen Waldboden gesammelt hatte.
»Woher soll ich das wissen?«, gab der Pater unwillig zurück.
»Sie haben etwas von einem Grafen gesagt, der Euch sprechen wollte – kennt Ihr diesen Grafen zufällig?«
»Ich bin ein Gottesmann. Ich kenne keine Grafen!«
Sie hatte nicht den Eindruck, dass er die Wahrheit sagte; deshalb versuchte sie nicht mehr, das Gespräch weiterzuführen.
Vor ihnen flatterte plötzlich eine riesige Eule auf. Maria stieß einen Schreckensschrei aus und schlug die Hände vor den Mund. Auch der Pater war zusammengezuckt. »Nicht alles, was wie ein Geschöpf Gottes aussieht, ist auch eines«, sagte er, als die Eule im schwarzen Gewirr der Zweige über ihnen verschwunden war.
»Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte Maria.
»Das Hexengezücht kann jede beliebige Gestalt annehmen«, flüsterte er und warf ihr brennende Blicke zu. »Meistens lassen sie sich von ihren Buhlteufeln zum Sabbat fliegen, doch manchmal legen sie die Strecke auch in verwandelter Gestalt selbst zurück.«
»Soll das heißen, dass das eine Hexe war?«, wisperte Maria ängstlich und schlang die Arme um sich. Plötzlich war es noch viel kälter zwischen den schweigenden Stämmen geworden. Ein leiser Wind raschelte in den Zweigen; es wirkte, als bewegten sie sich aus eigener Kraft – Arme, die sich nach den hilflosen Menschenkindern in dem so fremd gewordenen Wald ausstreckten; Arme, die sie aus der Nacht der Welt in eine Welt der Nacht ziehen wollten. Es war Maria, als würde der Tag nie wieder anbrechen.
»Die Hexen sind überall. Ich kann sie erschnüffeln; mir ist noch keine entkommen. Ich hasse sie sogar noch mehr als die Juden, die unseren Herrn ans Kreuz genagelt haben!« Wieder dieser glühende Blick, in dem mehr als nur ein Quäntchen Gier und Lust lagen. »Ich wiege sie zuerst in Sicherheit, bis sie glauben, ich hätte sie nicht erkannt, doch dann falle ich über sie her und reiße ihnen die Maske vom Gesicht!« Die Augen des Paters flackerten wie Höllenfeuer.
Was hatte sie nur getan? Maria hob die rechte Hand und biss sich in die Knöchel. Da hatte sie ihren Peinigern entkommen wollen und sich einem Besessenen anvertraut! Denn besessen war der Pater, dessen war sie sich sicher. Und jetzt war sie ganz allein mit ihm in diesem endlosen, finsteren Wald, in der von Bleichheit durchsetzten Schwärze, aus der alle Farben des Tages ausgeflossen zu sein schienen und nichts mehr so war, wie es sein sollte.
»Hörst du die Dämonen, mein Kind?«, wisperte der Pater und riss die dunklen Augen auf; sie schienen ihm fast aus dem Kopf zu fallen, schienen aus den Höhlen hervorzuquellen. Er bleckte die langen Zähne in wölfischem Grinsen.
Es war wirklich etwas zu hören.
Nicht sehr weit vor ihnen raschelte es im Unterholz. Konnte es ein Reh sein? Maria sah, wie der Pater gefror. Kleine weiße Wölkchen quollen aus seinem noch immer offen stehenden Mund. Es schien beständig kälter zu werden. Die Geräusche kamen näher. Pater Hilarius schaute seine Befreierin an. Sein Gesicht war zu einer höllischen Fratze geronnen.
»Was ist das?«, flüsterte sie so leise, dass sie die Worte kaum selbst hören konnte.
»Das ist die Nacht«, gab der Pater genauso leise zurück. »Die lebende Nacht. Die Verkörperung der Nacht und der Dunkelheit.«
Jetzt konnte sie schwache Schemen erkennen. Sie kamen nur sehr langsam näher – quälend langsam. Der Mond war inzwischen hinter die Wipfel der Bäume gesunken, und die Silberpfuhle am Boden trockneten aus. Die Bäume streiften das Kleid der Bleichheit ab und zeigten sich in ihrer nackten Schwärze. Sie verschmolzen mit dem Waldboden und der dunklen Ferne, und die wenigen Sterne hoch oben waren die tausend Augen der Nacht, die ihre Opfer allwissend anblinzelten.
Waren es menschliche Schemen? Bisweilen schienen sie sich zu ducken, schienen zu den Umrissen von Tieren zu werden, die über den Waldboden krochen. Auf der Jagd, schoss es Maria durch den Kopf. Sie konnte sich nicht mehr bewegen, war gebannt von Angst und Grauen. Sie sind auf der Jagd, auf der Jagd nach Seelen. Immer näher kamen sie, wichen manchmal etwas nach rechts oder links aus, doch fanden jedes Mal wieder zu ihrem Kurs zurück. In wenigen Minuten würden sie auf Maria und den Mönch stoßen.
»Was ist das?«, flüsterte Maria noch einmal.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Pater Hilarius atemlos.
Die raschelnden Geräusche wurden lauter. Jetzt war es bald so weit.
Maria wollte ihr eigenes Ende nicht sehen. Sie schlug die Hände vor das Gesicht.
Dann war das Rascheln ganz nahe gekommen.
Sie waren da.
7. Kapitel
Es waren zwei. Der eine machte einen seltsamen Eindruck auf Pater Hilarius, aber den anderen erkannte er sofort. Es war sein Schüler Martin. Dieser wollte den Pater bereits umarmen, doch Hilarius konnte ihn gerade noch davon abhalten und trat einen Schritt zurück. Das Erste, was er sagte, war: »Wo ist Bruder Suitbertus?«
Martin musste ihm von den grauenvollen Geschehnissen der Nacht berichten. Hilarius war entsetzt, als er vom Tod seines Konfraters erfuhr. Dann erzählte er, was ihm selbst widerfahren war, und schließlich deutete er auf den buntscheckigen Gaukler und fragte: »Und wer ist der da?«
»Federlin bin ich genannt, stets zu Euren Diensten, heiligmäßiger Hilarius. Bin nur ein armer Schlucker und wandere durch die Welt, aber manchmal bin ich durchaus zu etwas nützlich – zum Erschnüffeln von Weihrauchschwenkern zum Beispiel.« Er machte einen tiefen Diener und zog seine Mütze ab. Es wirkte wie eine Verspottung. Hilarius kniff die Augen zusammen. Diese Gestalt war seltsam. Er fasste sofort eine heftige Abneigung gegen den so kecken Gaukler.
Irgendwo knackte etwas. Martin fuhr zusammen und sah sich besorgt um. Auch Hilarius wurde nervös. Federlin reckte sich wieder auf, warf Maria eine Kusshand zu und sagte: »Keine Sorge, es sind nur niedere Tiere.«
Wieder ertönte ein Knacken. Hilarius glaubte nun, Umrisse im Wald zu sehen. Das Licht war zu schlecht, um Gewissheit zu geben, doch dort hinten bewegte sich etwas. Und dort! Und dort! »Hier stimmt etwas nicht«, murmelte Hilarius. Martin schaute sich gehetzt um. »Wie vorhin!«, zischte er. »Als ich den Wölfen begegnet bin.« Er sah Federlin ängstlich an. Dieser lachte kurz auf.
»Wölfe! Habt ihr Angst vor Wölfen? Es gibt andere Geschöpfe, vor denen ihr Angst haben solltet.« Geziert setzte er seine Mütze wieder auf.
Es war eindeutig; da bewegten sich Wesen im Unterholz – und sie bewegten sich auf die kleine Gruppe zu! Hilarius hörte, wie Martin ein Vaterunser nuschelte; seine Zähne klapperten. Maria schlang die Arme um sich, als friere sie schrecklich. So musste es sein, wenn sich die Mächte der Finsternis sammelten.
Dann brachen sie aus dem Unterholz hervor und umzingelten die kleine Gruppe. Hilarius wusste nicht, ob er aufatmen oder noch mehr Angst haben sollte.
Es waren keine Dämonen, keine Geschöpfe des Teufels und der Finsternis.