Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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ha­ben. Nie wür­de man sich zum Bei­spiel den Stolz des Hera­klit, als eine mü­ßi­ge Mög­lich­keit, ima­gi­ni­ren kön­nen. An sich scheint je­des Stre­ben nach Er­kennt­niß, sei­nem We­sen nach, ewig un­be­frie­digt und un­be­frie­di­gend. Des­halb wird Nie­mand, wenn er nicht durch die His­to­rie be­lehrt ist, an eine so kö­nig­li­che Selb­st­ach­tung und Über­zeugt­heit, der ein­zi­ge be­glück­te Frei­er der Wahr­heit zu sein, glau­ben mö­gen. Sol­che Men­schen le­ben in ih­rem eig­nen Son­nen­sys­tem; dar­in muß man sie auf­su­chen. Auch ein Py­tha­go­ras, ein Em­pe­do­kles be­han­del­ten sich selbst mit ei­ner über­mensch­li­chen Schät­zung, ja mit fast re­li­gi­öser Scheu; aber das Band des Mit­lei­dens, an die große Über­zeu­gung von der See­len­wan­de­rung und der Ein­heit al­les Le­ben­di­gen ge­knüpft, führ­te sie wie­der zu den an­de­ren Men­schen, zu de­ren Heil und Er­ret­tung, hin. Von dem Ge­fühl der Ein­sam­keit aber, das den ephe­si­schen Ein­sied­ler des Ar­te­mis-Tem­pels durch­drang, kann man nur in der wil­des­ten Ge­birgsö­de er­star­rend Et­was ah­nen. Kein über­mäch­ti­ges Ge­fühl mit­lei­di­ger Er­re­gun­gen, kein Be­geh­ren, hel­fen, hei­len und ret­ten zu wol­len, strömt von ihm aus. Er ist ein Gestirn ohne At­mo­sphä­re. Sein Auge, lo­dernd nach in­nen ge­rich­tet, blickt er­stor­ben und ei­sig, wie zum Schei­ne nur, nach au­ßen. Rings um ihn, un­mit­tel­bar an die Fes­te sei­nes Stol­zes, schla­gen die Wel­len des Wahns und der Ver­kehrt­heit: mit Ekel wen­det er sich da­von ab. Aber auch die Men­schen mit füh­len­der Brust wei­chen ei­ner sol­chen wie aus Erz ge­goss­nen Lar­ve aus; in ei­nem ab­ge­leg­nen Hei­ligt­hum, un­ter Göt­ter­bil­dern, ne­ben kal­ter, ru­hig-er­ha­be­ner Archi­tek­tur mag so ein We­sen be­greif­li­cher er­schei­nen. Un­ter Men­schen war Hera­klit, als Mensch, un­glaub­lich; und wenn er wohl ge­se­hen wur­de, wie er auf das Spiel lär­men­der Kin­der Acht gab, so hat er je­den­falls da­bei be­dacht, was nie ein Mensch bei sol­cher Ge­le­gen­heit be­dacht hat: das Spiel des großen Wel­ten­kin­des Zeus. Er brauch­te die Men­schen nicht, auch nicht für sei­ne Er­kennt­nis­se; an Al­lem, was man etwa von ih­nen er­fra­gen konn­te und was die an­de­ren Wei­sen vor ihm zu er­fra­gen be­müht ge­we­sen wa­ren, lag ihm nicht. Er sprach mit Ge­ring­schät­zung von sol­chen fra­gen­den, sam­meln­den, kurz »his­to­ri­schen« Men­schen, »Mich selbst such­te und er­forsch­te ich«, sag­te er von sich, mit ei­nem Wor­te, durch das man das Er­for­schen ei­nes Ora­kels be­zeich­net: als ob er der wah­re Er­fül­ler und Vol­len­der der del­phi­schen Sat­zung »Er­ken­ne dich selbst« sei, und Nie­mand sonst.

      Was er aber aus die­sem Ora­kel her­aus­hör­te, das hielt er für un­s­terb­li­che und ewig deu­tens­wert­he Weis­heit, von un­be­grenz­ter Wir­kung in die Fer­ne, nach dem Vor­bild der pro­phe­ti­schen Re­den der Si­byl­le. Es ist ge­nug für die spä­tes­te Mensch­heit: mag sie es nur wie Ora­kel­sprü­che sich deu­ten las­sen, was er wie der del­phi­sche Gott »we­der aus­sagt, noch ver­birgt«. Ob es gleich von ihm »ohne Lä­cheln, Putz und Sal­ben­duft«, viel­mehr wie mit »schäu­men­dem Mun­de« ver­kün­det wird, es muß zu den tau­sen­den Jah­ren der Zu­kunft drin­gen. Denn die Welt braucht ewig die Wahr­heit, also braucht sie ewig Hera­klit: ob­schon er ih­rer nicht be­darf. Was geht ihn sein Ruhm an? Der Ruhm bei »im­mer fort flie­ßen­den Sterb­li­chen«! wie er höh­nisch aus­ruft. Sein Ruhm geht die Men­schen Et­was an, nicht ihn, die Uns­terb­lich­keit der Mensch­heit braucht ihn, nicht er die Uns­terb­lich­keit des Men­schen Hera­klit. Das, was er schau­te, die Leh­re vom Ge­setz im Wer­den und vom Spiel in der No­thwen­dig­keit, muß von jetzt ab ewig ge­schaut wer­den: er hat von die­sem größ­ten Schau­spiel den Vor­hang auf­ge­zo­gen.

      9.

      Wäh­rend in je­dem Wor­te Hera­klit’s der Stolz und die Ma­je­stät der Wahr­heit, aber der in In­tui­tio­nen er­faß­ten, nicht der an der Strick­lei­ter der Lo­gik er­klet­ter­ten Wahr­heit, sich aus­spricht, wäh­rend er in si­byl­len­haf­ter Ver­zückung schaut, aber nicht späht, er­kennt, aber nicht rech­net: ist ihm in sei­nem Zeit­ge­nos­sen Par­me­ni­des ein Ge­gen­bild an die Sei­te ge­stellt, eben­falls mit dem Ty­pus ei­nes Pro­phe­ten der Wahr­heit, aber gleich­sam aus Eis und nicht aus Feu­er ge­formt und kal­tes ste­chen­des Licht um sich aus­gie­ßend,

      Par­me­ni­des hat, wahr­schein­lich erst in sei­nem hö­he­ren Al­ter, ein­mal einen Mo­ment der al­lerr­eins­ten, durch jede Wirk­lich­keit un­ge­trüb­ten und völ­lig blut­lo­sen Abstrak­ti­on ge­habt; die­ser Mo­ment – un­grie­chisch wie kein and­rer in den zwei Jahr­hun­der­ten des tra­gi­schen Zeit­al­ters –, des­sen Er­zeug­nis die Leh­re vom Sein ist, wur­de für sein ei­ge­nes Le­ben zum Grenz­stein, der es in zwei Pe­ri­oden trenn­te: zu­gleich aber zert­heilt der­sel­be Mo­ment das vor­so­kra­ti­sche Den­ken in zwei Hälf­ten, de­ren ers­te die ana­xi­man­dri­sche, de­ren zwei­te ge­ra­de­zu die par­me­ni­de­i­sche ge­nannt wer­den mag. Die ers­te äl­te­re Pe­ri­ode im eig­nen Phi­lo­so­phi­ren des Par­me­ni­des trägt, eben­falls noch die Si­gna­tur Ana­xi­man­der’s; sie brach­te ein durch­ge­führ­tes phi­lo­so­phisch-phy­si­ka­li­sches Sys­tem, als Ant­wort auf die Fra­gen Ana­xi­man­der’s, her­vor. Als ihn spä­ter je­ner ei­si­ge Abstrak­ti­ons-Schau­der er­faß­te und der ein­fachs­te vom Sein und Nicht­sein re­den­de Satz von ihm hin­ge­stellt wur­de, da war un­ter den vie­len, durch ihn der Ver­nich­tung zu­ge­worf­nen äl­te­ren Leh­ren auch sein eig­nes Sys­tem. Doch scheint er nicht alle vä­ter­li­che Pie­tät ge­gen das kräf­ti­ge und wohl­ge­stal­te­te Kind sei­ner Ju­gend ver­lo­ren zu ha­ben und er half sich des­halb zu sa­gen: »Zwar giebt es nur einen rich­ti­gen Weg; wenn man aber ein­mal auf einen an­dern sich be­ge­ben will, so ist mei­ne äl­te­re An­sicht, ih­rer Güte und Con­se­quenz nach, al­lein im Recht.« Mit die­ser Wen­dung sich schüt­zend hat er sei­nem frü­he­ren phy­si­ka­li­schen Sys­te­me einen wür­di­gen und aus­ge­dehn­ten Raum selbst in je­nem großen Ge­dicht über die Na­tur ge­gönnt, das ei­gent­lich die neue Ein­sicht, als den ein­zi­gen Weg­wei­ser zur Wahr­heit, pro­kla­mi­ren soll­te. Es ist die­se vä­ter­li­che Rück­sicht, selbst wenn durch sie ein Irr­thum ein­ge­schli­chen sein soll­te, ein Rest von mensch­li­cher Emp­fin­dung, bei ei­ner durch lo­gi­sche Starr­heit ganz pe­tri­fi­cir­ten und fast in eine Denk­ma­schi­ne ver­wan­del­ten Na­tur.

      Par­me­ni­des, des­sen per­sön­li­cher Um­gang mit Ana­xi­man­der mir nicht un­glaub­lich scheint, des­sen Aus­ge­hen von Ana­xi­man­der’s Leh­re nicht nur glaub­lich, son­dern evi­dent ist, hat­te das­sel­be Miß­trau­en ge­gen die voll­kom­me­ne Tren­nung ei­ner Welt, die nur ist, und ei­ner Welt, die nur wird, wel­ches auch Hera­klit er­faßt und zur Leug­nung des Seins über­haupt ge­führt hat­te. Bei­de such­ten einen Aus­weg aus je­nem Ge­gen­über und Aus­ein­an­der ei­ner dop­pel­ten Wel­t­ord­nung. Je­ner Sprung in’s Un­be­stimm­te, Un­be­stimm­ba­re, durch den Ana­xi­man­der ein- für al­le­mal dem Rei­che des Wer­dens und sei­nen em­pi­risch ge­ge­be­nen Qua­li­tä­ten ent­flo­hen war, wur­de so selb­stän­dig ge­ar­te­ten Köp­fen, wie de­nen Hera­klit’s und Par­me­ni­des’, nicht leicht; sie such­ten erst zu ge­hen, so­weit sie konn­ten, und be­hiel­ten sich den Sprung für jene Stel­le vor, wo der Fuß nicht mehr Halt fin­det und man sprin­gen muß, um nicht zu fal­len. Bei­de schau­ten wie­der­holt eben jene Welt an, die Ana­xi­man­der so me­lan­cho­lisch ver­urt­heilt und als Ort des Fre­vels und zu­gleich als Buß­stät­te für die Un­ge­rech­tig­keit des Wer­dens er­klärt hat­te. In ih­rem An­schau­en ent­deck­te Hera­klit, wie