Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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steht im Ge­gen­satz zu den to­ni­schen Af­fek­ten, wel­che die Ener­gie des Le­bens­ge­fühls er­höhn: es wirkt de­pres­siv. Man ver­liert Kraft, wenn man mit­lei­det. Durch das Mit­lei­den ver­mehrt und ver­viel­fäl­tigt sich die Ein­bu­ße an Kraft noch, die an sich schon das Lei­den dem Le­ben bringt. Das Lei­den selbst wird durch das Mit­lei­den an­ste­ckend; un­ter Um­stän­den kann mit ihm eine Ge­sammt-Ein­bu­ße an Le­ben und Le­bens-Ener­gie er­reicht wer­den, die in ei­nem ab­sur­den Ver­hält­niß zum Quan­tum der Ur­sa­che steht (– der Fall vom Tode des Na­za­re­ners). Das ist der ers­te Ge­sichts­punkt; es giebt aber noch einen wich­ti­ge­ren. Ge­setzt, man mißt das Mit­lei­den nach dem Wert­he der Re­ak­tio­nen, die es her­vor­zu­brin­gen pflegt, so er­scheint sein le­bens­ge­fähr­li­cher Cha­rak­ter in ei­nem noch viel hel­le­ren Lich­te. Das Mit­lei­den kreuzt im Gan­zen Gro­ßen das Ge­setz der Ent­wick­lung, wel­ches das Ge­setz der Se­lek­ti­on ist. Es er­hält, was zum Un­ter­gan­ge reif ist, es wehrt sich zu Guns­ten der Ent­erb­ten und Ver­urt­heil­ten des Le­bens, es giebt durch die Fül­le des Miß­ra­th­nen al­ler Art, das es im Le­ben fest­hält, dem Le­ben selbst einen düs­te­ren und frag­wür­di­gen Aspekt. Man hat ge­wagt, das Mit­lei­den eine Tu­gend zu nen­nen (– in je­der vor­neh­men Moral gilt es als Schwä­che –); man ist wei­ter ge­gan­gen, man hat aus ihm die Tu­gend, den Bo­den und Ur­sprung al­ler Tu­gen­den ge­macht, – nur frei­lich, was man stets im Auge be­hal­ten muß, vom Ge­sichts­punkt ei­ner Phi­lo­so­phie aus, wel­che ni­hi­lis­tisch war, wel­che die Ver­nei­nung des Le­bens auf ihr Schild schrieb. Scho­pen­hau­er war in sei­nem Recht da­mit: durch das Mit­leid wird das Le­ben ver­neint, ver­nei­nungs­wür­di­ger ge­macht, – Mit­lei­den ist die Pra­xis des Ni­hi­lis­mus. Noch­mals ge­sagt: die­ser de­pres­si­ve und con­ta­gi­öse In­stinkt kreuzt jene In­stink­te, wel­che auf Er­hal­tung und Werth-Er­hö­hung des Le­bens aus sind; er ist eben­so als Mul­ti­pli­ka­tor des Elends wie als Con­ser­va­tor al­les Elen­den ein Haupt­werk­zeug zur Stei­ge­rung der dé­ca­dence, – Mit­lei­den über­re­det zum Nichts!… Man sagt nicht »Nichts«: man sagt da­für »Jen­seits«; oder »Gott«; oder »das wah­re Le­ben«; oder Nir­va­na, Er­lö­sung, Se­lig­keit… Die­se un­schul­di­ge Rhe­to­rik aus dem Reich der re­li­gi­ös-mo­ra­li­schen Idio­syn­kra­sie er­scheint so­fort viel we­ni­ger un­schul­dig, wenn man be­greift, wel­che Ten­denz hier den Man­tel sub­li­mer Wor­te um sich schlägt: die le­bens­feind­li­che Ten­denz. Scho­pen­hau­er war le­bens­feind­lich: des­halb wur­de ihm das Mit­leid zur Tu­gen­d… Ari­sto­te­les sah, wie man weiß, im Mit­lei­den einen krank­haf­ten und ge­fähr­li­chen Zu­stand, dem man gut thä­te, hier und da durch ein Pur­ga­tiv bei­zu­kom­men: er ver­stand die Tra­gö­die als Pur­ga­tiv. Vom In­stink­te des Le­bens aus müß­te man in der That nach ei­nem Mit­tel su­chen, ei­ner sol­chen krank­haf­ten und ge­fähr­li­chen Häu­fung des Mit­leids, wie sie der Fall Scho­pen­hau­er’s (und lei­der auch uns­re ge­samm­te lit­te­ra­ri­sche und ar­tis­ti­sche dé­ca­dence von St. Pe­ters­burg bis Pa­ris, von Tol­stoi bis Wa­gner) dar­stellt, einen Stich zu ver­set­zen: da­mit sie platzt … Nichts ist un­ge­sun­der, in­mit­ten uns­rer un­ge­sun­den Mo­der­ni­tät, als das christ­li­che Mit­leid. Hier Arzt sein, hier un­er­bitt­lich sein, hier das Mes­ser füh­ren – das ge­hört zu uns, das ist uns­re Art Men­schen­lie­be, da­mit sind wir Phi­lo­so­phen, wir Hy­per­bo­re­er! – – –

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      8.

      Es ist nothwen­dig zu sa­gen, wen wir als un­sern Ge­gen­satz füh­len: – die Theo­lo­gen und Al­les, was Theo­lo­gen-Blut im Lei­be hat – uns­re gan­ze Phi­lo­so­phie … Man muß das Ver­häng­niß aus der Nähe ge­sehn ha­ben, noch bes­ser, man muß es an sich er­lebt, man muß an ihm fast zu Grun­de ge­gan­gen sein, um hier kei­nen Spaß mehr zu ver­stehn (– die Frei­geis­te­rei uns­rer Herrn Na­tur­for­scher und Phy­sio­lo­gen ist in mei­nen Au­gen ein Spaß, – ih­nen fehlt die Lei­den­schaft in die­sen Din­gen, das Lei­den an ih­nen –). Jene Ver­gif­tung reicht viel wei­ter, als man denkt: ich fand den Theo­lo­gen-In­stinkt des Hoch­muths über­all wie­der, wo man sich heu­te als »Idea­list« fühlt, – wo man, ver­mö­ge ei­ner hö­he­ren Ab­kunft, ein Recht in An­spruch nimmt, zur Wirk­lich­keit über­le­gen und fremd zu bli­cken … Der Idea­list hat, ganz wie der Pries­ter, alle großen Be­grif­fe in der Hand (– und nicht nur in der Hand!), er spielt sie mit ei­ner wohl­wol­len­den Ver­ach­tung ge­gen den »Ver­stand«, die »Sin­ne«, die »Ehren«, das »Wohl­le­ben«, die »Wis­sen­schaft« aus, er sieht der­glei­chen un­ter sich, wie schä­di­gen­de und ver­füh­re­ri­sche Kräf­te, über de­nen »der Geist« in rei­ner Für-sich-heit schwebt: – als ob nicht De­muth, Keusch­heit, Ar­muth, Hei­lig­keit mit Ei­nem Wort, dem Le­ben bis­her un­säg­lich mehr Scha­den gethan hät­ten, als ir­gend wel­che Furcht­bar­kei­ten und Las­ter … Der rei­ne Geist ist die rei­ne Lü­ge… So lan­ge der Pries­ter noch als eine hö­he­re Art Mensch gilt, die­ser Ver­nei­ner, Ver­leum­der, Ver­gif­ter des Le­bens von Be­ruf, giebt es kei­ne Ant­wort auf die Fra­ge: was ist Wahr­heit? Man hat be­reits die Wahr­heit auf den Kopf ge­stellt, wenn der be­wuß­te Ad­vo­kat des Nichts und der Ver­nei­nung als Ver­tre­ter der »Wahr­heit« gilt …

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      9.

      Die­sem Theo­lo­gen-In­stink­te ma­che ich den Krieg: ich fand sei­ne Spur über­all. Wer Theo­lo­gen-Blut im Lei­be hat, steht von vorn­her­ein zu al­len Din­gen schief und un­ehr­lich. Das Pa­thos, das sich dar­aus ent­wi­ckelt, heißt sich Glau­be: das Auge ein für alle Mal vor sich schlie­ßen, um nicht am Aspekt un­heil­ba­rer Falsch­heit zu lei­den. Man macht bei sich eine Moral, eine Tu­gend, eine Hei­lig­keit aus die­ser feh­ler­haf­ten Op­tik zu al­len Din­gen, man knüpft das gute Ge­wis­sen an das Falsch­se­hen, – man for­dert, daß kei­ne and­re Art Op­tik mehr Werth ha­ben dür­fe, nach­dem man die eig­ne mit den Na­men »Gott«, »Er­lö­sung«, »Ewig­keit« sa­kro­sankt ge­macht hat. Ich grub den Theo­lo­gen-In­stinkt noch über­all aus: er ist die ver­brei­tets­te, die ei­gent­lich un­ter­ir­di­sche Form der Falsch­heit, die es auf Er­den giebt. Was ein Theo­lo­ge als wahr emp­fin­det, daß muß falsch sein: man hat dar­an bei­na­he ein Kri­te­ri­um der Wahr­heit. Es ist sein un­ters­ter Selbs­t­er­hal­tungs-In­stinkt, der ver­bie­tet, daß die Rea­li­tät in ir­gend ei­nem Punk­te zu Ehren oder auch nur zu Wor­te käme. So weit der Theo­lo­gen-Ein­fluß reicht, ist das Werth-Urt­heil auf den Kopf ge­stellt, sind die Be­grif­fe »wahr« und »falsch« nothwen­dig um­ge­kehrt: was dem Le­ben am schäd­lichs­ten ist, das heißt hier »wahr«, was es hebt, stei­gert, be­jaht, recht­fer­tigt und tri­um­phi­ren macht, das heißt »falsch« … Kommt es vor, daß Theo­lo­gen durch das »Ge­wis­sen« der Fürs­ten ( oder der Völ­ker –) hin­durch nach der Macht die Hand aus­stre­cken, zwei­feln wir nicht, was je­des­mal im Grun­de sich be­giebt: der Wil­le zum Ende, der ni­hi­lis­ti­sche Wil­le will zur Macht …

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      10.

      Un­ter Deut­schen ver­steht man so­fort, wenn ich sage, daß die Phi­lo­so­phie durch Theo­lo­gen-Blut ver­derbt ist. Der pro­tes­tan­ti­sche Pfar­rer ist Groß­va­ter der deut­schen Phi­lo­so­phie, der Pro­tes­tan­tis­mus selbst ihr pec­ca­tum ori­gi­na­le. De­fi­ni­ti­on des Pro­tes­tan­tis­mus: die halb­sei­ti­ge Läh­mung des Chris­tent­hums – und der Ver­nunft … Man hat nur das Wort »Tü­bin­ger Stift« aus­zu­spre­chen, um zu be­grei­fen, was die deut­sche Phi­lo­so­phie im Grun­de ist, – eine hin­ter­lis­ti­ge