Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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nicht zu schä­men! – Da ge­gen ent­fal­tet er oft­mals kei­ne ge­rin­ge Kunst dar­in, alle die Feh­ler, Un­ar­ten und schlech­ten Ge­lehr­ten­haf­tig­kei­ten, wie sie in der wis­sen­schaft­li­chen Zunft vor­kom­men, nach­zuah­men, im Glau­ben, dies eben ge­hö­re, wenn nicht zur Sa­che, so doch zum Schein der Sa­che; und dies ge­ra­de ist das Lus­ti­ge an sol­chen Künst­ler-Schrif­ten, daß hier der Künst­ler, ohne es zu wol­len, doch tut, was sei­nes Am­tes ist: die wis­sen­schaft­li­chen und un­künst­le­ri­schen Na­tu­ren zu par­odie­ren. Eine an­de­re Stel­lung zur Wis­sen­schaft als die par­odi­sche soll­te er näm­lich nicht ha­ben, so­weit er eben der Künst­ler und nur der Künst­ler ist.

      Die Faust-Idee. – Eine klei­ne Näh­te­rin wird ver­führt und un­glück­lich ge­macht; ein großer Ge­lehr­ter al­ler vier Fa­kul­tä­ten ist der Übel­tä­ter. Das kann doch nicht mit rech­ten Din­gen zu­ge­gan­gen sein? Nein, ge­wiß nicht! Ohne die Bei­hil­fe des leib­haf­ti­gen Teu­fels hät­te es der große Ge­lehr­te nicht zu­stan­de ge­bracht. – Soll­te dies wirk­lich der größ­te deut­sche "tra­gi­sche Ge­dan­ke" sein, wie man un­ter Deut­schen sa­gen hört? – Für Goe­the war aber auch die­ser Ge­dan­ke noch zu fürch­ter­lich; sein mil­des Herz konn­te nicht um­hin, die klei­ne Näh­te­rin, "die gute See­le, die nur ein­mal sich ver­ges­sen", nach ih­rem un­frei­wil­li­gen Tode in die Nähe der Hei­li­gen zu ver­set­zen; ja selbst den großen Ge­lehr­ten brach­te er, durch einen Pos­sen, der dem Teu­fel im ent­schei­den­den Au­gen­blick ge­spielt wird, noch zur rech­ten Zeit in den Him­mel, ihn, "den gu­ten Men­schen" mit dem "dunklen Dran­ge": – dort im Him­mel fin­den sich die Lie­ben­den wie­der. – Goe­the sagt ein­mal, für das ei­gent­lich Tra­gi­sche sei sei­ne Na­tur zu kon­zi­li­ant ge­we­sen.

      Gibt es "deut­sche Klas­si­ker"? – Sain­te-Beu­ve be­merkt ein­mal, daß zu der Art ei­ni­ger Li­te­ra­tu­ren das Wort "Klas­si­ker" durch­aus nicht klin­gen wol­le: wer wer­de zum Bei­spiel so leicht von "deut­schen Klas­si­kern" re­den! – Was sa­gen uns­re deut­schen Buch­händ­ler dazu wel­che auf dem Wege sind, die fünf­zig deut­schen Klas­si­ker, an die wir schon glau­ben sol­len, noch um wei­te­re fünf­zig zu ver­meh­ren? Scheint es doch fast, als ob man eben nur 30 Jah­re lang tot zu sein und als er­laub­te Beu­te öf­fent­lich da­zu­lie­gen brau­che, um un­ver­se­hens plötz­lich als Klas­si­ker die Trom­pe­te der Au­fer­ste­hung zu hö­ren! Und dies in ei­ner Zeit und un­ter ei­nem Vol­ke, wo selbst von den sechs großen Stamm­vä­tern der Li­te­ra­tur fünf un­zwei­deu­tig ver­al­ten oder ver­al­tet sind, – oh­ne daß die­se Zeit und die­ses Volk sich ge­ra­de des­sen zu schä­men hät­ten! Denn jene sind vor den Stär­ken die­ser Zeit zu­rück­ge­wi­chen – man über­le­ge es sich nur mit al­ler Bil­lig­keit! – Von Goe­the, wie an­ge­deu­tet, sehe ich ab, er ge­hört in eine hö­he­re Gat­tung von Li­te­ra­tu­ren, als "Na­tio­nal-Li­te­ra­tu­ren" sind: des­halb steht er auch zu sei­ner Na­tion we­der im Ver­hält­nis des Le­bens, noch des Neus­eins, noch des Veral­tens. Nur für we­ni­ge hat er ge­lebt und lebt er noch: für die meis­ten ist er nichts als eine Fan­fa­re der Ei­tel­keit, wel­che man von Zeit zu Zeit über die deut­sche Gren­ze hin­über­bläst. Goe­the, nicht nur ein gu­ter und großer Mensch, son­dern eine Kul­tur, Goe­the ist in der Ge­schich­te der Deut­schen ein Zwi­schen­fall ohne Fol­gen: wer wäre im­stan­de, in der deut­schen Po­li­tik der letz­ten 70 Jah­re zum Bei­spiel ein Stück Goe­the auf­zu­zei­gen! (wäh­rend je­den­falls dar­in ein Stück Schil­ler, und viel­leicht so­gar ein Stück­chen Les­sing tä­tig ge­we­sen ist). Aber jene an­dern fünf! Klop­stock ver­al­te­te schon bei Leb­zei­ten auf eine sehr ehr­wür­di­ge Wei­se; und so gründ­lich, daß das nach­denk­li­che Buch sei­ner spä­te­ren Jah­re, die Ge­lehr­ten-Re­pu­blik, wohl bis heu­ti­gen Tag von nie­man­dem ernst ge­nom­men wor­den ist. Her­der hat­te das Un­glück, daß sei­ne Schrif­ten im­mer ent­we­der neu oder ver­al­tet wa­ren; für die fei­ne­ren und stär­ke­ren Köp­fe (wie für Lich­ten­berg) war zum Bei­spiel selbst Her­ders Haupt­werk, sei­ne Ide­en zur Ge­schich­te der Mensch­heit, so­fort beim Er­schei­nen et­was Veral­te­tes. Wie­land, der reich­lich ge­lebt und zu le­ben ge­ge­ben hat, kam als ein klu­ger Mann dem Schwin­den sei­nes Ein­flus­ses durch den Tod zu­vor. Les­sing lebt viel­leicht heu­te noch, – aber un­ter jun­gen und im­mer jün­ge­ren Ge­lehr­ten! Und Schil­ler ist jetzt aus den Hän­den der Jüng­lin­ge in die der Kna­ben, al­ler deut­schen Kna­ben ge­ra­ten! Es ist ja eine be­kann­te Art des Veral­tens, daß ein Buch zu im­mer un­rei­fe­ren Le­bensal­tern hin­ab­steigt. – Und was hat die­se fünf zu­rück­ge­drängt, so daß gut un­ter­rich­te­te und ar­beit­sa­me Män­ner sie nicht mehr le­sen? Der bes­se­re Ge­schmack, das bes­se­re Wis­sen, die bes­se­re Ach­tung vor dem Wah­ren und Wirk­li­chen: also lau­ter Tu­gen­den, wel­che ge­ra­de durch jene fünf (und durch zehn und zwan­zig an­de­re we­ni­ger lau­ten Na­mens) erst wie­der in Deutsch­land an­ge­pflanz­t wor­den sind, und wel­che jetzt als ho­her Wald über ih­ren Grä­bern ne­ben dem Schat­ten der Ehr­furcht auch et­was vom Schat­ten der Ver­ges­sen­heit brei­ten. – Aber Klas­si­ker sind nicht An­pflan­zer von in­tel­lek­tu­el­len und li­te­ra­ri­schen Tu­gen­den, son­dern Vol­len­der und höchs­te Licht­spit­zen der­sel­ben, wel­che über den Völ­kern ste­hen blei­ben, wenn die­se sel­ber zu­grun­de­ge­hen: denn sie sind leich­ter, frei­er, rei­ner als sie. Es ist ein ho­her Zu­stand der Mensch­heit mög­lich, wo das Eu­ro­pa der Völ­ker eine dunkle Ver­ges­sen­heit ist, wo Eu­ro­pa aber noch in drei­ßig sehr al­ten, nie ver­al­te­ten Bü­chern lebt: in den Klas­si­kern.

      In­ter­essant, aber nicht schön. – Die­se Ge­gend ver­birgt ih­ren Sinn, aber sie hat einen, den man er­ra­ten möch­te: wo­hin ich sehe, lese ich Wor­te und Win­ke zu Wor­ten aber ich weiß nicht, wo der Satz be­ginnt, der das Rät­sel al­ler die­ser Win­ke löst, und wer­de zum Wen­de­hals dar­über, zu un­ter­su­chen, ob von hier oder von dort aus zu le­sen ist.

      Ge­gen die Sprach-Neue­rer. – In der Spra­che neu­ern oder al­ter­tü­meln, das Sel­te­ne und Fremd­ar­ti­ge vor­zie­hen, auf Reich­tum des Wort­schat­zes statt auf Be­schrän­kung trach­ten, ist im­mer ein Zei­chen des un­ge­reif­ten oder ver­derb­ten Ge­schmacks. Eine edle Ar­mut, aber in­ner­halb des un­schein­ba­ren Be­sit­zes eine meis­ter­li­che Frei­heit zeich­net die grie­chi­schen Künst­ler der Rede aus: sie wol­len we­ni­ger ha­ben, als das Volk hat – denn die­ses ist am reichs­ten in Al­tem und Neu­em – aber sie wol­len dies We­ni­ger bes­ser ha­ben. Man ist schnell mit dem Auf­zäh­len ih­rer Archais­men und Fremd­ar­tig­kei­ten fer­tig, aber kommt nicht zu Ende im Be­wun­dern, wenn man für die leich­te und zar­te Art ih­res Ver­kehrs mit dem All­täg­li­chen und schein­bar längst Ver­brauch­ten in Wor­ten und Wen­dun­gen ein gu­tes Auge hat.

      Die trau­ri­gen und die erns­ten Au­to­ren. – Wer zu Pa­pier bringt, was er lei­det, wird ein trau­ri­ger Au­tor: aber ein erns­ter, wenn er uns sagt, was er lit­t und wes­halb er jetzt in der Freu­de aus­ruht.