Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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sein? Der mo­ra­li­sche Fa­na­ti­ker, wel­cher meint, daß das Gute nur aus dem Gu­ten, auf dem Gu­ten wach­sen kön­ne.

      Schreibart der Vor­sicht. – A: Aber, wenn al­le dies wüß­ten, so wür­de es den meis­ten schäd­lich sein! Du sel­ber nennst die­se Mei­nun­gen ge­fähr­lich für die Ge­fähr­de­ten, und doch teilst du sie öf­fent­lich mit? B: Ich schrei­be so, daß we­der der Pö­bel, noch die po­pu­li, noch die Par­tei­en al­ler Art mich le­sen mö­gen. Folg­lich wer­den die­se Mei­nun­gen nie öf­fent­li­che sein. A.: Aber wie schreibst du denn? B.: We­der nütz­lich noch an­ge­nehm – für die ge­nann­ten drei.

      Gött­li­che Mis­sio­näre. – Auch So­kra­tes fühlt sich als gött­li­cher Mis­sio­när: aber ich weiß nicht, was für ein An­flug von at­ti­scher Iro­nie und Lust am Spa­ßen auch selbst hier­bei noch zu spü­ren ist, wo­durch je­ner fa­ta­le und an­ma­ßen­de Be­griff ge­mil­dert wird. Er re­det ohne Sal­bung da­von: sei­ne Bil­der, von der Brem­se und dem Pferd, sind schlicht und un­pries­ter­lich, und die ei­gent­lich re­li­gi­öse Auf­ga­be, wie er sie sich ge­stellt fühlt, den Gott auf hun­der­ter­lei Wei­se auf die Pro­be zu stel­len, ob er die Wahr­heit ge­re­det habe, läßt auf eine küh­ne und frei­mü­ti­ge Ge­bär­de schlie­ßen, mit der hier der Mis­sio­när sei­nem Got­te an die Sei­te tritt. Je­nes Auf-die-Pro­be-Stel­len des Got­tes ist ei­ner der feins­ten Kom­pro­mis­se zwi­schen Fröm­mig­keit und Frei­heit des Geis­tes, wel­che je er­dacht wor­den sind. – Jetzt ha­ben wir auch die­sen Kom­pro­miß nicht mehr nö­tig.

      Ehr­li­ches Maler­tum. – Raf­fa­el, dem viel an der Kir­che (so­fern sie zah­lungs­fä­hig war), aber we­nig, gleich den Bes­ten sei­ner Zeit, an den Ge­gen­stän­den des kirch­li­chen Glau­bens ge­le­gen war, ist der an­spruchs­vol­len ek­sta­ti­schen Fröm­mig­keit man­cher sei­ner Be­stel­ler nicht einen Schritt weit nach­ge­gan­gen: er hat sei­ne Ehr­lich­keit be­wahrt, selbst in je­nem Aus­nah­me-Bild, das ur­sprüng­lich für eine Pro­zes­si­ons-Fah­ne be­stimmt war, in der Six­ti­ni­schen Ma­don­na. Hier woll­te er ein­mal eine Vi­si­on ma­len: aber eine sol­che, wie sie edle jun­ge Män­ner ohne "Glau­ben" auch ha­ben dür­fen und ha­ben wer­den, die Vi­si­on der zu­künf­ti­gen Gat­tin, ei­nes klu­gen, see­lisch-vor­neh­men, schweig­sa­men und sehr schö­nen Wei­bes, das ih­ren Erst­ge­bo­re­nen im Arme trägt. Mö­gen die Al­ten, die an das Be­ten und An­be­ten ge­wöhnt sind, hier, gleich dem ehr­wür­di­gen Grei­se zur Lin­ken, et­was Über­mensch­li­ches ver­eh­ren: wir Jün­ge­ren wol­len es, so scheint Raf­fa­el uns zu­zu­ru­fen, mit dem schö­nen Mäd­chen zur Rech­ten hal­ten, wel­che mit ih­rem auf­for­dern­den, durch­aus nicht de­vo­ten Bli­cke den Be­trach­tern des Bil­des sagt: "Nicht wahr? Die­se Mut­ter und ihr Kind – das ist ein an­ge­neh­mer ein­la­den­der An­blick?" Dies Ge­sicht und die­ser Blick strahlt von der Freu­de in den Ge­sich­tern der Be­trach­ter wie­der; der Künst­ler, der dies al­les er­fand, ge­nießt sich auf die­se Wei­se sel­ber und gibt sei­ne ei­ge­ne Freu­de zur Freu­de der Kunst-Empfan­gen­den hin­zu. – In be­treff des "hei­land­haf­ten" Aus­drucks im Kop­fe ei­nes Kin­des hat Raf­fa­el, der Ehr­li­che, der kei­nen See­len­zu­stand ma­len woll­te, an des­sen Exis­tenz er nicht glaub­te, sei­ne gläu­bi­gen Be­trach­ter auf eine ar­ti­ge Wei­se über­lis­tet; er mal­te je­nes Na­tur­spiel, das nicht sel­ten vor­kommt, das Män­ne­r­au­ge im Kinds­kop­fe, und zwar das Auge des wa­cke­ren, hil­fe­rei­chen Man­nes, der einen Not­stand sieht. Zu die­sem Auge ge­hört ein Bart; daß die­ser fehlt und daß zwei ver­schie­de­ne Le­bensal­ter hier aus ei­nem Ge­sich­te spre­chen, dies ist die an­ge­neh­me Pa­ra­do­xie, wel­che die Gläu­bi­gen sich im Sin­ne ih­res Wun­der­glau­bens ge­deu­tet ha­ben: so wie es der Künst­ler von ih­rer Kunst des Deu­tens und Hin­ein­le­gens auch er­war­ten durf­te.

      Das Ge­bet. – Nur un­ter zwei Voraus­set­zun­gen hat­te al­les Be­ten – jene noch nicht völ­lig er­lo­sche­ne Sit­te äl­te­rer Zei­ten – einen Sinn: es müß­te mög­lich sein, die Gott­heit zu be­stim­men oder um­zu­stim­men, und der Be­ten­de müß­te sel­ber am bes­ten wis­sen, was ihm not tue, was für ihn wahr­haft wün­schens­wert sei. Bei­de Voraus­set­zun­gen, in al­len an­de­ren Re­li­gio­nen an­ge­nom­men und her­ge­bracht, wur­den aber ge­ra­de vom Chris­ten­tum ge­leug­net; wenn es trotz­dem das Ge­bet bei­be­hielt, bei sei­nem Glau­ben an eine all­wei­se und all­vor­sorg­li­che Ver­nunft in Gott, durch wel­che eben dies Ge­bet im Grun­de sinn­los, ja got­tes­läs­ter­lich wird, – so zeig­te es auch dar­in wie­der sei­ne be­wun­de­rungs­wür­di­ge Schlan­gen-Klug­heit; denn ein kla­res Ge­bot "du sollst nicht be­ten" hät­te die Chris­ten durch die Lan­ge­wei­le zum Un­chris­ten­tum ge­führt. Im christ­li­chen ora et la­bo­ra ver­tritt näm­lich das ora die Stel­le des Ver­gnü­gens: und was hät­ten ohne das ora jene Un­glück­li­chen be­gin­nen sol­len, die sich das la­bo­ra ver­sag­ten, die Hei­li­gen! – aber mit Gott sich un­ter­hal­ten, ihm al­ler­lei an­ge­neh­me Din­ge ab­ver­lan­gen, sich sel­ber ein we­nig dar­über lus­tig ma­chen, wie man so tö­richt sein kön­ne, noch Wün­sche zu ha­ben, trotz ei­nem so vor­treff­li­chen Va­ter, – das war für Hei­li­ge eine sehr gute Er­fin­dung.

      Ei­ne hei­li­ge Lüge. – Die Lüge, mit der auf den Lip­pen Ar­ria starb (Pae­te, non do­let), ver­dun­kelt alle Wahr­hei­ten, die je von Ster­ben­den ge­spro­chen wur­den. Es ist die ein­zi­ge hei­li­ge Lü­ge, die be­rühmt ge­wor­den ist; wäh­rend der Ge­ruch der Hei­lig­keit sonst nur an Irr­tü­mern haf­ten blieb.

      Der nö­tigs­te Apos­tel. – Un­ter zwölf Apos­teln muß im­mer ei­ner hart wie Stein sein, da­mit auf ihm die neue Kir­che ge­baut wer­den kön­ne.

      Was ist das Ver­gäng­li­che­re, der Geist oder der Kör­per? – In den recht­li­chen, mo­ra­li­schen und re­li­gi­ösen Din­gen hat das Äu­ßer­lichs­te, das An­schau­li­che, also der Brauch, die Ge­bär­de, die Ze­re­mo­nie, am meis­ten Dau­er: sie ist der Leib, zu dem im­mer eine neue See­le hin­zu­kommt. Der Kul­tus wird wie ein fes­ter Wort-Text im­mer neu aus­ge­deu­tet; die Be­grif­fe und Emp­fin­dun­gen sind das Flüs­si­ge, die Sit­ten das Har­te.

      Der Glau­be an die Krank­heit, als Krank­heit. – Erst das Chris­ten­tum hat den Teu­fel an die Wand der Welt ge­malt; erst das Chris­ten­tum hat die Sün­de in die Welt ge­bracht. Der Glau­be an die Heil­mit­tel, wel­che es da­ge­gen an­bot, ist nun all­mäh­lich bis in die tiefs­ten Wur­zeln hin­ein er­schüt­tert: aber im­mer noch be­steht der Glau­be an die Krank­heit, wel­chen es ge­lehrt und ver­brei­tet hat.

      Re­de und Schrift der Re­li­gi­ösen. – Wenn der Stil und Ge­samt­aus­druck des Pries­ters, des