Behagen. Zwei dunkelbraune Geschöpfe, bergamasker Herkunft, waren die Hirten: das Mädchen fast als Knabe gekleidet. Links Felsenhänge und Schneefelder über breiten Waldgürteln, rechts zwei ungeheure beeiste Zacken, hoch über mir, im Schleier des Sonnenduftes schwimmend – alles groß, still und hell. Die gesamte Schönheit wirkte zum Schaudern und zur stummen Anbetung des Augenblicks ihrer Offenbarung; unwillkürlich, wie als ob es nichts Natürlicheres gäbe, stellte man sich in diese reine scharfe Lichtwelt (die gar nichts Sehnendes, Erwartendes, Vor- und Zurückblickendes hatte) griechische Heroen hinein; man mußte wie Poussin und sein Schüler empfinden: heroisch zugleich und idyllisch. – Und so haben einzelne Menschen auch gelebt, so sich dauernd in der Welt und die Welt in sich gefühlt, und unter ihnen einer der größten Menschen, der Erfinder einer heroisch-idyllischen Art zu philosophieren: Epikur.
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Rechnen und messen. – Viele Dinge sehen, miteinander erwägen, gegeneinander abrechnen und aus ihnen einen schnellen Schluß, eine ziemlich sichere Summe bilden, – das macht den großen Politiker, Feldherrn, Kaufmann: also die Geschwindigkeit in einer Art von Kopfrechnen. Eine Sache sehen, in ihr das einzige Motiv zum Handeln, die Richterin alles übrigen Handelns finden, macht den Helden, auch den Fanatiker – also eine Fertigkeit im Messen mit einem Maßstabe.
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Nicht unzeitig sehen wollen. – Solange man etwas erlebt, muß man dem Erlebnis sich hingeben und die Augen schließen, also nicht darin schon den Beobachter machen. Das nämlich würde die gute Verdauung des Erlebnisses stören: anstatt einer Weisheit trüge man eine Indigestion davon.
298
Aus der Praxis des Weisen. – Um weise zu werden, muß man gewisse Erlebnisse erleben wollen, also ihnen in den Rachen laufen. Sehr gefährlich ist dies freilich; mancher "Weise" wurde dabei aufgefressen.
299
Die Ermüdung des Geistes. – Unsere gelegentliche Gleichgültigkeit und Kälte gegen Menschen, welche uns als Härte und Charaktermangel ausgelegt wird, ist häufig nur eine Ermüdung des Geistes: bei dieser sind uns die Anderen, wie wir uns selber, gleichgültig oder lästig.
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"Eins ist not." – Wenn man klug ist, ist einem allein darum zu tun, daß man Freude im Herzen habe. – Ach, setzte jemand hinzu, wenn man klug ist, tut man am besten, weise zu sein.
301
Ein Zeugnis der Liebe. – Jemand sagte: "Über zwei Personen habe ich nie gründlich nachgedacht: es ist das Zeugnis meiner Liebe zu ihnen."
302
Wie man schlechte Argumente zu verbessern sucht – Mancher wirft seinen schlechten Argumenten noch ein Stück seiner Persönlichkeit hintennach, wie als ob jene dadurch richtiger ihre Bahn laufen würden und sich in gerade und gute Argumente verwandeln ließen; ganz wie die Kegelschieber auch nach dem Wurfe noch mit Gebärden und Schwenkungen der Kugel die Richtung zu geben suchen.
303
Die Rechtlichkeit. – Es ist noch wenig, wenn man in bezug auf Rechte und Eigentum ein Muster- Mensch ist; wenn man zum Beispiel als Knabe nie Obst in fremden Gärten nimmt, als Mann nicht über ungemähte Wiesen läuft, – um kleine Dinge zu nennen, welche wie bekannt, den Beweis für diese Art von Musterhaftigkeit besser geben als große. Es ist noch wenig: man ist dann immer erst eine "juristische Person", mit jenem Grad von Moralität, deren sogar eine "Gesellschaft", ein Menschen-Klumpen fähig ist.
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Mensch! – Was ist die Eitelkeit des eitelsten Menschen gegen die Eitelkeit, welche der Bescheidenste besitzt, in Hinsicht darauf, daß er sich in der Natur und Welt als "Mensch" fühlt.
305
Nötigste Gymnastik. – Durch den Mangel an kleiner Selbstbeherrschung bröckelt die Fähigkeit zur großen ab. Jeder Tag ist schlecht benutzt und eine Gefahr für den nächsten, an dem man nicht wenigstens einmal sich etwas im kleinen versagt hat: diese Gymnastik ist unentbehrlich, wenn man sich die Freude, sein eigener Herr zu sein, erhalten will.
306
Sich selber verlieren. – Wenn man erst sich selber gefunden hat, muß man verstehen, sich von Zeit zu Zeit zu verlieren – und dann wieder zu finden: vorausgesetzt daß man ein Denker ist. Diesem ist es nämlich nachteilig, immerdar an eine Person gebunden zu sein.
307
Wann Abschied nehmen not tut. – Von dem, was du erkennen und messen willst, mußt du Abschied nehmen, wenigstens auf eine Zeit. Erst wenn du die Stadt verlassen hast, siehst du, wie hoch sich ihre Türme über die Häuser erheben.
308
Am Mittag. – Wem ein tätiger und stürmereicher Morgen des Lebens beschieden war, dessen Seele überfällt um den Mittag des Lebens eine seltsame Ruhesucht, die monden- und jahrelang dauern kann. Es wird still um ihn, die Stimmen klingen fern und ferner; die Sonne scheint steil auf ihn herab. Auf einer verborgenen Waldwiese sieht er den großen Pan schlafend; alle Dinge der Natur sind mit ihm eingeschlafen, einen Ausdruck von Ewigkeit im Gesichte – so dünkt es ihm. Er will nichts, er sorgt sich um nichts, sein Herz steht still, nur sein Auge lebt, – es ist ein Tod mit wachen Augen. Vieles sieht da der Mensch, was er nie sah, und soweit er sieht, ist alles in ein Lichtnetz eingesponnen und gleichsam darin begraben. Er fühlt sich glücklich dabei, aber es ist ein schweres, schweres Glück. – Da endlich erhebt sich der Wind in den Bäumen, Mittag ist vorbei, das Leben reißt ihn wieder an sich, das Leben mit blinden Augen, hinter dem sein Gefolge herstürmt: Wunsch, Trug, Vergessen, Genießen, Vernichten, Vergänglichkeit. Und so kommt der Abend herauf, stürmereicher und tatenvoller, als selbst der Morgen war. – Den eigentlich tätigen Menschen erscheinen die länger währenden Zustände des Erkennens fast unheimlich und krankhaft, aber nicht unangenehm.
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Sich vor seinem Maler hüten. – Ein großer Maler,