Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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Volk Er­lö­ser nennt, die­se hin­reis­sen­den Brau­se­win­de!

      Und noch von Grös­se­ren, als alle Er­lö­ser wa­ren, müsst ihr, mei­ne Brü­der, er­löst wer­den, wollt ihr zur Frei­heit den Weg fin­den!

      Nie­mals noch gab es einen Über­menschen. Nackt sah ich Bei­de, den gröss­ten und den kleins­ten Men­schen: –

      All­zu­ähn­lich sind sie noch ein­an­der. Wahr­lich, auch den Gröss­ten fand ich – all­zu­mensch­lich!

      Also sprach Za­ra­thustra.

      Von den Tugendhaften

      Mit Don­nern und himm­li­schen Feu­er­wer­ken muss man zu schlaf­fen und schla­fen­den Sin­nen re­den.

      Aber der Schön­heit Stim­me re­det lei­se: sie schleicht sich nur in die auf­ge­weck­tes­ten See­len.

      Lei­se er­beb­te und lach­te mir heut mein Schild; das ist der Schön­heit hei­li­ges La­chen und Be­ben.

      Über euch, ihr Tu­gend­haf­ten, lach­te heut mei­ne Schön­heit. Und also kam ihre Stim­me zu mir: »sie wol­len noch – be­zahlt sein!«

      Ihr wollt noch be­zahlt sein, ihr Tu­gend­haf­ten! Wollt Lohn für Tu­gend und Him­mel für Er­den und Ewi­ges für euer Heu­te ha­ben?

      Und nun zürnt ihr mir, dass ich leh­re, es giebt kei­nen Lohn- und Zahl­meis­ter? Und wahr­lich, ich leh­re nicht ein­mal, dass Tu­gend ihr ei­ge­ner Lohn ist.

      Ach, das ist mei­ne Trau­er: in den Grund der Din­ge hat man Lohn und Stra­fe hin­ein­ge­lo­gen – und nun auch noch in den Grund eu­rer See­len, ihr Tu­gend­haf­ten!

      Aber dem Rüs­sel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eu­rer See­len auf­reis­sen; Pflug­schar will ich euch heis­sen.

      Alle Heim­lich­kei­ten eu­res Grun­des sol­len an’s Licht; und wenn ihr auf­ge­wühlt und zer­bro­chen in der Son­ne liegt, wird auch eure Lüge von eu­rer Wahr­heit aus­ge­schie­den sein.

      Denn diess ist eure Wahr­heit: ihr seid zu rein­lich für den Schmutz der Wor­te: Ra­che, Stra­fe, Lohn, Ver­gel­tung.

      Ihr liebt eure Tu­gend, wie die Mut­ter ihr Kind; aber wann hör­te man, dass eine Mut­ter be­zahlt sein woll­te für ihre Lie­be?

      Es ist euer liebs­tes Selbst, eure Tu­gend. Des Rin­ges Durst ist in euch: sich sel­ber wie­der zu er­rei­chen, dazu ringt und dreht sich je­der Ring.

      Und dem Ster­ne gleich, der er­lischt, ist je­des Werk eu­rer Tu­gend: im­mer ist sein Licht noch un­ter­wegs und wan­dert – und wann wird es nicht mehr un­ter­wegs sein?

      Also ist das Licht eu­rer Tu­gend noch un­ter­wegs, auch wenn das Werk gethan ist. Mag es nun ver­ges­sen und todt sein: sein Strahl von Licht lebt noch und wan­dert.

      Dass eure Tu­gend euer Selbst sei und nicht ein Frem­des, eine Haut, eine Be­män­te­lung: das ist die Wahr­heit aus dem Grun­de eu­rer See­le, ihr Tu­gend­haf­ten! –

      Aber wohl giebt es Sol­che, de­nen Tu­gend der Krampf un­ter ei­ner Peit­sche heisst: und ihr habt mir zu­viel auf de­ren Ge­schrei ge­hört!

      Und And­re giebt es, die heis­sen Tu­gend das Faul­wer­den ih­rer Las­ter; und wenn ihr Hass und ihre Ei­fer­sucht ein­mal die Glie­der stre­cken, wird ihre »Ge­rech­tig­keit« mun­ter und reibt sich die ver­schla­fe­nen Au­gen.

      Und And­re giebt es, die wer­den ab­wärts ge­zo­gen: ihre Teu­fel ziehn sie. Aber je mehr sie sin­ken, um so glü­hen­der leuch­tet ihr Auge und die Be­gier­de nach ih­rem Got­te.

      Ach, auch de­ren Ge­schrei drang zu eu­ren Ohren, ihr Tu­gend­haf­ten: was ich nicht bin, das, das ist mir Gott und Tu­gend!’

      Und And­re giebt es, die kom­men schwer und knar­rend da­her, gleich Wä­gen, die Stei­ne ab­wärts fah­ren: die re­den viel von Wür­de und Tu­gend, – ih­ren Hemm­schuh heis­sen sie Tu­gend!

      Und And­re giebt es, die sind gleich All­tags-Uhren, die auf­ge­zo­gen wur­den; sie ma­chen ihr Tik­tak und wol­len, dass man Tik­tak – Tu­gend heis­se.

      Wahr­lich, an Die­sen habe ich mei­ne Lust: wo ich sol­che Uhren fin­de, wer­de ich sie mit mei­nem Spot­te auf­ziehn; und sie sol­len mir da­bei noch schnur­ren!

      Und And­re sind stolz über ihre Hand­voll Ge­rech­tig­keit und be­ge­hen um ih­rer­wil­len Fre­vel an al­len Din­gen: also dass die Welt in ih­rer Un­ge­rech­tig­keit er­tränkt wird.

      Ach, wie übel ih­nen das Wort »Tu­gend« aus dem Mun­de läuft! Und wenn sie sa­gen: »ich bin ge­recht,« so klingt es im­mer gleich wie: »ich bin ge­rächt!«

      Mit ih­rer Tu­gend wol­len sie ih­ren Fein­den die Au­gen aus­krat­zen; und sie er­he­ben sich nur, um And­re zu er­nied­ri­gen.

      Und wie­der­um giebt es Sol­che, die sit­zen in ih­rem Sump­fe und re­den also her­aus aus dem Schilf­rohr: »Tu­gend – das ist still im Sump­fe sit­zen.

      Wir beis­sen Nie­man­den und ge­hen Dem aus dem Wege, der beis­sen will; und in Al­lem ha­ben wir die Mei­nung, die man uns giebt.«

      Und wie­der­um giebt es Sol­che, die lie­ben Ge­bär­den und den­ken: Tu­gend ist eine Art Ge­bär­de.

      Ihre Kniee be­ten im­mer an, und ihre Hän­de sind Lob­prei­sun­gen der Tu­gend, aber ihr Herz weiss Nichts da­von.

      Und wie­der­um giebt es Sol­che, die hal­ten es für Tu­gend, zu sa­gen: »Tu­gend ist nothwen­dig«; aber sie glau­ben im Grun­de nur dar­an, dass Po­li­zei nothwen­dig ist.

      Und Man­cher, der das Hohe an den Men­schen nicht se­hen kann, nennt es Tu­gend, dass er ihr Nied­ri­ges all­zu­na­he sieht: also heisst er sei­nen bö­sen Blick Tu­gend.

      Und Ei­ni­ge wol­len er­baut und auf­ge­rich­tet sein und heis­sen es Tu­gend; und And­re wol­len um­ge­wor­fen sein – und heis­sen es auch Tu­gend.

      Und der­art glau­ben fast Alle dar­an, Ant­heil zu ha­ben an der Tu­gend; und zum Min­des­ten will ein je­der Ken­ner sein über »gut« und »böse«.

      Aber nicht dazu kam Za­ra­thustra, al­len die­sen Lüg­nern und Nar­ren zu sa­gen: »was wisst ih­r von Tu­gend! Was könn­tet ihr von Tu­gend wis­sen!« –

      Son­dern, dass ihr, mei­ne Freun­de, der al­ten Wor­te müde wür­det, wel­che ihr von den Nar­ren und Lüg­nern ge­lernt habt:

      Müde wür­det der Wor­te »Lohn,« »Ver­gel­tung,« »Stra­fe,« »Ra­che in der Ge­rech­tig­keit« –

      Müde wür­det zu sa­gen: »dass eine Hand­lung gut ist, das macht, sie ist selbst­los.«

      Ach, mei­ne Freun­de! Dass eu­er Selbst in der Hand­lung sei, wie die Mut­ter im Kin­de ist: das sei mir eu­er Wort von Tu­gend!

      Wahr­lich, ich nahm euch wohl hun­dert Wor­te und eu­rer Tu­gend liebs­te Spiel­wer­ke; und nun zürnt ihr mir, wie Kin­der zür­nen.

      Sie spiel­ten am Mee­re, – da kam die Wel­le und riss ih­nen ihr Spiel­werk in die Tie­fe: nun wei­nen sie.

      Aber die sel­be Wel­le soll ih­nen neue Spiel­wer­ke brin­gen und neue bun­te Mu­scheln vor sie hin aus­schüt­ten!

      So wer­den sie ge­trös­tet sein; und gleich ih­nen sollt auch ihr, mei­ne Freun­de, eure Trös­tun­gen ha­ben – und neue bun­te Mu­scheln! –