Robert Musil

Gesammelte Werke


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Literaturgeschichte. – Bisher haben wir all das nicht ernst genommen, aber heute müssen wir schon bitten.

      Katholizismus: Gewissensnot, in die der gegenwärtige Mensch durch die Kirche gebracht wird. So kann er nicht glauben, wie sie es von ihm verlangt, weil es gegen die geistige Natur u. ihre Entwicklung ist.

      Unzeitlichkeit ohne Ewigkeit. Wollen denn die Schriftsteller nicht für die Zeit schreiben? Haben sie nicht die Illusion in ihr zu sein wie in etwas Aufsteigendem, das den persönlichen Aufstieg erleichtert? Gewöhnlich ist es so, auch große Begabungen teilen die Zeitillusion eine schöne Zeit zu sein. Relativ frei von seiner Zeit sein, ist relative Überzeitlichkeit (Ewigkeit).

      (Ist auch für Vorrede wichtig, zur Rechtfertigung der Bedeutung dieser kontemplativen Arbeit in einer aufgeregte Zeit.)

      Arabische Geschichte wäre das beste Beispiel, daran zu studieren, wie ein großes Kulturvolk herabsinkt. Gute Kaufleute sind sie heute noch.

      Happy end in höherem Gebrauche: Ich liebe keine Romane, in denen der Held sein Geld verliert oder sonstwie vom Schicksal geschlagen wird. Dieser Roman (Tampico) ist, soweit die Übersetzung ein Urteil zuläßt, der unkultivierteste, den ich von seinem Autor kenne, aber der packendste. Und der Teufelskerl, sein Held, unterliegt gegen einen kalten blassen Schurken. Hätte er ihn entlarvt und zerschmettert, es gäbe den lieben alten Zeitungsroman mit Sieg der Kraft oder Tugend; das aber ist nicht fein genug. Ist es nun fein, das umzukehren? Es ist nicht einmal die unterste Stufe der Feinheit, es ist eher die höchste der Roheit, nach meinem Geschmack. Warum? Wollte man ernst sein und sich nicht nach dem schlechten Gebrauchsmuster richten, so müßte das Ganze anders verlaufen.

      Ich hätte beinahe gesagt, Sieg u Niederlage verschwänden dann aus dem Gesichtskreis. Aber das ist einseitig gedacht. Hingegen träten sie in eine andere Beziehung zu einander. Es ist also eine weitere Frage: wie stellt man die erfolgreichen Menschen der Tat dar?

      Habe in den Antworten das Anspruchsvolle des Philosophen und die Fragestellung des Dichters! So könnte ich mich idealisieren.

      Mythos d. XX. Jhdts.: Ein Buch, das so heißt, hätte früher im voraus nicht für ganz seriös gegolten. Ausgenommen höchstens, dieser Mythos wäre der der Maschine. Mit Recht, mit Unrecht? Kein Mensch hat sich die Mühe genommen, eine Frage daraus zu machen.

      Rechtspflege war ohne Zweifel mechanisiert, rezeptartig geworden. Nun ist mit einemmal Seele dabei: das Erziehungslager, die Ächtung, die Prügel ..

      Frage an die Musik und Psychoanalyse Ist die Symbolik der Musik nicht von der gleichen Primitivität wie die von der Psa. aufgedeckte?

      Charitas «Durch Warjenka war ihr das Verständnis dafür aufgegangen, daß es nur darauf ankomme, sich selbst zu vergessen und andere zu lieben, um ruhig, glücklich und gut zu sein. Und das wollte Kitty werden.» (Anna Karenina I 344.): S. auch Lindner.: Ist dieses zweifellos wirksame Rezept nicht verwandt mit der Gepflogenheit der .. Sekte: Kastriere dich, um die Unruhe des Geschlechts los zu sein?!

      Eine Entwicklungslinie: Es ist heute schon so weit gekommen, daß mit wenigen Ausnahmen einer ein Bühnendichter ist, ohne ein Dichter zu sein. Sie bilden eine eigene Gilde, und herüber wie hinüber gehen fast keine Verbindungen. So wird man morgen von einem Filmdichter sprechen. Man gewöhnt sich bereits allmählich daran. (Vgl. Bundeskultur) (Kulturpolitikkultur)

      George Er ist von neuer Wichtigkeit. (Aber vergiß nicht, daß er fast der einzige war, der die Autonomie der Kunst wirklich vertreten hat)

      Dichter u Schriftsteller. Mein Standpunkt: Gleich Genie u Talent. Man kann ein kleines Genie sein. Ein großes Talent ist u U. vorzuziehen. Vgl. dazu aber Th M. Leiden u Größe der Meister S 54, eine Stelle, die eine andere Antithetik gibt.

      Ansichtskarten von Ringkämpfern hat es gegeben, als noch kein Film war. Überdies auch von Opernsängern u Schauspielern. Beispiel eines Bedürfnisses, das unter besonderen Umständen übermächtig angewachsen ist.

      Welches Bedürfnis? Dabeisein, Berühren, Aufbewahren einer aus dem Strauß gefallenen Blume, Museum der Matterhornopfer usw.

      Großschriftsteller: Zu diesem Gegenstand wäre auch die Steigerung der Auflageziffern zwischen 1890 u. 1930 zu erheben. Dadurch wurde er wirtschaftliches Objekt. Heute muß der gute Schriftsteller wohl wieder in die Einsamkeit. Es ist vorderhand ein Nachruf.

      Der vollkommene Staat u. die Kunst. Ist jetzt aktuell. Kunstliebe u. Kunstschadchen Staat.

      Literatur wird in Masse erzeugt. Insoweit ist es auch richtig, sie als Masse zu behandeln: Rußland, Deutschland.

      Held u. Genie Während sonst vom Genie Pilsudskis die Rede war, hieß es in einer Zeitung wohltuend Held der Nation. Vielleicht hätte es wirklich Held heißen sollen, denn H. d. N. ist eine Einschränkung, wie man von einem Mädchen sagt «Ihr Held»; u. vielleicht war er wirklich auch ein Genie, ich weiß es nicht: aber gut ist es, zwischen Genie u Held zu trennen. Könnten es die Deutschen, vieles wäre ungeschehen geblieben.

      K. K. u H. Wenn K K. den Vorlesungssaal betritt, steht das Publikum solange, bis er sich setzt. Und das, obzwar er völlig versagt hat. Sie lieben ihn «erst recht». Ähnlich wirken die Mißerfolge Hs Liebe vergrößernd. Das ist das Verheerende an der K-ianerei. Es war alles schon vorgebildet, was geschehen ist.

      Sie halten ihm Treue, auch wenn er es nicht verdient.

      Ist das einfach Schaltungs-u. Ausschaltungswirkung? Blindes Liebesbedürfnis? Bedürfnis nach Illusionen?

      Wie Schriftsteller sind: In der Autographensammlung des Herrn Blaschik hat sich Paul Frank so eingezeichnet: «Höchste Kunst: Das Tiefste auf die planste Art zu sagen. Wien 3. Dez. 1928.»!

      Verwechslung mit Klassikern Ich lege eine Äußerung Auernheimers über Mann bei. (Ich habe es nicht beigelegt) Die Mitglieder der Familie Mann scheinen Thomas auch dafür zu halten. Das gehört teils zum Typus Große Wortbälge u. Ausfüllung a la Primanerdrama, teils ist Folgendes zu bemerken: Auch Wildgans zeigte Anlage zum Klassiker. Wenn der bessere Durchschnittsmensch sich ausgedrückt fühlt, wenn man auf höhere Art in seiner Art schreibt, dann findet er einen klassisch. (Bestenfalls eine Eigenschaft statt aller, die nötig sind.) Man rümpft die Nase über die Nazis, aber mit Kernstock ist lange vorher das gleiche geschehn. Er sprach so wie sie, er war so undichterisch wie sie. Th M. ist bloß nicht Ausdruck einer Partei, sondern einer unpolitischen Geistesdurchschnittlichkeit. Deshalb für alle. Deshalb der eigentliche Klassiker.

      Sonderbare Bettgenossen: Es ist doch eine der merkwürdigsten Fragen: Götz «verehrt» Stössl u mich, Schönwiese Broch u mich, viele Th Mann u mich; Th M. nennt Nietzsche u Fontane Väter. Und was tut ein Verleger? was der ideale Leser? Ist ein Leser, der nur einen Autor liebt, nicht verdächtig, daß seine Leserqualitäten nicht ganz so sind, wie sie könnten? Es wäre als nächstes Thema geeignet!

      Wurzel des Romans. Thomas a Kempis in der Nachfolge Christi im Kapitel von der Vermeidung überflüssiger Worte:

      «Aber warum sprechen wir so gern u. erzählen einander, da wir doch selten, ohne unser Gewissen verletzt zu haben, zum Schweigen zurückkehren?

      Darum sprechen wir so gern, weil wir durch wechselseitige Reden einander zu trösten trachten und unser von verschiedenen Gedanken ermüdetes Herz zu befreien wünschen.

      Und sehr gern möchten wir von diesen Dingen reden u. denken, die wir sehr lieben u begehren oder die uns zuwider sind.

      2. Aber ach! oft umsonst und vergeblich. Denn diese äußere Tröstung ist ein nicht geringer Schaden der inneren und göttlichen Tröstung.

      Daher muß man wachen u. beten, daß nicht die Zeit müßig verstreiche.» (S. 18)

      (Deutsch von Felix Braun. Alfred Kröner Verlag: Kröners Taschenausgabe, Bd. 126)

      Das ist Ursprung u Kritik des Erzählens!

      Es ist manchmal eine Unbescheidenheit nicht von sich zu sprechen, sondern über allerhand objektive Probleme objektiv zu urteilen. So von den Irrtümern u Verfehlungen der Zeit zu sprechen, statt zu sagen, sie verstünde den Dichter nicht u. das andere