Robert Musil

Gesammelte Werke


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in der Volkssprache Phantasie, Phantasie haben, und wird hochgeschätzt. Erst der Gebildete trennt zwischen Denken u Leben, u. der Halbgebildete hat die Diskriminierung des Denkens aufgebracht.

      Wann führt man? 1) durch Gewalt 2) durch Schmeichelei, zum Munde Reden, zumindest niemand Abschrecken. Beispiel: Großschriftsteller.

      17. u 18. Jhdt. haben geglaubt: durch Überzeugung. Wie soll das also sein?

      Was soll ich, Dichter, tun? Und: soll der Staat human oder usw. sein?: es ist die gleiche Frage. Ist Th M. ein großer Dichter? ist zumindest ein großer Teil der Frage: ist die Demokratie gut? (Wahrscheinlich: Sie ist gut, obwohl er keiner ist)

      Zeitgeschichte: Warum hat die letzte Generation Strindberg, Wedekind geliebt? Ich sagte, sie sei etwas dekadent. Sie selbst sagen irgendetwas von ihrem Zeitgefühl. Gewissen zb. Das legen sie sich zurecht u das spielt eine Rolle. Ebenso findet ein Historiker etwas heraus u legt es zugrunde. Es ist immer eine Arbeit mit Zufallshypothesen, u. entweder müßte man mit deren Reihe u Summe arbeiten oder mit deren Zusammenfassung. Da ist wirklich Blubo noch akzeptabel.

      Sind Th M. u R. Strauß nicht beide Manieristen?

      Die Psa. hat bewirkt, daß über das Sexuelle (das bis dahin der Romantik u. der Niedrigkeit überlassen war) gesprochen werden könne: das ist ihre ungeheure zivilisatorische Leistung. Daneben mag es sogar unwichtig erscheinen, welchen Wert sie als Psychologie hat.

      Jede Sicherheit ist nachtwandlerisch. (Das Nachtwandlerische ist das Urbild jeder geistigen Sicherheit)

      Es ist wohl auch so, daß sich die Menschen lieber fühlen als denken machen lassen. Ein Dichter, der ihr Denken angreift, regt gegen sich alle Kritik u. die Widerstände auf, die das persönliche Überzeugungssystem des Lesers zusammenhalten.

      Politische und Kunstgeschichte: Anknüpfend an Einige Schwierigkeiten der schönen Künste, u. zw. den Gedankengang: Auf eine Umdrehung des Lebens kommen 5 der Kunst – zb. die letzten 100 Jahre: die gesamte Gegenwart scheint in einer glatten, ununterbrochenen Bewegung aus der Vergangenheit herauszusteigen, während zb. die Dichtung klassisch, romantisch, epigonisch, im-u express, ist (nicht gerechnet: Büchner, Grillparzer, Hebbel) Es ist leichter vorauszusagen, wie die Welt in 100 Jahren aussehen wird, als wie sie in 100 J. schreiben wird. Nicht einmal hinterdrein kann man das prophezeien.

      Dazu notiert: Es ist eine Illusion, daß die politische u die Gesamtgeschichte glatter heraussteigt. Aber sie ist verständlicher. Denn in ihr ist mehr Ratio, mehr Eindeutigkeit (Ratio u Gewalt, Ratio u Begierde). Die Geschichte der Kunst wird bewirkt von Affekt, geregelt durch Mode.

      Die politische Geschichte enthält mehr Unsinn u besteht beinahe nur aus schönen Zufällen u. brutalen Anfällen.

      Die gesamte Geschichte ist logischer (konsequenter) als die Kunstgeschichte Weil sie von Überlegung u. Begierde beherrscht wird (wo die Überlegung versagt), ist ihr Bild unsympathisch-verständig, ja beinahe (scheinbar) berechenbar eindeutig. Die Geschichte der Künste dagegen, im einzelnen voll hohen Sinns (oder zumindest Absicht) wird im ganzen Unsinn, weil dem ungeregelten Spiel der höheren Affekte überlassen.

      Zur Abschreckungstheorie: Trotz Wiedereinführung der Todesstrafe, ja Standrecht 2 brutalste Raubmorde an einem Tag! (der eine, aufgeklärte, von einem 16 Jährigen u einem 18 J. begangen.) Wie vereint man: a) das Gefühl, das jeder hat, daß schwere Strafdrohungen auf ihn abschreckend wirken b) daß sie die Verbrechen doch nicht verhindern? – Weil die Verbrechen aus der großen Zahl kommen. Unter einigen Millionen Menschen finden sich jederzeit ein paar, die der kausierenden Wirkung der Drohung nicht zugänglich sind, zb. rohe Jugendliche, u. gerade die kommen für die Taten in Frage. Die Abschreckungswirkung besteht nur für die Norm, nicht für den Abnormen (abnorm in diesem Fall =|= pathologisch)

      Zu: Eitelkeit des Künstlers: Eine Anekdote nach bekanntem Muster (Tag): Ein berühmter Tenor sagt in Gesellschaft: «Ein Genie ist immer bescheiden. Es gibt Stunden, in denen ich mich frage, ob ich wirklich der größte Sänger der Welt bin.»

      Nun: der größte Sänger, Dichter usw. zu sein oder zumindest (in der Jugend) zu werden, ist ein Gedanke, der vielleicht alle berührt. Daß einer sagt: Ich bin nur ein kleiner Mann – wenn es nicht aus Resignation nach Mißerfolg geschieht – ist geradezu ein besonderer Fall. Aber es fiel mir dabei diese Seite der Frage auf: Soll man nicht, wenn eine Antwort so sinnlos wie kaum vermeidlich ist, darauf schließen, daß die Frage falsch gestellt ist?! Also daß «der Größte», der «Erste» udgl. die unterschobene Frage für «groß?» wäre. Man kann groß sein, aber nicht der Größte, (s. Rilkerede Skalar u ä.) Die Schuld liegt am Betrieb u den übrigen sozialen Verhältnissen.

      Auch schlechte Künstler haben gute Gründe u Absichten, s. Bd I MoE. Fürst erwähnte Semper als Bspl. Ältere Notizen über Charlemont u über eine Anthologie wo?

      Applaus. S. Bd II MoE (W – Cl – U). Ich habe von Anfang an das Gefühl gehabt, daß Applaus nicht mir gilt, nicht die direkte Beziehung zw. mir u denen ausdrückt, zu denen ich gesprochen habe, sondern, daß ich auf einen Knopf drücke u. den Applaus öffne. Zu Göthes Zeit dachte man doch wohl eher: Kontakt mit den Guten oder mit dem Guten in der Brust u ergänzte es bloß durch Klage über Wankelmut u ä. Heute sehen wir eine soziale Erscheinung darin (allerdings wohl nicht alle): so drückt sich der Wandel zum neuen Verhältnis von Individuum u Masse auch darin aus.

      Form für Aphorismen: kann fallweise auch so sein,

      zb. Ich und Gesellschaft

      I der Künstler u. die Eitelkeit

      1….

      2….

      :

      Und schon in der Einzelveröffentlichung nummerierte (oder nicht) Unterteilung mancher Fragen.

      Frage: Steckt nicht ein Problem darin, daß sich die schlechten Maler einer Zeit die guten Maler einer älteren Zeit zum Vorbild nehmen, und nicht deren schlechte? Es sind allerdings zugleich die berühmten. Es sind also auch die äußerlichen Schüler.

      Die Abneigung der Zeitgenossen gegen das Eigenartige ist weggefallen. Das Berühmtwerdenwollen des jungen Menschen ist ein starker Motor. Die Formen u. Inhalte sind inzwischen dargelebt worden. Mit solchen einfachen Gründen läßt sich das wohl erklären.

      Es ist also vielleicht kein Problem, wohl aber ein eigentümlicher u. unvorteilhafter Gang der Geschichte. Ein Verlust an Genialität, die zum Zeitausdruck wird.

      Daß der Erfolg die schwachen Talente am meisten anzieht.

      Die >Generation< [?] lehnt die Vorbilder ab

      Die Großen sind durch legitime Nachfolger u Ausleger mundgerecht gemacht worden.

      Die schlechten sind zeitgebunden Sie nutzen alle Vorteile der Zeit, die dann wegfallen.

      Verlieren [?] sie ihren Ruhm gerade das an —, was anzieht?

      Sie sind Eintagsgrößen

      Gehört der Dummheit der Tag

      Was muß an einem Künstler verloren gehn, damit er Allgemeingut wird?

      Zu den 2 Reden: Alle Eisenfresser gehen von der Erscheinung aus, daß wir zuviel Kultur gehabt hätten, d. h. schon in einer Phase der Überkultur u. ihres Verfalls gewesen wären, während wir in Wahrheit zu wenig Kultur hatten.

      Statt Frauenmißhandlungen kann auch das Bspl. schlechte Behandlung der Tiere gebraucht werden, wie in Italien. Schwer zu sagen, warum das ein Kulturhindernis sein soll: Versuchsweise könnte man aufs «Ganze» gehn – Eine gewisse inkohärente Naivität gehört dazu wie bei Kindern, wie tatsächlich in Italien; u. zw. innerhalb eines allgemeineren Kulturzustands, es bedeutet ja als Symptom heute nicht das gleiche wie im Mittelalter. Man kann über ein Volk nicht schlechtweg den Stab brechen; auch die Fehler haben funktionale Zusammenhänge; es wird sich ein Analogon der moral. Bewertung des Einzelnen als nötig zeigen, die ja eigentlich nie zu einem Ende kommt, d. h. nie apodiktisch sein kann, nach Häufigkeiten u. Relationen entschieden wird. Letzten Endes wird die Bewertung innerhalb eines Ganzen