rel="nofollow" href="#ulink_1f80ad05-c442-5643-adf9-84c9087209aa">Inhaltsverzeichnis
Von dem gesetzlichen Rechte Gebrauch machend, veröffentliche ich dieses bereits vor 41 Jahren zum ersten Male erschienene Andachtsbuch in neuester Ausgabe. Die Beliebtheit, welche dasselbe während jener Zeit errungen, verdankt es der richtigen Auswahl und Anordnung der, Form und Inhalt nach, gleich schönen Gebete des vor mehr denn 30 Jahren dahingeschiedenen Verfassers Herrn Jacob Freund. Ich habe an diesem Erbauungsbuche, ohne an dessen Gebeten oder Reihenfolge derselben zu rütteln, nur insofern eine Veränderung eintreten lassen, als ich jene Festbetrachtungen, deren Verfasser noch am Leben ist, beibehalten habe, dagegen jene, deren Verfasser bereits vor Jahren aus diesem Dasein geschieden sind, durch neue, Gedankenreichtum bietende, gemütanregende und den religiösen Sinn fesselnde Betrachtungen ersetzen ließ. Diese geflossen aus der Feder des Wiener Rabbiners und Predigers Dr. D. Feuchtwang, wahre exegetische Perlen, reihen sich denen des Wiener Oberrabbiners Dr. M. Güdemann würdig an, so daß der Reiz, den sie diesem Andachtsbuche verleihen, nicht wenig dazu beitragen wird, seine Beliebtheit zu steigern. Auch habe ich im Texte auf die neue Rechtschreibung Bedacht genommen, ein Vorteil, welcher der Jugend gut zustatten kommt.
Breslau, den 1. Mai 1908.
Jakob B. Brandeis.
A. Oeffentlicher Gottesdienst.
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Sabbat- und Festgebete.
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Die Feste des Herrn.
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Lasse uns den Segen Deiner Feste zuteil werden, o Gott, zum Leben und zum Frieden, zur Freude und zur Wonne. Heilige uns mit der Ausübung Deiner Gebote und gib uns unseren Teil an Deiner Thora. Sättige uns von Deiner Güte und erfreue uns mit Deiner Hilfe. Reinige unser Herz, Dir in Wahrheit zu dienen. Mache uns deine heiligen Feste zum Eigentum. Du bist der Segenspender, o Gott, indem Du Israel heiligst und die Zeiten.“ In diesem kindlich-schlichten, menschlich-wahren Gebete drückt sich der ganze tiefe, volle Segen aus, den die Festeszeiten in die Herzen, Seelen, Geister überreichlich streuen. Wie erquickender Sonnenstrahl in kaltes Dunkel, wie blütenprächtiger Frühling in winterlich-frostige Gefilde, so fallen die Festeszeiten in das harte, ernste Leben. — Wer lebt, der kämpft. Wer kämpft, der siegt nicht immer. Nicht jedwedem gedeiht die Saat auf dem Arbeit und Fleiß fordernden Ackerland des Lebens. Nicht alle, die unter Tränen das Saatkorn in die Furche geworfen, ernten in Jubel und Freude. Und die in scheinbar ungestörter Freude die Tage verbringen, die in nie umwölktem Sonnenleuchten ihre Jahre leben, in deren Sein und Streben sich goldene Ringe in köstlicher Kette an goldenem Ring zu reihen scheint, sie sind nicht immer die Glücklichen. Der ewige Festtag ist nicht des Ewigen Festtag. Menschengewollte und menschengebotene Ruhe steht im Dienste vergänglicher, täuschender Wünsche. Der ermüdete Leib des Daseinskämpfers bedarf der Seelenerquickung, die höchste Weihen empfangen hat und die im Zeichen idealen Dienstes steht. Festesstimmung und Festesfreude quellen aus dem Borne der Ewigkeit und der seelenvollen Hingebung an den weltbeglückenden Gedanken eines Gottes, eines Schöpfers, eines Menschenvaters. Sie sind uns nicht Stimmungen des flüchtigen Augenblickes, sondern vertiefte Gedanken an große geschichtliche Vergangenheit, ereignisreiche Gegenwart und glückverheißende Zukunft.
Die „Feste des Herrn“ sind Zeiten der Sammlung und der Andacht. Der Sammlung in jeglichem Sinne. Auch in dem, daß durch Arbeit versprengte Glieder des durch Bande des Blutes gebundenen Hauses sich warm und freudevoll zusammenfinden; die Gemeinde im brüderlichen Verbande an gemeinsamer Stätte sich Gottes und seiner Waltung freut; die Glaubensschwestern und Glaubensbrüder allesamt in aller Welt an ebendemselben Tage und zur selben Stunde des großen Lebens gedenken, das unser Volk gelebt, des unendlichen Segens, den es empfangen und gespendet hat. Der Andacht, die aller selbstischen Schlacken frei, sich in geiststärkende und weltumfassende Gedanken versenkt, die beruhigen, adeln und erheben. Denn die „Feste des Herrn“ sind nicht allein Festtage für sein erstgeborenes Volk, für Israel, sondern ziehen in den Bereich ihres weiten Andachtsbezirkes alle Menschenbrüder. So begrüßen wir diese Feste in gelassener Freude und mit gedämpftem Jubelruf. Sie sind der Gottesverehrung, geschichtlichen Erinnerung, sittlichen Selbsterziehung, Einkehr und Umkehr geweiht und ihr geschlossener Kreis zieht sich um die gemeinsame Mitte der Menschenerziehung und Menschenbeglückung. So feiern wir die „Feste des Herrn“ zu unserem Heil und Segen.
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I. Gebete für den Sabbat.
Der Sabbat.
.שבת
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Sabbat-Betrachtung.
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„Denke des Sabbattages, ihn zu heiligen!“ „Heil dem Menschen, der dies tut, dem Erdensohne, der daran festhält: Den Sabbat hütet, ihn nicht zu entweihen, seine Hand hütet, daß er nichts Böses tue!“ Als Moses, so erzählt eine uralte Sage, den Druck seiner Brüder in Ägypten sah, ging er zum Pharao und sagte: Wenn der Sklave nicht einen Tag in der Woche ruht, muß er sterben. Und Pharao sagte: Tue, wie Du geredet. Da ging Moses hin und setzte den Sabbat ein. „Darum freut sich Moses der Gabe, die sein Teil ist.“ Doppelt ist die große Aufgabe des Sabbat; den Menschen auf Gott und sein Werk, den Menschen auf sich selbst zu weisen. Das wollen auch diese Thora- und Prophetenworte, will die sinnige Sage melden. Neben dem gewaltigen, völkerbezwingenden, weltgewinnenden Riesengedanken des Einzigen Gottes, der aus sich Kulturen geboren hat; neben dem größten sittlichen Befehl der „Nächstenliebe“, den unsere Religion vor allen anderen der Menschheit erteilt hat, ist der Sabbatgedanke der größte, den unser Glaubensgesetz besitzt. Er verlieh und verleiht dem Leben Hoheit, Weihe und Würde. Wenn die heilige Schrift das Schöpfungswerk mit dem Tage der Sabbatruhe schließt und krönt, wenn das Bundestafelgesetz den Sabbat fordert, so will dies besagen, daß ohne ihn der Schöpfung wundererfülltes Werk nicht vollendet, das Leben nicht vollkommen wäre. Denn der Sabbat ist die Blüte am markigen Baume der Lebensarbeit. Er ist die Sehnsucht rastlos schaffenden Menschengeistes, mühevoll-emsiger Menschenhände. Unsere harte Zeit des Daseinskampfes, in der die Seele nur wenig und selten bedacht wird, hat trotz aller Bildungsmittel und Kunstideale, aller Schönheitspflege und Wohlfahrtspredigt den Sinn und Willen des jüdischen Sabbat weder erfaßt noch erreicht. Der jüdische Sabbat hat eine ewige Bedeutung für die ganze Menschheit. Dieser Tag der Ruhe ist der „Tag der Weihe im Geiste, auf daß auch der Werketagsarbeiter aller Art zu sittlicher Erhebung, zur Freiheit des Gemütes sich sammeln könne.“ Er ist eine sittliche Kraftäußerung der Seele und der Religion, die sieghaft dem Nutzentriebe und der Stoffgewalt Schranken setzten.
In dieser Weise hat er einst in jüdischen Kreisen gewirkt, in Haus, Familie und Gemeinde. Die Geistes- und Leibesarbeit der Wochentage strebte gewissermaßen dem Hochziele „Sabbat“ zu. Der Rüsttag schon verriet die Zeichen der kommenden, herzerquickenden, reinen, tiefen Sabbatfreude. Sie führte Vater, Mutter und Kind in einen fröhlichen, geweihten Kreis, in dem es keine Sorge, keinen Kummer, keinen Kampf und keinen Haß, keine Trübung noch Trauer gab. Licht und