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Andreas Streicher
Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782-1785
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021
EAN 4064066113506
Inhaltsverzeichnis
Vorrede der Hinterbliebenen Streichers zur Ausgabe von 1836.
Einleitung.
Das Buch, das wir, nachdem es zum ersten- und einzigen Male im Jahre 1836, drei Jahre nach dem Tode seines Verfassers, erschienen war, nun zum Schiller-Jubiläumstag neu in die Welt senden, ist nicht mit Unrecht ein Kleinod unserer Literatur genannt worden. Nicht als ob es schriftstellerische Vorzüge aufweisen könnte. Sein Wert liegt vielmehr einmal in den berichteten Tatsachen, die für die Kenntnis von Schillers Entwicklung von außerordentlichem Werte sind und die uns unbekannt geblieben sein würden, wenn nicht Streicher sie uns erzählt hätte, sodann aber in dem Geist und Sinn, der aus dem Buche spricht. Da die Vorbereitungen zur Flucht aus Stuttgart und ihre Ausführung selbst sehr geheim gehalten werden mußten und da das, was außerhalb des Weichbildes von Mannheim mit Schiller geschah, nur Streicher zum Zeugen hatte, so können wir in der Tat den Wert dieser Aufzeichnungen nicht genug schätzen; aber auch, daß dieser Zeuge gerade Streicher war, ist von der größten Bedeutung. Denn wir haben in diesem Manne, der ja, wie der Leser aus dem Buche selbst erkennen wird, mit einer Art Vergötterung an Schiller hing, einen Berichterstatter, der alle diese aufregenden und abenteuerlichen Erlebnisse mit der größten Einfachheit, ohne subjektive Färbung und mit einem treuen geschichtlichen Sinne uns erzählt. Freilich ist das Buch selber erst geschrieben worden, als Streicher bereits im Greisenalter stand; aber die Ereignisse der Jugend standen ihm, soweit er sie selbst miterlebt hatte, als die denkwürdigsten seines ganzen Lebens vor der Seele, und später erschienene Briefe bezeugen uns, daß Streicher in der gewissenhaftesten Weise überall da, wo entweder sein Gedächtnis ihn nicht mehr sicher beriet oder wo er von Dingen zu erzählen hatte, die er selbst nicht mit angesehen (wie zum Beispiel in dem Berichte über die letzte Begegnung Schillers mit seiner Schwester und seiner Mutter), durch briefliche Erkundigung die Lücke zu ergänzen oder falsche Gerüchte zu berichtigen suchte. Einen solchen Brief teilen Speidel und Wittmann in ihrem vorzüglichen Buche »Bilder aus der Schillerzeit,« S. 26, mit. So kann man sagen, daß die Partien des Streicherschen Buches, die sich mit der Flucht und den auf die Flucht folgenden Ereignissen beschäftigen, durchaus zuverlässig sind und nur in ganz unwesentlichen Einzelheiten, in den Angaben einiger Monatsdaten und ähnlichen Kleinigkeiten, von der späteren Schiller-Forschung berichtigt worden sind.
Streicher hat nun dem Berichte von der Flucht eine kurze Übersicht über Schillers Leben bis 1782 beigegeben; diese Übersicht mußte er nach den damals zugänglichen Quellen abfassen, und sie ist daher, wie wir gleich hier bemerken, nicht in demselben Maße unanfechtbar, wie der eigentliche Kern des Buches. Insbesondere waren Streicher die näheren Umstände, die das Zerwürfnis Schillers mit dem Herzog veranlaßten, nicht bekannt; vermutlich hat Schiller selbst von dem, was an Intrigen gegen ihn und gegen seinen Vater sich abgesponnen hat, nicht alles gewußt. Wir verzichten hier darauf, die Einzelheiten zu berichtigen, da der Leser dazu jede moderne Schillerbiographie benutzen kann; es sei gestattet, auf die betreffenden Abschnitte in der von mir verfaßten Biographie Schillers (4. Auflage, Bielefeld und Leipzig, Velhagen & Klasing; Volksausgabe, ebenda 1904), zu verweisen, wo ein ausführliches Bild gegeben wird. Die Universal-Bibliothek bietet die Schiller-Biographie von Rudolf von Gottschall (Nr. 3879/80), die in gedrängterer Form berichtet.
Andreas Streicher wurde als der Sohn unbemittelter Eltern im Jahre 1761 in Stuttgart geboren; er widmete sich der Tonkunst und sollte bei Emanuel Bach in Hamburg seine Ausbildung als Musiker erhalten. Von der Reise nach Hamburg aber wurde er durch die von ihm selbst erzählten Umstände abgehalten; er blieb vielmehr einige Jahre, mit Schiller und auch noch nach Schiller, in Mannheim, wandte sich dann nach München und ging 1794 nach Wien, wo er als Klavierlehrer eine auch an äußeren Erfolgen reiche Tätigkeit entwickelte. Später hat er in Wien die Pianofortefabrik seiner Frau, einer geborenen Stein aus Augsburg, übernommen und es in dieser Tätigkeit zu erheblichem Wohlstande gebracht. Er starb am 15. Mai 1833. Wie sehr er an dem Jugendfreunde hing, zeigt nicht nur das Buch selber, das er etwa in den Jahren 1828–30 verfaßt hat, sondern dies wird uns auch aus Briefen, die er nach Schillers Tode an dessen Angehörige schrieb, deutlich. Man hat wohl bemerkt, es sei auffallend, daß Schiller selbst später nicht wieder an den aufopferungsfreudigen Freund seiner Jugend geschrieben habe, insbesondere Julian Schmidt hat in seinem Buche »Schiller und seine Zeitgenossen« dieses Befremden ausgedrückt; man ist aber damit im Irrtum gewesen. Wir besitzen noch einen Brief von Schiller, der uns zeigt, wie Schiller in dankbarem Herzen die Erinnerung an Streicher bewahrt hat. Im Jahre 1795 hatte Streicher einem Herrn seiner Bekanntschaft einen Empfehlungsbrief an Schiller mitgeschickt; Schiller antwortete darauf:
»Mein teurer und hochgeschätzter Freund!
Gestern erhielt ich durch Herrn von Bühler Ihren Brief, der mich auf eine sehr angenehme Weise überraschte. Daß Sie mich nach einer zehnjährigen Trennung und in einer so weiten Entfernung noch nicht vergessen haben, daß Sie meiner mit Liebe gedenken und mir ein gleiches gegen Sie zutrauen, rührt mich innig, lieber Freund, und ich kann Ihnen auch von meiner Seite mit Wahrheit gestehen, daß mir die Zeit unseres Zusammenseins und Ihre freundschaftliche Teilnahme an mir, Ihre gefällige Duldung gegen mich und Ihre auf jeder Probe ausharrende Treue in ewig teurem Andenken bleiben wird.
Wie erfreuen Sie mich, lieber Freund, mit der Nachricht, daß es Ihnen wohl geht, daß Sie mit Ihrem Schicksale zufrieden sind und nun auch die Freuden des häuslichen Lebens genießen. Diese sind mir schon seit sechs Jahren zu teil geworden, und ich könnte, im Besitze eines hoffnungsvollen Knaben, sowie in meiner unabhängigen äußeren Lage ein ganz glücklicher Mensch sein, wenn ich aus dem Sturme, der mich so lange herumgetrieben, meine Gesundheit gerettet hätte. Indessen macht ein heiteres Gemüt und der angenehme Wechsel der Beschäftigung mich diesen Verlust noch ziemlich vergessen, und ich finde mich in mein Schicksal.
Eben dieser Zustand meiner Gesundheit läßt mich nicht daran denken, eine Reise zu unternehmen, und raubt mir also die Freude, Ihre freundschaftliche Einladung anzunehmen. Aber was mir unmöglich ist, können Sie vielleicht ausführen, und um so eher, da ein Tonkünstler überall zu Hause ist und selbst auf Reisen die Zeit nicht verliert. Daß mir Ihre Erscheinung in Jena unbeschreiblich viele Freude machen würde, bedarf keiner Versicherung, und daß auch Sie nicht unzufrieden sein sollen, dafür, glaube ich, gutsagen zu können. Ich könnte Ihnen wenigstens dafür stehen, daß Sie in Weimar, wo man Musik zu schätzen weiß, eine sehr erwünschte Aufnahme finden sollten.
Ihr aufrichtig ergebener
Schiller.
Jena, den 9. Oktober 95.
An Herrn Andreas Streicher, Tonkünstler in Wien.«
Man sieht aus diesem Briefe, daß Schiller, wenn auch keine häufigeren Anlässe zu lebhafterem Briefwechsel mit seinem Jugendfreunde vorlagen, ihn doch in dankbarer Erinnerung bewahrte. Folgende beiden Briefe mögen noch dem Leser zeigen, mit welcher Wärme Andreas Streicher spät nach Schillers Tode für die Pflege von dessen Andenken gesorgt hat. Der erste dieser Briefe ist am 30. August 1826 an Schillers einzige überlebende Schwester Christophine, die verwitwete Hofrätin Reinwald in Meiningen, gerichtet, der andere am 29. April 1829 an Schillers bekannten Freund