des Knaben. Er liebte ihn nicht nur wegen seiner Begierde, etwas zu lernen, und wegen der Fähigkeit, das Erlernte zu behalten, sondern besonders auch wegen seines biegsamen, zartfühlenden Gemütes.
Da sich bei dem Sohne die Neigung zum geistlichen Stande so auffallend und anhaltend aussprach, so war ihm der Vater um so weniger hierin entgegen, da dieser Stand in Württemberg sehr hoch geschätzt wurde, auch viele seiner Stellen ebenso ehrenvoll als einträglich waren.
Als die Familie 1766 nach Ludwigsburg ziehen mußte, wurde der junge Schiller sogleich in die Vorbereitungsschulen geschickt, wo er neben dem Lateinischen und Griechischen auch Hebräisch – als zu dem gewählten Beruf unerläßlich – erlernen mußte.
In den Jahren 1769–72 war er viermal in Stuttgart, um sich in den vorläufigen Kenntnissen zur Theologie prüfen zu lassen, und bestand jederzeit sehr gut. Sein Fleiß konnte nur wenige Zeit durch körperliche Schwäche, welche durch das schnelle Wachsen veranlaßt wurde, unterbrochen werden; denn wie seine Gesundheit kräftiger wurde, brachte er das Versäumte mit solchem Eifer ein und lag so anhaltend über seinen Büchern, daß ihm der Lehrer befehlen mußte, hierin Maß zu halten, indem er sonst an Geist und Körper Schaden leiden würde. Teilnehmend, wohlwollend und gefällig für die Wünsche seiner Mitschüler, konnte er sich den jugendlichen Spielen leicht hingeben und in Gesellschaft das mitmachen, was er allein wohl unterlassen hätte. Bei einer solchen Gelegenheit, kurz vor dem Zeitpunkt, wo er in der Kirche sein Glaubensbekenntnis öffentlich ablegen sollte, sah ihn einst die fromme Mutter, und ihre Vorwürfe über seinen Mutwillen machten so vielen Eindruck auf ihn, daß er noch vor der Konfirmation seine Empfindungen zum erstenmal in Gedichten aussprach, die religiösen Inhalts waren.
Je näher die Zeit heranrückte, in welcher er in eines der Vorbereitungsinstitute aufgenommen werden sollte, welche Jünglingen, noch ehe sie die Universität beziehen konnten, gewidmet waren, mit um so größerm Eifer ergab er sich nun seinen Studien.
Ohne Zweifel würde die Welt an Schillern einen Theologen erhalten haben, der durch bilderreiche Beredsamkeit, eingreifende Sprache, Tiefe der Philosophie und deren richtige Anwendung auf die Religion Epoche gemacht und alles Bisherige übertroffen haben würde, wenn nicht seine Laufbahn gewaltsam unterbrochen und er zum Erlernen von Wissenschaften genötigt worden wäre, für die er entweder gar keinen Sinn hatte oder denen er nur durch die höchste Selbstüberwindung einigen Geschmack abgewinnen konnte.
Der Herzog von Württemberg hatte nämlich schon im Jahr 1770 auf seinem Lustschlosse Solitüde eine militärische Pflanzschule errichtet, die so guten Fortgang hatte, daß die Lehrgegenstände, welche anfänglich nur auf die schönen Künste beschränkt waren, bei anwachsender Zahl der Zöglinge auch auf die Wissenschaften ausgedehnt wurden.
Um die fähigsten jungen Leute kennen zu lernen, wurde von Zeit zu Zeit bei den Lehrern Nachfrage gehalten, und diese empfahlen 1772 unter andern guten Schülern auch den Sohn des Hauptmanns Schiller als den vorzüglichsten von allen. Sogleich machte der Herzog dem Vater den Antrag, seinen Sohn in die Pflanzschule aufzunehmen, auf fürstliche Kosten unterrichten und in allem freihalten lassen zu wollen.
Dieses großmütige Anerbieten, das manchem so willkommen war, verursachte aber in der ganzen Schillerschen Familie die größte Bestürzung, indem es nicht nur den so oft besprochenen Plan aller vereitelte, sondern auch dem Sohn jede Hoffnung raubte, sich als Redner, als Schriftsteller und geistlicher Dichter einst auszeichnen zu können.
Weil jedoch damals für die Theologie in dieser Anstalt noch kein Lehrstuhl war, auch der junge Schiller schon alle Vorbereitungsstudien für diesen Stand gemacht hatte, so versuchte der Vater diese Gnade durch eine freimütige Vorstellung abzuwenden, die auch so guten Erfolg hatte, daß der Herzog selbst erklärte, auf diese Art könne er in der Akademie ihn nicht versorgen. Einige Zeitlang schien der Fürst den jungen Schiller vergessen zu haben. Aber ganz unvermutet stellte er noch zweimal an den Vater das Begehren, seinen Sohn in die Akademie zu geben, wo ihm die Wahl des Studiums freigelassen würde und er ihn bei seinem Austritt besser versorgen wolle, als es im geistlichen Stande möglich wäre.
Die Freunde der Familie sowie diese selbst sahen nur zu gut, was zu befürchten wäre, wenn dem dreimaligen Verlangen des Herzogs, das man nun als einen Befehl annehmen mußte, nicht Folge geleistet würde, und mit zerrissenem Gemüt fügte sich endlich auch der Sohn, um seine Eltern, die kein anderes Einkommen hatten, als was die Stelle des Vaters abwarf, keiner Gefahr auszusetzen.
Man mußte also den Ausspruch des Gebieters erfüllen und konnte sich für das Aufgeben so lange genährter Wünsche nur dadurch einigermaßen für entschädigt halten, daß die weitere Erziehung des Jünglings keine großen Unkosten verursachen und eine besonders gute Anstellung in herzoglichen Diensten ihm einst gewiß sein würde.
Was noch weiter zur Beruhigung der Mutter und Schwestern beitrug, war die Nähe des Institutes; die Gewißheit, den Sohn und Bruder jeden Sonntag sprechen zu können; dann die große Sorgfalt, welche man für die Gesundheit der Zöglinge anwendete, und die vertrauliche, sehr oft väterliche Herablassung des Herzogs gegen dieselben, durch welche die strenge Disziplin um vieles gemildert wurde.
Mißmutigen Herzens verließ der vierzehnjährige Schiller 1773 das väterliche Haus, um in die Pflanzschule aufgenommen zu werden, und wählte zu seinem Hauptstudium die Rechtswissenschaft, weil von dieser allein eine den Wünschen seiner Eltern entsprechende Versorgung einst zu hoffen war. Aber sein feuriger, schwärmerischer Geist fand in diesem Fache so wenig Befriedigung, daß er es sich nicht verwehren konnte, dem Bekenntnis, welches jeder Zögling über seinen Charakter, seine Tugenden und Fehler jährlich aufsetzen mußte, schon das erste Mal die Erklärung beizufügen: »Er würde sich weit glücklicher schätzen, wenn er seinem Vaterland als Gottesgelehrter dienen könnte.«
Auf diesen ebenso schön als bescheiden ausgesprochenen Wunsch wurde jedoch keine Rücksicht genommen. Das Studium der Rechtswissenschaft mußte fortgesetzt werden und wurde auch mit allem Fleiß und Eifer von ihm betrieben. Aber nach Verlauf eines Jahres beschied der Herzog den Vater Schillers wieder zu sich, um ihm zu sagen: »daß, weil gar zu viele junge Leute in der Akademie Jura studierten, seinem Sohne eine so gute Anstellung bei seinem Austritt nicht werden könne, wie er selbst gewünscht hätte. Der junge Mensch müsse Medizin studieren, wo er ihn dann mit der Zeit sehr vorteilhaft versorgen wolle.«
Ein neuer Kampf für den Jüngling! Neue Unruhe für seine Eltern und Geschwister! Schon einmal hatte der zartfühlende Sohn aus Rücksicht für seine Angehörigen die Neigung zu einem Stande aufgeopfert, den ihm die Vorsehung ganz eigentlich bestimmt zu haben schien. Jetzt sollte er ein zweites Opfer bringen. Er sollte, nachdem er ein volles Jahr der Rechtswissenschaft gewidmet, ein anderes Fach ergreifen, gegen das er die gleiche Abneigung wie gegen das zuerst erwählte an den Tag legte. Jedoch der beugsame, kindliche Sinn, der ihn auch später in allen Vorfällen seines Lebens nie verließ, machte ihm diesen schweren Schritt möglich, und er unterwarf sich dem, was man über ihn bestimmt hatte.
Für den Vater war es zugleich nicht wenig lästig, daß er die zahlreichen, zum Rechtsstudium erforderlichen Werke ganz unnützerweise angeschafft hatte und nun für das neue Fach noch viel größere Ausgaben machen mußte, indem nur den gänzlich Unvermögenden die nötigen Bücher von der Akademie verabfolgt wurden.
Als der junge Schiller in die Klasse der Mediziner übertreten mußte, war er in seinem sechzehnten Jahre, und so ungern er auch die neue Wissenschaft ergriff, indem er nicht hoffen konnte, sich jemals recht innig mit ihr zu befreunden, so fand er sie doch nach kurzer Zeit um vieles anziehender, als er sich vorgestellt hatte; denn die verschiedenen Teile derselben, so trocken auch ihre Einleitung sein mochte, behandelten doch alle ohne Ausnahme die lebendige Natur und versprachen ihm einst bei dem Menschen neue Aufschlüsse über die Wechselwirkung des Körperlichen und des Geistigen aufeinander. Sein schon von Jugend auf sehr starker Hang zum Forschen, zum tiefen Nachdenken, wurde durch die Hoffnung angefeuert, hier einst Entdeckungen machen zu können, die seinen Vorgängern entschlüpft wären, oder daß es ihm vielleicht gelingen würde, die in so großer Menge zerstreuten Einzelheiten auf wenige allgemeine Resultate zurückzuführen. Aber bei allen diesen reizenden Vorahnungen und ungeachtet der vorgeschriebenen Ordnung, die auch sehr streng gehalten werden mußte, benutzte er doch jede freie Minute,