Andreas Streicher

Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782-1785


Скачать книгу

Frau!

      Seit dem Tode Ihres herrlichen Bruders sind einundzwanzig Jahre verflossen, und noch ist er nicht begraben, sondern sein Sarg steht in Weimar in dem Gewölbe einer Sterbkassen-Gesellschaft unter dreißig bis vierzig andern versteckt, so daß es unmöglich ist, zu ihm zu gelangen oder ihn nur zu sehen.

      Man sagt, daß diese ungeheure Vernachlässigung die Schuld der Witwe sei.

      Als ich im Jahre 1820 die erste Nachricht hierüber in der »Allgemeinen Zeitung« las, schrieb ich sogleich nach Weimar und erkundigte mich um die Wahrheit derselben. Leider wurde solche bestätigt und die Vermutung geäußert, daß wohl der Vermögenszustand der Schillerschen Familie einige Schuld daran haben könne. Sogleich entschloß ich mich, eine kleine von mir verfaßte Schrift: »Schillers Flucht von Stuttgart und sein Aufenthalt in Mannheim von 1782 bis 1785,« die erst nach meinem Tode erscheinen sollte, jetzt schon, und zwar zu dem Zwecke herauszugeben, damit für den eingehenden Betrag Schiller ein ordentliches Grabmal errichtet werden könnte.

      Mancherlei Schwierigkeiten, die ich nicht beseitigen konnte und deren Aufzählung zu weitläufig sein würde, brachten diese Sache ins Stocken, bis endlich bei der Austeilung des neuen Kirchhofs in Weimar sich Frau von Schiller entschloß, eine Familiengruft zu wählen, und nur noch ihre Rückkehr von Köln erwartet wurde, um eine vollkommene Entscheidung herbeizuführen. Allein ein Schlagfluß überraschte sie in Bonn, wohin sie sich wegen einer Augenoperation begeben hatte, und brachte diese Sache insoferne wieder aufs neue zum Stillstande, als man sich deshalb nun an den ältesten Sohn in Köln wenden mußte. An diesen habe ich nun geschrieben, und es läßt sich erwarten, daß er die Pflicht des Sohnes erfüllen und das Murren aller Reisenden, sowie die in so vielen Zeitschriften darüber erhobenen Klagen stillen wird.

      Ich habe Herrn von Schiller auch zugleich um genaue Nachrichten in betreff der letzten Lebensjahre seines Vaters ersucht, welche in den Schriften von Körner, H. Döring und andern entweder ganz übergangen oder unrichtig angegeben sind, indem mir daran liegt, daß meine Schrift als (wenigstens kleines) Ganzes sich darstelle. Da aber die Angaben über seine Eltern, über seine ersten Jugendjahre gar zu karg aufgeführt sind, und solche weder in der Zeitfolge noch in der Sache selbst zusammenpassen, so legt man diese Schriften desto unbefriedigter weg, je gespannter man auf alle Nachrichten ist, welche diese merkwürdige Familie betreffen.

      Von dieser Periode lassen sich nun nur noch von Ihnen, wohlgeborne Frau, die allerzuverlässigsten Nachrichten erwarten, indem Sie der einzige noch lebende Zeuge derselben sind. Ich nehme mir daher die Freiheit, Ihnen einige Fragen vorzulegen, welche diesen Zeitraum betreffen, mit der Bitte, selbige einiger Aufmerksamkeit würdigen und mir gefälligst beantworten zu wollen. Da ich meine Absicht, warum ich alles dahin Gehörige zu wissen wünsche, deutlich ausgesprochen, so darf ich nicht fürchten, daß Sie diese Fragen als aus bloßer Neugierde oder aus einer unedlen Ursache gestellt ansehen werden, sondern habe gegründete Ursache, zu hoffen, daß Sie dem Jugendfreunde und Leidensgefährten Ihres Bruders sein Verlangen um so weniger versagen werden, weil dieses nur zur Verherrlichung des Verewigten gereichen solle. Da aber die Schrift schon in einigen Monaten in Druck gegeben werden muß – da erst, wenn dieser schon im Gange ist, die Unterzeichnung darauf öffentlich angekündigt werden kann – da auch nur alsdann erst zur Erbauung eines ordentlichen, würdigen Grabmals geschritten wird, wenn man der Kostendeckung versichert ist – da meine Geschäfte mir nur sehr wenig Zeit zur Vollendung dieser Schrift gestatten, und da mein Alter, sowie meine Gesundheit es nicht ratsam machen, diese Angelegenheit noch länger als bis zum 9. Mai 1827 zu erstrecken, so muß ich den dringenden Wunsch beifügen, daß Sie die Güte haben und mir Ihre Antwort sobald als möglich übermachen wollen. Keine Ihrer Nachrichten soll für mein Eigentum abgegeben, sondern dankbar dem Publikum die Quelle genannt werden, aus welcher mir solche zugeflossen.

      Es sind nun volle dreiundvierzig Jahre, daß mir nicht mehr vergönnt ward, Sie zu sehen, und nur meine lebhafte Erinnerung an Sie, sowie an Ihr ganzes Haus, kann mir einige Schadloshaltung für dieses Glück gewähren.

      Mein innigster Wunsch ist, daß dieser Brief Sie, sowie Ihren Herrn Gemahl in bestem Wohlsein treffe, und daß von diesem durch eine gefällige Antwort recht bald die Überzeugung erhalte, wohlgeborne Frau, Ihr hochachtungsvoll ergebenster Diener

      Andreas Streicher, Tonkünstler.

      Wien, am 30. August 1826.«

      II.

      »Das Werk erscheint gegen Unterzeichnung, und der reine Ertrag desselben, wenn er sich auf 20 000 Gulden beläuft, soll erstens dazu verwendet werden, um eine Stiftung zu gründen, damit alle zehn Jahre die Interessen dieses Kapitals demjenigen (oder dessen Erben) eingehändigt werden, der während dieser Zeit das beste Schauspiel, Drama oder Trauerspiel, dessen Inhalt aus der deutschen Geschichte genommen sein muß, gedichtet hat. Zweitens, da aber die 10 000 Gulden Interessen des Kapitals in zehn Jahren wieder 2500 Gulden abwerfen, so werden diese demjenigen Schriftsteller als Preis zugeteilt, der in diesem Zeitraume das beste Werk für die Jugend oder das Volk in dem Sinne geschrieben, wie es Schiller in der Rezension von Bürgers Gedichten in den Worten: »Welches Unternehmen usw. bis: würden sie endlich selbst von der Vernunft abfordern,« angedeutet hat. Diese Preise würden einmal in Stuttgart, als der Hauptstadt von des Dichters Vaterland, das andere Mal in Weimar, wo er Unterstützung fand und starb, und das dritte Mal in Wien, wo seine hohe, gemütvolle Dichtung noch am meisten gewürdigt und empfunden wird, öffentlich und feierlich erteilt werden. Jeder der genannten Orte würde drei Schiedsrichter ernennen, welche die des Preises würdigsten Stücke bezeichnen würden.

      Dies ist das Hauptsächlichste von dem, was ich mir hierüber ausgedacht und auch Herrn Ernst von Schiller mitgeteilt habe. Dieser aber erwidert mir, daß ich durch Ausführung dieses Vorsatzes dem Verkaufe der sämtlichen Werke seines Vaters bedeutenden Schaden zufügen und vielleicht das ganze Unternehmen gefährden würde. Allein ich habe Freiherrn von Cotta diesen Plan voriges Jahr mündlich mitgeteilt und weder damals, noch seit jener Zeit irgend einen Widerstand von ihm erfahren. Auch scheint die abgesonderte Herausgabe des Briefwechsels von Goethe und Schiller darauf hinzudeuten, daß vorerst alles bisher noch Unbekannte von Schiller einzeln herausgegeben und dann erst in späterer Zeit eine ganz vollständige Ausgabe seiner Werke veranstaltet werden solle.

      Da ich nun den Zweck der Herausgabe von Nachrichten über unsern Dichter genau und wahr angegeben: da alles, was darauf Beziehung hat, gänzlich von einer Nebenabsicht frei und rein ist, da nichts anderes dadurch erreicht werden soll, als daß seine schwere Laufbahn die eines nicht unwürdigen Nachfolgers erleichtern solle; da es auch nicht gleichgültig ist, das Volk, für das er lebte und schrieb, nicht nur zu einer dauernden Anerkennung seines außerordentlichen Geistes aufzufordern, sondern damit auch zugleich der Dichtkunst einen Rang anzuweisen, den sie schon lange bei andern Nationen, aber leider bei den hadersüchtigen, nur nach Geld und Titeln strebenden Deutschen bisher nicht hatte; da eine genaue Schilderung seines Lebens, seines himmlischen Gemütes, der Tiefe und Fülle seiner Empfindung nur von denen getreu dargestellt und erwartet werden kann, die ihn im Glück und Unglück handeln sahen – so werden Sie dieses Schreiben sowohl als auch die Fragen mit Nachsicht aufnehmen und nicht kalt zurückweisen.«

      ***

      Streicher ist durch Christophine und auch aus seinen anderen Quellen nicht immer ganz richtig unterrichtet worden; es sind in dem Originaldruck eine Reihe von Versehen. Diese sind in unserem Neudruck entweder ohne weiteres korrigiert oder aber durch Fußnoten kenntlich gemacht worden.

      Im übrigen verweisen wir auf Streichers Büchlein selber; es mag durch sich und für sich sprechen.

      Berlin, im Februar 1905.

      J. Wychgram.

       der Hinterbliebenen Streichers zur Ausgabe von 1836.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Verfasser des nachstehenden Werkchens, Andreas Streicher, lebt nicht mehr. Zu den schönsten Erinnerungen seines reich beschäftigten Lebens gehörten die Tage, die er in Schillers Nähe zugebracht hatte, dessen Andenken er mit liebender Begeisterung,