Andreas Streicher

Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782-1785


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ihre Haare waren sehr blond, beinahe rot; die Augen etwas kränklich. Ihr Gesicht war von Wohlwollen, Sanftmut und tiefer Empfindung belebt, die breite Stirne kündigte eine kluge, denkende Frau an. Sie war eine vortreffliche Gattin und Mutter, die ihre Kinder auf das zärtlichste liebte, sie mit größter Sorgfalt erzog, besonders aber auf ihre religiöse Bildung, so früh als es rätlich war, durch Vorlesen und Erklären des Neuen Testaments einzuwirken suchte.

      Gute Bücher liebte sie leidenschaftlich, zog aber – was jede Mutter tun sollte – Naturgeschichte, Lebensbeschreibungen berühmter Männer, passende Gedichte sowie geistliche Lieder allen andern vor. Auf den Spaziergängen leitete sie die Aufmerksamkeit der zarten Gemüter auf die Wunder der Schöpfung, die Größe, Güte und Allmacht ihres Urhebers. Dabei wußte sie ihren Reden so viel Überzeugendes, so viel Gehalt und Würde einzuflechten, daß es ihnen in späten Jahren noch unvergeßlich blieb. Ihre häusliche Lage war bei dem geringen Einkommen ihres Gatten sehr beschränkt, und es erforderte die aufmerksamste Sparsamkeit, sechs Kinder standesgemäß zu erhalten und sie in allem Notwendigen unterrichten zu lassen.

      Die allgemeine Lebensart und Sitte, welche damals in Württemberg herrschte, erleichterte jedoch eine gute Erziehung um so mehr, als eine Abweichung von Sparsamkeit, Ordnungsliebe, Rechtschaffenheit sowie der aufrichtigsten Verehrung Gottes als ein großer Fehler angesehen und scharf getadelt worden wäre. Die Begriffe von Redlichkeit, Aufopferung, Uneigennützigkeit suchte man damals jedem Kinde in das Herz zu prägen. In der Schule wie zu Hause wurde auf die Ausübung dieser Tugenden ein wachsames Auge gehalten. Die Vorbereitungen zur Ablegung des Glaubensbekenntnisses waren größtenteils Prüfungen des vergangenen Lebens sowie eindringende Ermahnungen, daß alles Tun und Lassen Gott und den Menschen gefällig einzurichten sei.

      Ein nicht unbedeutender Teil der Bewohner Württembergs, zu welchem sich aus allen Ständen Mitglieder gesellten, konnte sich aber an derjenigen Religionsübung, welche in der Kirche gehalten wurde, nicht begnügen, sondern schloß noch besondere Vereinigungen, um die innerliche, geistige Ausbildung zu befördern, und den äußern Menschen der Stimme des Gewissens ganz untertänig zu machen, damit dadurch hier schon die höchste Ruhe des Gemüts und ein Vorgeschmack dessen erlangt würde, was das Neue Testament seinen mutigen Bekennern im künftigen Leben verspricht. Aber es war keine müßige, innere Anschauung, welcher diese Frommen sich hingaben, sondern sie suchten auch ihre Reden und Handlungen ebenso tadellos zu zeigen, als es ihre Gedanken und Empfindungen waren.

      Konnten auch die weltlicher Gesinnten einer so strengen Übung der Religion und Selbstbeherrschung sich nicht unterwerfen, so hatten sie doch nachahmungswürdige Vorbilder unter Augen, vor welchen sie sich scheuen mußten, die rohe Natur vorwalten zu lassen oder etwas zu tun, was einen zu scharfen Abstand gegen das Sein und Handeln der Frömmern gemacht hätte. Für das Allgemeine hatten diese abgeschlossenen, stillen Gesellschaften die gute Folge, daß der württembergische Volkscharakter als ein Muster von Treue, Redlichkeit, Fleiß und deutscher Offenheit gepriesen wurde, und Ausnahmen davon unter die Seltenheiten gezählt werden durften.

      In diesem Lande, unter solchen Menschen lebten die Eltern unseres Dichters, und nach solchen frommen Grundsätzen erzogen sie auch ihre Kinder. Die Eindrücke dieser tief wirkenden Leitung konnten nie erlöschen; sie begleiteten die Kinder durch das ganze Leben, ermutigten in den schwersten Prüfungen die Töchter und sprechen sich mit der höchsten Wärme in den meisten Werken des Sohnes aus.

      Auch diese gute, geliebte Mutter erlebte noch den ersehnten Augenblick, ihren einzigen Sohn und Liebling als glücklichen Gatten und Vater, mit errungenem Ruhm gekrönt, im Vaterlande selbst umarmen zu können.

      Ein sanfter Tod entriß sie den Ihrigen im Jahr 1802. Ihre Ehe, die ersten acht Jahre unfruchtbar, ward endlich durch sechs Kinder beglückt, von denen gegenwärtig nur noch Dorothea Luise Schiller, geboren 1766, an den Stadtpfarrer Frankh zu Möckmühl im Württembergischen verheiratet, und Elisabetha Christophina Friederika Schiller, geboren 1757, Witwe des verstorbenen Bibliothekars und Hofrats Reinwald zu Meiningen, am Leben sind. Die jüngste Schwester, Nannette, geboren 1777, verschied infolge eines ansteckenden Nervenfiebers, das durch ein auf der Solitüde anwesendes Feldlazarett verbreitet wurde, in ihrer schönsten Blüte schon im achtzehnten Jahre. Zwei andere Kinder starben bald nach der Geburt.

      Dem Bruder an Gestalt, Geist und Gemüt am ähnlichsten ist die edle Reinwald, zu welchen Eigenschaften sich noch eine Handschrift gesellt, welche der des Dichters so ähnlich ist, daß man sie davon kaum unterscheiden kann.

      Den frommen Gefühlen der Jugend getreu, konnte sie, auch als kinderlose Witwe, am 16. September 1826 dem Verfasser schreiben: »Aber ich stehe doch nicht allein, überall umgibt mein Alter der Freundschaft und Liebe sanftes Band, und Gott schenkt mir in meinem neunundsechzigsten Lebensjahr noch den völligen Gebrauch meiner Sinne und eine Heiterkeit der Seele, die gewöhnlich nur die Jugend beglückt. So sehe ich mit Zufriedenheit meinem Ziel entgegen, das mich in einer bessern Welt mit den Geliebten, die vorangingen, wieder vereinigt.«

      Unser Dichter, Johann Christoph Friedrich Schiller, wurde am 10. November 1759 zu Marbach, einem württembergischen Städtchen am Neckar, geboren. Obwohl Marbach damals nicht der Wohnort seiner Eltern war, so hatte sich dennoch seine Mutter dahin begeben, um in ihrem Geburtsort, in der Mitte von Verwandten und Freunden das Wochenbett zu halten.

      Über die ersten Kinderjahre Schillers läßt sich mit Zuverlässigkeit nichts weiter angeben, als daß seine Erziehung mit größter Liebe und Aufmerksamkeit besorgt wurde, indem er sehr zart und schwächlich schien.

      Erst von dem Jahr 1765 an werden die Nachrichten bestimmter und verbürgen, daß der Knabe seinen ersten Unterricht im Lesen, Schreiben, Lateinischen und Griechischen von dem Pastor Moser mit dessen Söhnen zugleich in Lorch, einem schwäbischen Grenzstädtchen, erhielt, wohin sein Vater, wie oben erwähnt, als Werboffizier versetzt ward.

      Damals schon, im Alter von sechs bis sieben Jahren, hatte er ein sehr tiefes religiöses Gefühl sowie eine sich täglich aussprechende Neigung zum geistlichen Stande. Sowie ihn eine ernste Vorstellung, ein frommer Gedanke ergriff, versammelte er seine Geschwister und Gespielen um sich her, legte eine schwarze Schürze als Kirchenrock um, stieg auf einen Stuhl und hielt eine Predigt, deren Inhalt eine Begebenheit, die sich zugetragen, ein geistliches Lied oder ein Spruch war, worüber er eine Auslegung machte. Alle mußten mit größter Ruhe und Stille zuhören; denn wie er den geringsten Mangel an Aufmerksamkeit oder Andacht bei der kleinen Gemeinde wahrnahm, wurde er sehr heftig und verwandelte sein anfängliches Thema in eine Strafpredigt.

      So voll Begeisterung, Kraft und Mut diese Reden auch waren, so zeigte in den häuslichen Verhältnissen sein Charakter dennoch nichts von jener Heftigkeit, Eigensinn oder Begehrlichkeit, welche die meisten talentvollen Knaben so lästig machen, sondern war lauter Freundschaft, Sanftmut und Güte.

      Gegen seine Mutter bewies er die reinste Anhänglichkeit sowie gegen die Schwestern die wohlwollendste Verträglichkeit und Liebe, welche von allen auf das herzlichste, besonders tätig aber von der ältesten (der noch lebenden Fr. Hofr. Reinwald) erwidert wurde, die öfters, obwohl sie unschuldig war, die harten Strafen des Vaters mit dem Bruder teilte.

      Obwohl ihn der Vater sehr liebte, so war er doch wegen eines Fehlers, durch den die sparsamen Eltern oft nicht wenig in Verlegenheit gesetzt wurden, hart und strenge gegen ihn. Der Sohn hatte nämlich denselben unwiderstehlichen Hang, hilfreich zu sein, welchen er später in Wilhelm Tell mit den wenigen Worten: »Ich hab' getan, was ich nicht lassen konnte,« so treffend schildert.

      Nicht nur verschenkte er an seine Kameraden dasjenige, über was er frei verfügen konnte, sondern er gab auch den ärmeren Bücher, Kleidungsstücke, ja sogar von seinem Bette.

      Hierin war die älteste Schwester, die gleichen Hang hatte, seine Vertraute, und über diese, da sie, um den jüngern Bruder zu schützen, sich als Mitschuldige bekannte, ergingen nun gleichfalls Strafworte und sehr fühlbare Züchtigungen.

      Da die Mutter sehr sanft war, so ersannen die beiden Geschwister ein Mittel, der Strenge des Vaters zu entgehen. Hatten sie so gefehlt, daß sie Schläge befürchten mußten, so gingen sie zur Mutter, bekannten ihr Vergehen und baten, daß sie die Strafe an ihnen vollziehe, damit der Vater im Zorne nicht zu hart mit ihnen verfahren möchte.

      So