Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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machten bestürzte Gesichter.

      Nur zwei Stück von jeder Art Wäsche behielt die Kleine für sich selbst zurück. Dann ging es an den Kleiderschrank. Hier wurde ihr die Auswahl ungleich schwerer.

      Das rote Musselinkleid mit den weißen Punkten war ihr Schulkleid, das konnte sie unmöglich fortgeben. Das hellblaue Leinenkleid wies noch das Andenken an den Hindenburgsieg auf, in Gestalt von rötlichen Himbeerflecken. Da mußte sie sich ja ihrer Unordentlichkeit vor den Ostpreußenkindern schämen. Aber vielleicht das rosa Blümchenkleid? »Ach nee, nee – das hat meine Mutti noch selbst genäht, das gebe ich nicht fort!« sagte Nesthäkchen ganz laut zu sich selbst. Das weiß-blau gestreifte? Ja, das konnte sie ganz gut entbehren. Sie trug es zwar besonders gern, weil sie sich damit nicht so sehr in acht zu nehmen brauchte, da es nicht leicht schmutzte. Aber das brauchte sie wirklich nicht mehr. Auch nicht das weiße Matrosenkleid, das trug sie ja doch bloß Sonntags. Und die feinen Stickereikleider alle waren natürlich ganz unnötig. Damit mußte man sich bloß immer so eklig vorsehen, daß man sie nicht zerdrückte. Aber zu den Stickereikleidern gehörten auch die breiten Seidenschärpen. So wanderten auch Annemaries grünschottische, die mattrosa und die hellblaue Schärpe, die Fräulein in Seidenpapier sorglich aufhob, mithin den Puppenwagen. Sonst dachten die Ostpreußenkinder am Ende, sie besäße gar keine Schärpe.

      Hüte und Mäntel brauchten die kleinen Flüchtlinge auch. Von ihrer geliebten Matrosenmütze mochte sich Nesthäkchen nicht trennen, die war so schön bequem, man konnte sie hinschleudern, wohin man wollte. Aber den schwarzen Lackhut, den gab sie leichten Herzens. Den weißen Florentiner mit dem Feldblumenkranz hätte sie eigentlich gern behalten, weil ihre Freundin Margot denselben hatte, und sie wie Zwillinge damit aussahen. Lieber gab sie das feine Spitzenhütchen von der Großmama, an dem man nicht mal zupfen und anfassen durfte.

      Bei den Mänteln war die Auswahl nicht groß. Die Kieler Jacke mit den Goldknöpfen brauchte sie zwar selbst, aber – ach was, die frierenden Kinder brauchten sie gewiß notwendiger. Und die Sportjacke war ihr überhaupt schon zu klein. Es ging zwar auf den Herbst, wo es manchmal recht kühle Tage gab. Na, dann zog sie eben ihren Wintermantel an, damit würde sie auch nicht gleich verschwitzen.

      Ach, du Himmel, beinahe hätte sie ja die Stiefel vergessen! Dann hätten die armen, kleinen Dinger barfuß laufen müssen. Ihre Sandalen liebte sie besonders, die wurden nicht verschenkt. Aber alle anderen, Weiße, braune und schwarze Schuhe und Stiefel, flogen auf das zarte Spitzenhütchen, das man nicht mal anfassen durfte, und auf die mattblaue Schärpe, die Fräulein sorglich in Seidenpapier aufbewahrte.

      Nun war der Puppenwagen vollgetürmt mit Nesthäkchens schönsten Sachen, auch daneben auf der Erde lagen noch verschiedene kleine Berge von Kleidungsstücken, die der Puppenwagen nicht mehr faßte. Noch einen befriedigten Blick warf das kleine Mädchen beim Schein der silbernen Vollmondlaterne auf sein Werk, dann kroch Nesthäkchen wieder ins Bett. Und mit seligem Lächeln war es nach wenigen Minuten entschlummert.

      Allerdings, als Fräulein eine Stunde später das Kinderzimmer betrat, lächelte die nicht.

      Barmherziger – was hatte die Krabbe denn bloß da angestellt?

      Ihre besten Sachen hatte sie ja aus den Schränken herausgerissen. Die schön geplätteten Stickereikleider waren zusammengeknüllt unter den Stiefeln, und das Spitzenhütchen, das Großmama wie ihren Augapfel hütete, lag sogar auf der Erde.

      Ärgerlich begann Fräulein in diesem Wirrwarr wieder Ordnung zu schaffen. Sie verstand gar nicht, was Annemarie damit bezweckt hatte, und hielt es nur für Ungezogenheit. Na, die wollte sie ihr morgen früh schon austreiben.

      Aber als Fräulein jetzt all die Kinderwäsche entdeckte, schlug sie sich an die Stirn. Nein, daß sie auch nicht eher daran gedacht hatte. Natürlich für die Ostpreußenkinder hatte Annemarie das alles hervorgekramt. Da durfte sie gar nicht allzu sehr schelten. Wenn auch das unverständige, kleine Mädel die am wenigsten für arme Kinder geeigneten Sachen ausgewählt hatte – es war aus gutem, mitleidigem Herzen heraus geschehen.

      Während Annemarie friedlich schlief und im Traum die kleinen Ostpreußenkinder mit ihren feinen Sonntagssachen froh herumstolzieren sah, wanderte ein Stück nach dem andern wieder in die Tiefen der weißen Schränke zurück. Der Mond aber lachte sich ins Fäustchen.

      Am nächsten Morgen wurde Fräulein in aller Herrgottsfrühe durch angstvolles Geflüster geweckt.

      »Fräulein, geliebtes Fräulein, wach’ doch bloß auf,« klang es mit gedämpfter Stimme erregt aus Nesthäkchens Bett, »bei uns ist heut’ nacht eingebrochen worden!«

      »Was – was ist los – – –« im Nu war Fräulein ermuntert. »Hast du jemand gehört oder gesehen, Annemie – sind Kostbarkeiten entwendet – wir müssen sofort die Polizei benachrichtigen!« Entsetzt sprang Fräulein aus dem Bett.

      »Wo hast du jemand gehört, Annemie?« Fräulein flog vor Aufregung an allen Gliedern.

      »Nirgends, Fräulein«, Nesthäkchen wagte nicht laut zu sprechen, denn die Diebe konnten ja noch in der Wohnung sein. »Aber es ist bestimmt gestohlen worden – alle meine Wäsche und Kleider, die ich für die Ostpreußen geben wollte, haben sie mitgenommen.«

      Da sah Fräulein das kleine Mädchen verdutzt an, und dann brach sie in ein lautes Gelächter aus.

      Ja, hatte denn Fräulein am Ende vor Schreck den Verstand verloren? Sowas sollte manchmal vorkommen – wenn die Einbrecher sie nun hörten!

      »Kind – Annemie – was bist du für ein Dummchen, mir solchen Schreck einzujagen! Die schönen Kleider, die du alle herausgerissen hast, habe ich selbst gestern abend wieder, wie sich’s gehört, in den Schrank geräumt. Laß dir das bloß nicht noch einmal einfallen, alle deine Sachen, hier herumzustreuen!« jetzt lachte Fräulein nicht mehr.

      »Die sollten doch für die Flüchtlingskinder sein«, Nesthäkchen atmete aber doch auf, daß es keine Diebe gewesen waren, die ihnen einen Besuch abgestattet hatten.

      »Nun sag’ bloß mal, Annemie, was sollen die armen Kinderchen wohl mit deinen Stickereikleidern, Schärpen und weißen Hüten anfangen? Das ist doch alles viel zu unpraktisch für sie. Die haben keine Hanne, die für sie wäscht und plättet.«

      »Aber die Wäsche und Stiefel sind doch praktisch, die hättest du wenigstens draußen lassen können, Fräulein«, das kleine Mädchen war durchaus nicht überzeugt.

      »Annemiechen, die brauchst du doch selbst noch«, gähnend kroch Fräulein wieder ins Bett.

      »Na, wenn man bloß weggibt, was man nicht mehr braucht, das ist bestimmt nicht das Richtige. Großmama sagt, nur was einem schwer fällt, hat Wert – man muß Opfer bringen lernen!« So philosophierte Nesthäkchen vor sich hin, während Fräulein ganz gemütlich wieder zu schnarchen begann.

      Aber diesmal fand selbst Großmama, daß ihr Enkeltöchterchen etwas zu freigebig gewesen war. Sie selbst traf mit Fräulein eine verständige Auswahl unter den Sachen aller drei Kinder. Es wurde ein stattlicher Korb voll, und wenn auch keine Spitzenhütchen und Seidenschärpen dabei waren, die kleinen Ostpreußenkinder hatten von den warmen Wollsachen und festen Stiefeln sicherlich mehr. Obenauf aber hatte Annemarie noch von ihrem Spielzeug gelegt – denn ein bißchen freuen sollten sich die armen Flüchtlingskinder, die keine Heimat mehr hatten, doch auch.

      8. Kapitel

       Eine lebendige Puppe

       Inhaltsverzeichnis

      Es war am Sedantag, dem großen Tage, der einst Deutschlands Ruhm begründet. In den Schulen hatten allenthalben Feiern am Vormittag stattgefunden. Das Schubertsche Mädchengymnasium hatte dieselbe gemeinsam mit den Schülerinnen der Volksschule abgehalten. Arm und reich saßen da untereinander in dem großen, hellgetünchten Schulsaal. Aber keine von den »höheren Töchtern« hatte irgendeine hochmütige Empfindung dabei, keins von den Kindern aus dem Volke irgendeine neidische auf die schöner geputzten Mädchen. Alle einte der gleiche, erhebende